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3. »Jetzt lernen wir endlich wieder etwas in Religion« – Religionsunterricht aus Sicht der Lernforschung

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Was bleibt nach »1000 Stunden Religion?« Darüber schrieben Ende der 1990er-Jahre 400 Schülerinnen und Schüler an Gymnasien Aufsätze (vgl. KLIEMANN / RUPP 2000). Die jungen Erwachsenen bescheinigen in ihren Erinnerungen dem Religionsunterricht in der Grundschule mehrheitlich positive Elemente und berichten von vielen »Farbtupfern« wie Erzählen, Malen, Singen, Spielen, Feiern. Religionsunterricht wird von ihnen vorwiegend als ein »weiches« Fach eingestuft, in welchem man relativ einfach bzw. durch viel »Labern« gute Noten erreichen kann, das sich aber inhaltlich immer wieder unsystematisch oder sogar strukturlos präsentiert; die Lerneffekte des Faches werden aus der Retrospektive insgesamt als nur gering eingeschätzt (vgl. KLIEMANN / RUPP 2000; BUCHER 2011, 47 f.). Was also bleibt?

Konzentration auf die Inszenierung des Religionsunterrichts

Das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht ist laut Bucher ein bedeutsamer Faktor für dessen Wertschätzung und Beliebtheit. Betrachtet man die Profession und die Zielsetzungen heutiger Religionslehrerinnen und -lehrer, sieht man deutlich, dass sich beide in besonderer Weise am Wohl des Kindes orientieren (vgl. PORZELT 2006, 458). Die Beliebtheit des Faches Religion ist laut empirischen Erhebungen deutlich an gestalterische und handlungsorientierte Tätigkeiten geknüpft, die von den Schülerinnen und Schülern, insbesondere von Mädchen, präferiert und von Religionslehrerinnen und -lehrern zunehmend angeboten werden: Lehrende zeigen große Anstrengung im Bereich der Inszenierung und Gestaltung eines attraktiven Religionsunterrichts; erfahrungs- und handlungsorientierte sowie expressiv-interaktive Unterrichtsformen stehen im Vordergrund, ebenso Gesprächsbereitschaft und personale Offenheit (vgl. FEIGE / TZSCHEETZSCH 2005, 35; PORZELT 2006, 461).

Auch die konzeptionelle Diskussion um den Religionsunterricht in der Primarstufe konzentrierte sich in den letzten Jahren mehrheitlich auf dessen Gestaltung und Methodik, weniger hingegen auf inhaltliche (religiöse) Lernprozesse (vgl. HENNECKE 2012, 324). In der Praxis ist mittlerweile ein Überhandnehmen der gestalterischen Elemente zu beobachten, was sich nicht selten in einer überbordenden Materialflut äußert. Dabei ist allerdings teilweise eine Entkoppelung zwischen Methodik und Thema bzw. Intention zu konstatieren (s. III.1): Methoden und Materialen werden um ihrer selbst willen oder wegen ihres Anschauungsgehaltes eingesetzt, ohne jedoch immer an die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schülern oder an die Erschließung des Themas angepasst zu sein: »Im Sog des atmosphärischen ›Hier und Jetzt‹ der unterrichtlichen Inszenierung droht […] die nachvollziehbare Orientierung an didaktischen Zielen und die (auch fachwissenschaftlich) verantwortete Reflexion der Unterrichtsinhalte in den Hintergrund zu treten« (PORZELT 2006, 461). Auch Elisabeth Hennecke registriert in ihrer empirischen Untersuchung, dass die inhaltliche Seite von Religionsunterricht teilweise hinter eine abwechslungsreiche Methodenvielfalt zurücktritt, insgesamt eher wenig theologische Impulse gesetzt werden und kaum eine inhaltlich-strukturierte Reflexionskultur im Unterricht aufgebaut wird (vgl. HENNECKE 2012, 37). »Dübeln statt grübeln« (GEHLTOMHOLT 2000) lautet dann wohl das überspitzte Motto des Faches Religion, wenn der Implikationszusammenhang zwischen Zielen, Inhalten und Methoden aus dem Blick gerät (s. III.1). Es scheint in manchen Fällen fast so, als wollte man im Religionsunterricht vor dezidiert theologischen Inhalten und deren gezielter sowie religionsdidaktisch verantworteter Einspeisung ausweichen – passend dazu werden auch die Kompetenzen über ein »solides theologisches Fachwissen verfügen« und »eine Stunde gut aufbauen und gliedern können« als weniger wichtig eingestuft (ENGLERT / GÜTH 1999, 105; s. I.10). Dahinter steht möglicherweise die implizite Annahme, dass Unterrichtsinhalte bzw. -ziele in erster Linie über die Person des Lehrers und sein »Gefühl für Kinder« sowie über die abwechslungsreiche Methodik transportiert werden. Es gilt, die Kinder atmosphärisch, zwischenmenschlich und methodisch für Religion zu begeistern (vgl. FEIGE / TZSCHEETZSCH 2005, 104; 160), aber weniger, sie im Fach Religion denkerisch und reflexiv herauszufordern.

