Читать книгу Arztstrafrecht in der Praxis - Klaus Ulsenheimer - Страница 123
(a) Arzt – Hebamme
Оглавление299
Da die während des gesamten Geburtsvorgangs anwesende Hebamme die pathologischen Muster des CTG (Kardiotokogramm, Wehenschreiber) mit Spätdecelerationen nicht bemerkte und dadurch zu spät um ärztliche Hilfe rief, erlitt das Kind bei der Geburt infolge mangelnder Sauerstoffversorgung eine Hirnfunktionsstörung, die zu einer schweren Athetose führte. Im Rahmen der umfangreichen Beweisaufnahme ergab sich, dass die Hebamme bei allen Ärzten der Abteilung und ihren Kolleginnen als zuverlässig und qualifiziert galt, von anderen Patientinnen als „gute, erfahrene und beliebte Hebamme“ beschrieben wurde, die über eine mehr als 20-jährige Berufspraxis verfügte, und der Chefarzt in regelmäßigen Besprechungen sowie durch Hinweise im Berufsalltag die am Krankenhaus tätigen Hebammen eingehend über die Beurteilung pathologischer Kurvenverläufe des CTG-Geräts instruiert hatte. Auch die regelmäßigen amtsärztlichen Überprüfungen der Hebamme in fachlicher Hinsicht hatten zu keinerlei Beanstandungen geführt.
Angesichts dieser Umstände durfte der Chefarzt der gynäkologischen Abteilung auf die persönliche Qualifikation und Gewissenhaftigkeit der Hebamme vertrauen. Ein Aufsichts- und Überwachungsverschulden kam nicht in Betracht, so dass er zu Recht von der Anklage der fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen wurde.[279]
Allgemein ist zur Abgrenzung der Verantwortlichkeiten von Arzt und Hebamme auf folgende Grundsätze zu verweisen:[280]
1. | Die Begleitung einer Normalgeburt entspricht im Ausgangspunkt der originären Fachkompetenz einer Hebamme[281]. Erst der Eintritt von Komplikationen, z.B. einer Schulterdystokie oder eines kindlichen Herztonabfalls, erfordert das Eingreifen des Arztes[282]. Die Aufnahmeuntersuchung zur Entbindung im Krankenhaus darf – entgegen der Ansicht des OLG Stuttgart – der Hebamme überlassen bzw. übertragen werden.[283] Von dem Zeitpunkt an, in dem der Arzt in der Klinik die Leitung der Geburt übernimmt, sei es wegen einer Komplikation oder aus anderen Gründen, ist die Hebamme seine Gehilfin[284]. Sie bleibt aber strafrechtlich verantwortlich, wenn sie z.B. die Gefahrenlage für Mutter und Kind anhand des CTG erkannt, hiervon aber den Geburtshelfer nicht unterrichtet hat.[285] |
2. | Dementsprechend ist die Hebamme bei Normalgeburten befugt, bestimmte diagnostische und therapeutische Maßnahmen vorzunehmen, die im Einzelnen in den jeweiligen Dienstordnungen der Bundesländer niedergelegt sind. |
3. | Sobald Regelwidrigkeiten und Zeichen eines pathologischen Geburtsverlaufs auftreten, muss die Hebamme den Arzt hinzuziehen, dem – von Ausnahmesituationen abgesehen (Unerreichbarkeit rechtzeitiger Hilfe) – allein die Behandlung regelwidriger Vorgänge bei Schwangeren und Gebärenden vorbehalten ist.[286] Deshalb endet die Kompetenz der Hebamme z.B. beim Auftreten einer Schulterdystokie. |
4. | Die Hebamme darf sich im Prinzip auf die Anordnungen des Arztes verlassen. Der Arzt, der die Hebamme zu einer spezifisch ärztlichen Verrichtung heranzieht und ihr Weisungen erteilt, ist dafür alleine verantwortlich[287]. Bei erkennbar unsachgemäßen Anweisungen des Arztes muss die Hebamme jedoch entsprechende Vorhalte machen[288]. |
5. | Die Hebamme hat neben dem Geburtshelfer die – eigene – Rechtspflicht, Atemtätigkeit und Herzfrequenz eines neugeborenen Kindes in den ersten 20 Minuten nach der Geburt ständig zu überwachen.[289] |
6. | Aus der originären Kompetenz der Hebamme für die Begleitung einer normalen Geburt folgt, dass der aufsichtsführende Arzt im Krankenhaus bei der Entbindung nicht ständig anwesend zu sein hat. Es genügt, dass er für eine stets ordnungsgemäße Durchführung der Geburtshilfe Sorge trägt und im Falle eintretender Komplikationen sofort zur Stelle ist[290]. Mit seinem Erscheinen und namentlich seiner Eingangsuntersuchung wird er der Hebamme gegenüber weisungsbefugt.[291] |