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4. Kinder und Religion

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Wenn sich nicht nur die Religion verändert hat, sondern auch die Kindheit, was heißt das für Kinder und Religion heute? Der primäre Ort, an dem sich die religiösen Einstellungen von Kindern heute formieren, ist zweifellos die Familie. Wie später ausführlich dargestellt wird (s. II.9), haben sich die religiösen Sozialisationsvoraussetzungen in deutschen Familien grundlegend verändert, und zwar ganz im Sinne der oben entfalteten Individualisierungsthese. Nicht mehr die Kirche bestimmt die Religiosität der Familie, sondern umgekehrt: Die Eltern bestimmen ihren Nähe- oder Distanzgrad zur Kirche selbst, nach ihren eigenen Interessen, Erwartungen und Bedürfnissen. Eine bewusste religiöse Erziehung findet vielfach kaum mehr statt, was mehrere Gründe hat: Zum einen wollen die Eltern jeglichen Zwang vermeiden, zum anderen fühlen sie sich auf diesem Gebiet wenig kompetent (vgl. SCHWEITZER / BIESINGER 2009). Das aber heißt nicht, dass Kindheit heute religionslos ist. Kinder kennen in der Tat nicht mehr so viele biblische Geschichten, Gesangbuchlieder, Gebete etc. und haben nicht mehr das traditionelle religiöse Wissen wie vor 30 oder 40 Jahren. Jedoch bedeutet der unverkennbare Ausfall an explizit christlich-religiösen Vorprägungen und Vorstellungen nicht, dass Kinder an religiösen Fragen uninteressiert wären. Gerade Grundschulkinder erscheinen als religiös sehr ansprechbar und begeisterungsfähig (vgl. ENGLERT / SCHWEITZER 2003, 71). Sie fragen und artikulieren sich religiös, weil sie auf fundamentale und elementare Zusammenhänge in ihrem Leben stoßen, die mit Religion, mit dem Woher und Wohin zu tun haben (s. II.8). Zudem fragen Kinder heute offenkundig entschieden pragmatischer nach dem Gebrauch und Nutzen von Religion als früher. Insgesamt resultiert daraus eine wesentlich höhere Eigen- und Selbstständigkeit von Kindern in religiösen Dingen. Dies gilt auch dann und dort, wo Kinder auf in ihren Familien vorhandene (christlich-)religiöse Vorstellungen und Themen zurückgreifen können.

Dabei ist religiöse Ansprechbarkeit nicht zu verwechseln mit religiöser Sprach- und Ausdrucksfähigkeit. Wenn man in diesem Zusammenhang immer wieder von Kindern als »religiösen Analphabeten« spricht, dann meint man damit in aller Regel nicht nur mangelnde Kenntnis in Sachen christlicher Tradition, sondern vor allem auch die relative Sprachlosigkeit angesichts der religiösen Dimension unseres Lebens (s. II.2). Zudem ist kindliche Religiosität oft – wie die der Erwachsenen – »unbestimmt«, eher eine Religion des Fühlens und Meinens als eine Religion des Glaubens. Religiöse Bildung will Kinder in dieser ihrer Befindlichkeit nicht allein lassen, sondern sie auf ihrer Suche nach Sinn unterstützen und ihnen Zeit-Raum zur religiösen Findung, Orientierung und Expression gewähren. Hilfreich ist dabei, dass Kinder weithin ein fast »natürliches« Interesse an religiösen Themen und Dingen haben, über die sie »anders als Erwachsene ganz unbefangen kommunizieren wollen« (EKD 2000, 7). Das in diesem Zusammenhang oft vorgebrachte Argument, man könne Kindern im Religionsunterricht vor allem deshalb nichts beibringen, weil sie vom Elternhaus her nicht oder zu wenig religiös erzogen würden, sticht daher nur sehr bedingt. Unterschätzt werden die Eltern häufig im Hinblick auf ihre Vermittlung von elementaren religiös relevanten Grunderfahrungen wie der Erfahrung des unbedingten Angenommenseins und der Erfahrung von Verlässlichkeit und Vertrauen (s. I.9). Im Übrigen würde keine Sport-, Deutsch- oder Musiklehrkraft nur deswegen ihr Fach nicht schulisch unterrichten, weil die Eltern zu Hause mit ihrem Kind nicht turnen, Bücher lesen oder musizieren.

Religionsdidaktik Grundschule

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