Verstärkter Blick auf die Initiation und Strukturierung von Lernprozessen

Empirisch ist bislang noch wenig erforscht, was Schülerinnen und Schüler aus dem Angebot des Religionsunterrichts aufnehmen und konkret verarbeiten (vgl. HENNECKE 2012, 80). Nach der Studie von Bucher wird der Lerneffekt im Religionsunterricht in erster Linie von der wahrgenommenen Intensität der Themen und der religiösen Sozialisation beeinflusst, dann von traditionellen Lernformen wie »Geschichten aus der Bibel hören«, »im Religionsbuch lesen«, »Hefteintrag« oder »Beten« – vor allem wenn diese Tätigkeiten darüber hinaus noch zu den persönlichen Lieblingsbeschäftigungen der Schülerinnen und Schüler gehören – und im Vergleich etwas geringer von ästhetischen und gestalterischen Tätigkeiten trotz größerer Beliebtheit unter den Lernenden (vgl. BUCHER 2000b, 102).

Hennecke gelangt bei ihrer fallanalytischen Untersuchung zu Wirkung und Ertrag des Religionsunterrichts bei Schülerinnen und Schülern der dritten Jahrgangsstufe zu dem Ergebnis, dass sich die Kinder zwar oft an gestalterische Elemente erinnern, aber nur teilweise inhaltliche Bezüge dazu herstellen können (vgl. HENNECKE 2012, 309–311). Die ästhetische und handlungsorientierte Gestaltung von Unterrichtsthemen führt also nicht zwangsläufig zu einer wirksameren oder sogar intensiveren inhaltlichen Auseinandersetzung; vor allem nachstellendes Spiel und musikalische Interpretation verbleiben größtenteils auf der Handlungsebene (vgl. HENNECKE 2012, 341). Hennecke stellt zudem heraus, dass die Inhalte des Religionsunterrichts von den Schülerinnen und Schülern relativ unverbunden und mosaikartig erlebt wie verarbeitet und inhaltliche Zusammenhänge nur schwer geknüpft werden (vgl. HENNECKE 2012, 331). Darüber hinaus beobachtet sie ein mangelndes Vermögen bei Kindern, Erfahrungen und Einsichten, die ihnen im Religionsunterricht zuteilwerden, sprachlich auszudrücken. Die Schülerinnen und Schüler tendieren dazu, religiöse Floskeln und Versatzstücke wiederzugeben (vgl. HENNECKE 2012, 337 f.).

Jedoch gelangen in ihrer Studie auch nachhaltige Lernsituationen in den Blick: So bieten Inhalte mit narrativer Struktur (s. III.3) einen besonderen Erinnerungsanker (vgl. HENNECKE 2012, 309–311) und ebenso unterrichtliche Arrangements, bei denen Kinder ins Nachdenken, Fragen und Hinterfragen kommen (s. II.8). Wenn also Kinder den Lerngegenstand subjektiv und reflexiv anfragen können und wenn Frage- / Problemstellungen emotionale Reaktionen wie z. B. Empörung hervorrufen, entstehen produktive Lernanlässe.

Insofern sollte bei der Frage nach der Inszenierung religiöser Lernprozesse auch deren verantwortete Initiierung und nachhaltige Strukturierung wieder verstärkt reflektiert werden. Hennecke schlägt in dieser Hinsicht, unter anderem basierend auf ihren empirischen Beobachtungen, die Intensivierung folgender gestalterischer Elemente vor, die sich auch in der Diskussion um einen kompetenz-orientierten Religionsunterricht (s. I.6) sowie bei den Kriterien guten Religionsunterrichts (vgl. ENGLERT 2006a; s. III.1) als tragende Säulen wiederfinden lassen: überlegtes Platzieren von Irritationen und Dilemmata bei gleichzeitiger Balance mit dem entwicklungspsychologisch motivierten Wunsch nach geordneten Strukturen (vgl. HENNECKE 2012, 334; 355; s. I.3), Angebot klarer und untereinander wenig interferierender Erinnerungsmechanismen, verstärkter Einsatz von Erzählungen (vgl. BUCHER 2000b, 97; s. III.3), bewusstes Formulieren von Arbeitsaufträgen mit Blick auf Verarbeitungs- und Reflexionsstrategien (entgegen bloßer Anleitung zum Tun), Schulung religiöser Sprach- und Ausdrucksformen (s. II.5), Nutzung des Lernpotenzials von Unterrichtsgespräch und Lehrer-Input (vgl. ENGLERT 2012a), Aufbau einer inhaltlich strukturierten Wiederholungs- und Reflexionskultur, Anleitung zur Metareflexion eigener religiöser Lernprozesse (s. III.1).

