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2. Religiöse Bildung

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Bildung – Subjektwerdung und Weltaneignung

Wer religiöse Lernprozesse (s. III.1) im Unterricht plant und verantwortet, braucht, bildlich gesprochen, einen Kompass, an dem er sich ausrichten kann. In diesem Lehrbuch kommt dem Begriff der Bildung eine derartige orientierende Funktion zu. Was aber ist mit dem Begriff gemeint? Eine konsensfähige Antwort auf diese Frage steht in weiter Ferne. Vielmehr begegnet der Bildungsbegriff in der gegenwärtigen Debatte in ganz unterschiedlichen Verwendungszusammenhängen.

Im Jahr 2002 veröffentlichte der Hamburger Anglist und Romanautor Dietrich Schwanitz ein Buch, das bereits bei seinem Erscheinen für viel Aufsehen sorgte und in kürzester Zeit 18 Auflagen erlebte (vgl. SCHWANITZ 2002). Der reißende Absatz des Buches erklärt sich aus seinem Titel. Der lautet: »Bildung – Alles, was man wissen muss«. Hier wird der Begriff der Bildung auf einen Wissenskanon bezogen, der einen gebildeten Menschen auszeichnet. Diese Bedeutung scheint auf, wenn wir in unserer Alltagssprache von Allgemeinbildung sprechen. Der Begriff der Bildung wird in diesem Fall material bestimmt.

Hochkonjunktur hat der Bildungsbegriff derzeit vor allem auf dem Gebiet der Bildungspolitik. Die Rede vom Bildungsnotstand, einer Bildungsoffensive und einer Bildungsreform durchzieht die öffentliche Diskussion seit dem sogenannten PISA-Schock im Jahr 2000. Hier wird der Begriff der Bildung funktional auf das deutsche Bildungssystem bezogen, auf die zu verbessernde schulische, berufliche und akademische Ausbildung in Deutschland.

Jedoch kennen Erziehungswissenschaft, Theologie und Religionspädagogik noch einen dritten Verwendungszusammenhang von Bildung, um den es im Folgenden vor allem geht. Demnach bezeichnet »Bildung den lebenslangen Prozess der Subjektwerdung im Kontext menschlicher Lebensverhältnisse« (BIEHL 2003, 128). Bildung, das zeigt diese Definition von Peter Biehl, umfasst viel mehr als Wissen und ist in einer Weise dem individuellen Subjekt und seiner Selbstentfaltung verpflichtet, die in einer deutlichen Spannung zur funktionalisierten Bildungsdebatte der Gegenwart steht. Gleichzeitig darf Bildung, wie Biehl fortfährt, nicht subjektivistisch missverstanden werden: Denn das Subjekt »gewinnt die Freiheit des Denkens und Handelns nur in Auseinandersetzung mit einer Inhaltlichkeit, die nicht von ihm selbst stammt« (ebd.). So verstanden, kennzeichnet Bildung einen dynamischen Prozess, in dem beide sich verändern: das Subjekt und die Wirklichkeit, an der sich das Subjekt bildet. Um besser zu verstehen, was es mit Bildung in diesem doppelpoligen Spannungsfeld auf sich hat, lohnt es sich, einige wichtige Etappen der neuzeitlichen Bildungstheorie kurz zu vergegenwärtigen (als Überblick vgl. DRESSLER 2006, 20 ff.).

Bildung zum Ebenbild Gottes – Meister Eckhart

Das deutsche Wort »Bildung« ist eine Ableitung des althochdeutschen Wortes »bildunga«, welches Bildnis, Gestalt, Schöpfung meint. Ursprünglich ist Bildung ein durch christlichen Glauben und Theologie imprägnierter Begriff. Bei Meister Eckhart etwa bezeichnet er den Vorgang der Ein-Bildung, mittels dessen das Bild Christi (als Ebenbild Gottes) in die menschliche Seele ein-gebildet und eingeprägt werden soll. Bildung meint dann näherhin die Bildung des Menschen nach dem Bilde Christi bzw. Gottes (vgl. Gen 1,27), also so wie Gott ihn will. Bildung ist hier also kein pädagogischer, sondern ein theologischer Begriff. Man könnte auch sagen: Die Subjektorientierung wird ganz von Gott bestimmt.

