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I.5 Ästhetische Bildung – ein unverzichtbarer Blick auf religiöses Lernen
ОглавлениеGeorg Hilger
Um einer Engführung religiöser Bildung zu entgehen, bemüht sich die Religionsdidaktik seit Jahrzehnten, den Religionsunterricht erfahrungsbezogen zu konzipieren (zur historischen Verortung von Erfahrung und Glaube vgl. RITTER, 1989; BITTER 2011, 11–16). Ein erfahrungsbezogener Unterricht beschränkt sich in Theorie und Praxis aber oft darauf, Erfahrungen lediglich zu besprechen: Erfahrungen, andernorts von anderen Menschen gemacht, werden aufgegriffen und als »Material« des Religionsunterrichts verwendet. Das können religiöse Erfahrungen, aber auch zwischenmenschliche, ethische und andere Alltagserfahrungen oder religiös relevante Grunderfahrungen sein, die im Religionsunterricht thematisiert werden, um sie dann mit den in Texten verdichteten Erfahrungen der jüdisch-christlichen Tradition zu korrelieren (s. II.1).
Ein Erfahrungsbezug, der sich auf Erfahrungen außerhalb der Schule bezieht, um diese dann lediglich zu reflektieren, ist aus verschiedenen Gründen auszuweiten: Die fortschreitende Individualisierung von Lebensstilen macht es zunehmend unmöglich, an für alle Schüler gemeinsame Erfahrungen anzuknüpfen. Die lebensgeschichtlichen Erfahrungen der Kinder klaffen immer weiter auseinander (s. I.2). Angesichts einer kaum noch voraussetzbaren gemeinsamen religiösen Sozialisation und angesichts von ausbleibenden gemeinsamen gemeindlich-liturgischen Praxiserfahrungen ist der Religionsunterricht vor die Herausforderung gestellt, religiös-relevante Erfahrungen und religiöse Praxisformen auch anzubahnen. Religionsunterricht wird sich also in behutsamer Weise für religiöse Erfahrungsmöglichkeiten öffnen müssen, wenn er zum Erfahrungsraum werden und die religiöse Erfahrungsfähigkeit der Kinder fördern will (vgl. SCHWEITZER 1994b, 247 f.; zur Beziehung von religiöser und ästhetischer Erfahrung vgl. KROPAČ 2009, 37 f.).
Wenn der Religionsunterricht sich für ein erfahrungsnahes Lernen öffnet, dann wird er im Raum der Schule auf unterschiedliche Umgangsweisen mit Erfahrungswelten treffen. Der Pädagoge Horst Rumpf unterscheidet einen instrumentell und zweckrational geleiteten von einem ästhetisch inspirierten Lernstil. Ersterer zielt darauf, Erfahrungswelten zu beherrschen, sie handhabbar zu machen, Regeln zu unterwerfen: Er drängt im Unterricht auf schnelles Einordnen und Einebnen des Wahrgenommenen, damit Mehrdeutbares und Rätselhaftes eindeutig wird und Lernergebnisse in Tests überprüft werden können. Ein ästhetisch getöntes Lernen und Lehren fördert hingegen eine Aufmerksamkeit, die – so Horst Rumpf – sich betreffen lässt vom Stachel der Fremdheit und Unbekanntheit in Dingen und Widerfahrnissen (vgl. RUMPF 2009, 155 ff.). Ein solches Lernen verzichtet auf schnelles Erklären und Bewältigen von funktionalen Kompetenzen und nimmt Lernen unter der Perspektive einer achtsamen und aufmerksamen Wahrnehmung in den Blick, die das Geheimnisvolle und Rätselhafte nicht ausblendet, Wahrnehmungsgewohnheiten aufbricht und neue Erfahrungsmöglichkeiten und Weltsichten eröffnet. Damit werden Lerndimensionen angesprochen, die unter dem Begriff ästhetisches Lernen zusammengefasst werden können und hierdurch neue Akzente bekommen. Was mit ästhetischem Lernen gemeint ist und worin dessen religionsdidaktische Bedeutung gesehen werden kann, soll in den nächsten Abschnitten dargelegt werden.