Die empirischen Erträge von Hennecke lassen aufmerken, insbesondere wenn man diese in Beziehung setzt zu den Untersuchungsergebnissen von Fölling-Albers u. a. (2008), welche Kinder der dritten und vierten Jahrgangsstufe zur Lernwirksamkeit des von ihnen erlebten Unterrichts befragte. Wird nämlich der Bewertungsfokus der Schülerinnen und Schüler auf die Fragen »Habe ich in dem jeweiligen Fach etwas Interessantes oder Neues dazugelernt?« oder »Habe ich mich in der jeweiligen Unterrichtsstunde erfolgreich gefühlt bzw. als kompetent erlebt?« gerichtet, landet der Religionsunterricht plötzlich auf den hinteren Rängen; nur Deutsch und Mathematik haben den befragten Kindern in dieser Hinsicht noch weniger gut gefallen (vgl. FÖLLING-ALBERS / HAIDER / HAIDER 2008, 339; 343). Anscheinend sind für einige Lernende der persönliche Lernerfolg und der inhaltliche Lernertrag im Fach Religion nicht unmittelbar ersichtlich bzw. direkt zugänglich (s. I.10). Am beliebtesten ist laut dieser Studie mit Abstand das Fach Sport, gefolgt von Kunst und Werken / Textiles Gestalten, die vor allem wegen ihrer grobmotorischen und handlungsbezogenen Lernangeboten hoch geschätzt werden (vgl. FÖLLING-ALBERS / HAIDER / HAIDER 2008, 344). Es stimmt nachdenklich, dass Schülerinnen und Schüler mit dem Religionsunterricht scheinbar einen nur geringen Handlungsbezug verbinden, obwohl gerade dieser in der konzeptionellen Diskussion im Vordergrund stand und Religionslehrerinnen und -lehrer ihren Unterricht gezielt handlungsorientiert inszenieren. Damit stellt sich dem Religionsunterricht in der Grundschule die Aufgabe, sein handlungsorientiertes Profil zu schärfen und Lernsituationen zu arrangieren, in denen Schülerinnen und Schüler Neues wie Interessantes an Religion entdecken und sich als religiös kompetent erleben können.

Zusammenfassung:

In Anbetracht der Erschwernisse des Religionsunterrichts durch eine »veränderte Kindheit« und eines deutlichen Rückgangs religiös-kirchlicher Sozialisation bei der Mehrzahl der Kinder ist es erstaunlich, dass Religionslehrerinnen und -lehrer mit ihrem Beruf weitgehend zufrieden sind und sich den neuen Herausforderungen motiviert stellen. Sie sehen ihre Hauptaufgabe darin, die als religiös ansprechbar wahrgenommenen Kinder zu begleiten, obwohl viele der Meinung sind, die religiöse Sensibilität der Kinder sei weitgehend verschüttet. Dies motiviert zu einem erfahrungs- und handlungsorientierten Religionsunterricht, der Kindern das Gefühl vermitteln will, angenommen zu sein, der auf sie eingeht, ihnen Lebenshilfe anbietet und die Frage nach Gott wachhalten will. Dennoch meinen viele Lehrerinnen und Lehrer, in Sachen Religion und Glauben bei den Kindern letztendlich wenig zu bewirken. Ist der Religionsunterricht in der Grundschule für viele Lehrende heute besonders herausfordernd, zeigt er sich in der Wahrnehmung der Kinder als sehr beliebtes und für ihr Leben wichtiges Fach. Die Effizienz des Religionsunterrichts schätzen sie weniger skeptisch ein als die Lehrenden. Entscheidend für Beliebtheit und Wichtigkeit des Faches sind das Wohlbefinden im Religionsunterricht sowie seine inhaltliche Profilierung und methodische Gestaltung. Das Fach Religion ist umso beliebter, je aktiver Kinder sein können, je handlungsorientierter es sich präsentiert, je herausfordernder seine fachlichen Inhalte sind und je (religiös) kompetenter sich Kinder darin erleben können.

Lesehinweise:

BUCHER, ANTON A. (2000a): Religionsunterricht zwischen Lernfach und Lebenshilfe. Eine empirische Untersuchung zum katholischen Religionsunterricht in der Bundesrepublik Deutschland. Stuttgart/Berlin/Köln.

ENGLERT, RUDOLF / GÜTH, RALPH (Hg.) (1999): »Kinder zum Nachdenken bringen«. Eine empirische Untersuchung zu Situation und Profil des katholischen Religionsunterrichts an Grundschulen. Stuttgart.

HENNECKE, ELISABETH (2012): Was lernen Kinder im Religionsunterricht? Eine fallbezogene und thematische Analyse kindlicher Rezeption von Religionsunterricht. Bad Heilbrunn.

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