Freiheitliche Bildung aller Kräfte – Wilhelm von Humboldt

Das ändert sich grundlegend nach der Aufklärung, in der erstmals ein dezidiert pädagogischer Bildungsbegriff ausgearbeitet wird (vgl. KUNSTMANN 2002, 146 ff.). Das Neue gegenüber der pädagogischen und theologischen Tradition kommt in folgenden Programmsätzen Wilhelm von Humboldts in klassischer Dichte zum Ausdruck: »Der wahre Zweck des Menschen – nicht der, welchen die wechselnde Neigung, sondern welche die ewig veränderliche Natur ihm vorschreibt – ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen. Zu dieser Bildung ist die Freiheit die erste, und unerlässliche Bedingung. Allein außer der Freiheit erfordert die Entwicklung der menschlichen Kräfte noch etwas anderes, obgleich mit der Freiheit eng verbundenes, [nämlich eine] Mannigfaltigkeit der Situationen« (HUMBOLDT 1980, 64).

Mehrere spezifisch moderne, für das Bildungsdenken bis heute leitende Momente drängen hier in den Vordergrund. Zum einen wird die individuelle Freiheit und Selbstentfaltung des Menschen zum Maßstab und Ziel von Bildung. Gleichzeitig bringt Humboldt aber zur Geltung, dass diese Freiheit nur in der Begegnung mit der Lebenswelt zu erlangen ist. Als Selbstbildung verstanden, entsteht Bildung durch die Auseinandersetzung des Selbst mit dem Anderen, auch mit dem Fremden, also der andringenden Weltwirklichkeit, der Kultur und ihren Objektivationen. In der Begegnung und Abarbeitung am Anderen wird der Mensch mündiges Subjekt. Gebildet ist nach Humboldt derjenige, der »so viel Welt als möglich zu ergreifen und so eng, als er nur kann, mit sich zu verbinden« sucht. Insofern meint Bildung nicht Lehrbuchwissen oder einen Kanon, den man (auswendig) lernt, sondern im Wesentlichen ein Können und darin eine Lebensform (vgl. MITTELSTRASS 1982). Im Kern geht es nicht um egoistische Selbstverwirklichung oder -vervollkommnung, sondern um die Welt, in der und von der wir leben. Dabei richtet von Humboldt Bildung konsequent an der existierenden Pluralität von Lebensformen und Weltbildern aus: Sie gedeiht umso besser, je mannigfaltiger der Einzelne mit seiner Umwelt interagiert. Anders als bei Eckhart zielt Bildung hier nicht in der Rückgewinnung von Einheit, sondern auf kompetenten Umgang mit Vielfalt.

Kritische Mündigkeit als Ziel von Bildung – Immanuel Kant

Sodann wohnt dem Bildungsgedanken seit der Aufklärung (18. Jahrhundert) ein zweifacher kritisch-emanzipatorischer Zug inne: Zum einen steht Bildung für Befreiung von und aus Abhängigkeiten und Unmündigkeit. So heißt es in Immanuel Kants Aufsatz »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?« von 1784: »Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung« (KANT 1999, 20). Damit konnte man sich von traditionellen, ungeprüften Bindungen und Abhängigkeiten unterschiedlicher Art befreien. Zum anderen wehrt der Bildungsgedanke seit dem 18. Jahrhundert einer Verengung von Bildung auf berufliche Abrichtung, Spezialisierung und Funktionalisierung der modernen Berufswelt. Bildung meint mehr als »Wissen«, Funktionieren und Berufskenntnisse haben. Sie will zur Selbst- und Eigenständigkeit in Wissens- und Lebenszusammenhängen hinführen. Bildung meint nicht nur eine abgeschlossene Phase im menschlichen Leben, sondern einen lebenslangen Prozess, in dessen Verlauf Menschen sich befähigen, am gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Leben teilzunehmen.

Bildung und Religion gehen Hand in Hand – Friedrich Schleiermacher

Freilich zeigt sich der Umbruch, den die Aufklärung bildungstheoretisch markiert, noch in einer anderen Hinsicht: Während etwa die Bildungstheorie Meister Eckharts wie selbstverständlich noch im Deutungsraum des christlichen Glaubens eingebettet war, weist von Humboldts Bildungsdenken eine explizit religionskritische Stoßrichtung auf. Seit der Aufklärung ist der Zusammenhang von Religion und Bildung zunehmend brüchig und begründungsbedürftig geworden. Die Religionspädagogik muss sich daher einer neuen Frage stellen: Gehört Religion überhaupt zur Bildung des Menschen dazu?

Die vielleicht nachdrücklichste Antwort auf diese Frage stammt von Friedrich Schleiermacher, dem bedeutendsten evangelischen Theologen des 19. Jahrhunderts. In seinen »Reden über die Religion« aus dem Jahr 1799 versucht dieser Recht und Eigenrecht der Religion im Kontext von Bildung zu sichern. Schleiermacher pocht auf die Eigenständigkeit der Religion gegenüber anderen Wirklichkeitszugängen: »Ihr Wesen ist weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl« (SCHLEIERMACHER 1991, 49). Religion ist also ein eigener Bereich des Humanen – Schleiermacher sagt wörtlich »eine eigne Provinz im Gemüte« (ebd., 40). Wer diese Provinz vernachlässigt, verpasst etwas, ist ein ärmerer Mensch. Als konstitutive Dimension von Menschsein gehört Religion daher unauflöslich zur Bildung des Menschen dazu. Das ist für Schleiermacher jedoch nur die eine Seite der Medaille: Wie Bildung ohne Religion einseitig und unvollständig bleibt, so entartet der christliche Glaube zur Barbarei, wenn er aus dem Bildungszusammenhang der ihn umgebenden Kultur herausgelöst wird. Bildung ist für (christliche) Religion nichts Fremdes oder Sekundäres, sondern etwas Grundlegendes. Mittels ihrer kann Religion individuell angeeignet, begangen und gestaltet sowie kritisch reflektiert werden.

Während der Begriff der Bildung in der Religionspädagogik nach Schleiermacher lange Zeit ein Schattendasein führte oder – wie etwa in der Evangelischen Unterweisung bzw., auf katholischer Seite, in der Materialkerygmatik – ausdrücklich abgelehnt wurde, hat er sich in den letzten drei Jahrzehnten konfessionsübergreifend als religionspädagogischer Leitbegriff etabliert. Als Pioniere dieser Entwicklung dürfen Karl Ernst Nipkow und Peter Biehl gelten, in jüngster Zeit ist der Bildungsgedanke vor allem durch Bernhard Dressler, Joachim Kunstmann und Rudolf Englert profiliert worden.

Dabei leistet dieser Begriff im christlichen Kontext ein Zweifaches: Er schärft den Blick für die Zielperspektive religionspädagogischen Handelns und bietet gleichzeitig Kriterien, an der sich die Angemessenheit dieser Praxis überprüfen lässt.

Religiöse Bildung im christlichen Kontext – Allgemeine Perspektiven

Wenn Religion nicht allgemein, sondern immer geschichtlich konkret in bestimmten Traditionen und Gestalten vorkommt, kann sich auch religiöse Bildung nur unter faktischer Berücksichtigung religionskultureller Gegebenheiten vollziehen. Letztere sind im abendländisch-europäischen Raum nicht nur, aber doch vorrangig vom Christentum geprägt und imprägniert. Wenn es keine allgemein verbindliche Antwort auf die Frage nach dem Lebenssinn gibt, kann es im Normalfall auch keine allgemeine religiöse Bildung geben, sondern nur solche, die an eine Religions- oder Glaubensgemeinschaft angebunden ist. Wie eine allgemeine Religion ein künstliches Abstraktum wäre, das keine Entsprechung in der Lebenswelt hat, so wäre es auch mit einer allgemeinen religiösen Bildung in der Schule – sie wäre eine Art Schul-Religion oder Papier-Religion-Bildung, was meint, dass sie in dieser Form nur in der Schule und gewissermaßen auf dem Papier (Lehrpläne, Bücher etc.) vorkommt. Eine allgemeine religiöse Bildung geht an der schulpädagogischen Grundeinsicht, dass Schule lebensnah und wirklichkeitsbezogen arbeiten soll, vorbei. Was religiöse Bildung in unserem Raum und im Grundschulbereich sein und heißen soll, ergibt sich aus folgender Überlegung:

Unter christlicher Religion kann – in freier Anverwandlung von Friedrich D. E. Schleiermacher – die »Welt-Anschauung« aus der Perspektive des christlichen Glaubens (Karl Ernst Nipkow) verstanden werden. Dies meint nicht ein punktuelles Fürwahrhalten von einzelnen christlichen Aussagen, sondern die Konzeptualisierung einer universalen Sinnwelt mit den Augen des Glaubens. Sie umfasst unser Selbst-, Welt- und Gottesverständnis bzw. -verhältnis, auch unser Verhalten und Handeln in ethischen und moralischen Zusammenhängen, betrifft also unsere gesamte Lebensorientierung. Entsprechend geht es bei religiöser Bildung darum: Sie kann Kindern (und Heranwachsenden) bei deren Suche nach Lebenssinn helfen, indem sie sie auf das Menschen-, Welt- und Gottesverständnis sowie die Wirklichkeitssicht(en) der christlichen Religion aufmerksam macht, sie diese erproben und kritisch bedenken lässt. Das Evangelium und der christliche Glaube sind deswegen wichtig für unsere Bildung, weil sie Bilder liefern, die uns sowie unsere Sicht der Dinge und der Wirklichkeit »bilden«. Sie halten Vorstellungen, Perspektiven, Sichtweisen bereit, die uns zur Wirklichkeit verhelfen, also einen Wirklichkeits- und Bildungshorizont schaffen; darin sind sie für (Wirklichkeits-)Bildung unersetzbar und unverzichtbar. Christliche Religion – in ihrer reflektierten Gestalt die christliche Theologie – leistet nämlich Wirklichkeitshermeneutik, d. h. sie legt mit und für Menschen deren persönliche Wirklichkeit aus dem christlich-religiösen Überlieferungszusammenhang heraus aus. So gesehen sind überlieferte christliche Inhalte und Themen eine Chance und ein Potenzial, ein Erfahrungs- und Bildungsschatz für uns Spätere, die Bildungskraft entwickeln können. Daran können sich bereits Kinder orientieren und bilden.

Maße des Menschlichen – Zur regulativen Funktion des Bildungsbegriffs

Der Bildungsbegriff hat, wie Karl Ernst Nipkow feststellt, vor allem regulative Funktion: Er bietet uns Kriterien, an denen wir die Sach- und Zielgemäßheit unseres religionspädagogischen Tuns überprüfen können.

Einige solcher »Maße des Menschlichen« (EKD 2003b) haben sich in der Auseinandersetzung mit den klassischen Bildungstheorien bereits herausgeschält (als Überblick vgl. SCHRÖDER 2012a, 224 ff.), können aber hier noch stärker theologisch profiliert werden:

  Wie alle Bildung dient auch religiöse Bildung im christlichen Kontext der freien Entfaltung der einzelnen Person als dem Subjekt seiner Bildung. Diese pädagogische Maxime hat ihre theologische Entsprechung in der christlichen Grundüberzeugung, dass der Glaube letztlich unvertretbar ist: Der Mensch steht Gott unmittelbar gegenüber und soll auch in der Lage sein, über seinen eigenen Glauben Rechenschaft abzulegen.

  Unter gegenwärtigen Bedingungen ist dieser Prozess der Subjektwerdung jedoch in vieler Hinsicht riskant und notwendigerweise brüchig. Umso wichtiger ist die Einsicht, dass das Gelingen und Scheitern auf diesem Weg nicht an die Personwürde des Einzelnen heranreicht. Theologisch grundgelegt ist diese Würde in der Lehre von der Gottesebenbildlichkeit (Gen 1,26 f.), die dem Menschen ohne eigenes Zutun von Gott zugeeignet ist und allem seinem Handeln vorausliegt.

  Bildung dient der individuellen Subjektwerdung, schließt aber gleichzeitig die Sozialität des Menschen mit ein. Bilden kann sich der Mensch nur in der Relation zu Anderen. Neuerdings ist Bernhard Grümme besonders grundsätzlich dafür eingetreten, religiöse Bildung an der uneinholbaren Andersheit des Anderen auszurichten (vgl. GRÜMME 2007). Dieser soll nicht dem Eigenen gleichgemacht werden. Vielmehr gilt es, ihn durch achtsame Wahrnehmung besser kennenzulernen, das Gespräch mit ihm zu suchen und ihn bei alldem in seiner Fremdheit zu respektieren.

  Aus der grundlegenden Relationalität des Menschen erwächst ferner seine Verantwortung für seine Mitmenschen und die ihn umgebende Welt. In der Erziehungswissenschaft hat vor allem Wolfgang Klafki darauf gedrungen, dass der Begriff der Bildung ethisch dimensioniert ist: Bildung zielt auf die Befähigung des Menschen zu Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität. Auch in der Bibel wird menschliche Existenz von Anfang sozial gedeutet, als Mitgeschöpflichkeit, welche Sorge und Einsatz für das Wohl der von Gott geschaffenen, dem Menschen zur Kultivierung zugeeigneten Welt impliziert.

Sämtliche bislang genannten Maßstäbe von Bildung stehen in einem doppelten Begründungszusammenhang: Sie nehmen zentrale Einsichten des neuzeitlichen Bildungsdenkens auf und zeigen, dass diese sich auch im spezifischen Horizont des christlichen Glaubens verankern und konkretisieren lassen. Zum Schluss sei noch auf die kritische Funktion einer theologisch fundierten Bildungstheorie hingewiesen, die darin besteht, dass sie den Sinn für die Grenzen pädagogischer Ambitionen wachhält.

Der Zürcher Erziehungswissenschaftler Jürgen Oelkers hat an zahlreichen geschichtlichen Beispielen gezeigt, wie Bildung dazu neigt, ihre Zielhorizonte ins Utopische zu überzeichnen: Durch eine »neue Bildung« in einer »neuen Schule« soll eine »neue Jugend« heranwachsen und dadurch letztlich eine »neue Gesellschaft« (vgl. OELKERS 2005). Folgt man dem Tübinger Systematischen Theologen Christoph Schwöbel, so enthält der christliche Glaube eine radikale Kritik an so weitreichenden Prägungsansprüchen. Schwöbel erläutert das an den drei Grundaussagen des christlichen Glaubensbekenntnisses:

  Der Glaube an Gott den Schöpfer richtet sich gegen alle Bildungsprogramme, die den Prozess der Bildung als Verwirklichung des »neuen Menschen« konzipieren. Denn Neues schaffen kann Gott allein; menschliches Bildungshandeln geschieht immer unter Bedingungen der Geschöpflichkeit und ist daher vorläufig und begrenzt.

  Der Glaube an Gott den Versöhner enthält eine kritische Spitze gegen alle Bildungsvorstellungen, die die Fehlbarkeit und tiefen Verstrickungen menschlicher Existenz ignorieren. Anders als die tendenziell inhumanen Ideale des Übermenschen oder, heute verbreiteter, des Erfolgsmenschen zielt die christliche Botschaft auf den von Gott entfremdeten Menschen und setzt die Anerkennung dieser Entfremdung voraus. Fehlbarkeit und Schuld gehören also, wie der Schatten, zum Menschsein dazu und bilden daher einen integralen Bestandteil aller Bildung.

  Der Glaube an Gott den Vollender enthält schließlich eine grundsätzliche Absage an pädagogische Utopien, die Bildung als Beitrag oder Mittel zur Vervollkommnung des Menschen begreifen. Schwöbel bringt diesen Moment sehr klar zum Ausdruck, wenn er schreibt: »Gott ist der Vollender der Welt und des Menschen, nicht der Mensch. Bildung ist darum nicht der Weg zu menschlicher Vollkommenheit, sondern der Umgang mit menschlicher Unvollkommenheit. Wird Bildung als Vervollkommnungsstrategie verstanden, wird sie unmenschlich, indem sie sich das Werk Gottes anmaßt. Wird Bildung aus der Perspektive des christlichen Glaubens als Umgang mit menschlicher Unvollkommenheit verstanden, kann sie menschlich bleiben« (SCHWÖBEL 2003, 294).

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