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2. Religion und Religionsunterricht im fächerverbindenden Lernen
ОглавлениеDie Grundschule nimmt seit geraumer Zeit fächerverbindende und fächerübergreifende Aufgaben wahr, zu deren Realisierung potenziell alle Unterrichtsfächer – je nach ihren Möglichkeiten – beisteuern sollen. Für den Grundschulunterricht werden in den verschiedenen Grundschullehrplänen der Bundesländer dafür Aufgaben bzw. Themen genannt wie Umwelt/Schöpfung, soziales Lernen/Nächstenliebe, Familie, Jungen und Mädchen, Freundschaft und Sexualität, Stärkung der Persönlichkeit, Bewältigung von Konflikten und Enttäuschungen, miteinander und voneinander lernen, Leben und Lernen mit Behinderung bzw. Behinderten, Frieden und Gerechtigkeit, Schuld, Hass und Gewalt usw. Diese Themen und Aufgaben tauchen nicht nur im Religionsunterricht auf, sondern auch – im Einzelnen sicher unterschiedlich – in anderen Unterrichtsfächern (vgl. auch SCHREINER 2012). Schon für Grundschulkinder grundsätzlich lebensrelevant und allgemein bildend enthalten sie darüber hinaus spezifisch religiös-ethische Aspekte und religiöses Sinnpotenzial. In der Praxis der Grundschule lassen sich denn auch vielfältige Versuche erkennen, die Grenzen des »reinen« Fachunterrichts zu überschreiten, sei es im fächerverbindenden oder fächerübergreifenden Unterricht, im Epochenunterricht oder im projektartigen Arbeiten (s. III.13). Die Lehrplanentwicklung in der Grundschule der letzten Jahrzehnte zeigt deutlich die zunehmende Bedeutung fächerübergreifenden Lernens und Unterrichtens. Themen und Probleme der gegenwärtigen Welt und des Schülerlebens in der Grundschule, wie sie oben aufgeführt sind, stehen in gewisser Weise quer zum herkömmlichen Fächerkanon, lassen sich also nicht in einem Fach vollständig abhandeln, sondern begegnen unter bestimmten Aspekten oft in mehreren Unterrichtsfächern.
Die Fachorientierung und Fächerausdifferenzierung, wie sie auch in der Grundschule üblich ist, erweist sich dabei als ambivalent (vgl. DIETERICH 2002, 195 f.): Einerseits stellt sie eine hilfreiche Ordnungs-, Strukturierungs- und Entlastungsmöglichkeit dar, hilft also Schülerinnen und Schülern bei der Aneignung von Welt in ihrer Komplexität, indem sie diese zum besseren Begreifen in einzelne Fächer mit ihrem je eigenen domänen- bzw. fachspezifischen Anspruch »verpackt«, andererseits kann dies aber auch eine »verhängnisvolle« Aufteilung, Zersplitterung und Zertrennung der einen Wirklichkeit in miteinander unverbundene Teile zur Folge haben. Da aber Leben, Wirklichkeit und Themen und in der Regel nicht auf Fächer aufgeteilt vorkommen, ruft – um Zusammenhänge zu erkennen und lebensrelevante Probleme bestehen zu können – der auf Fächer aufgeteilte Unterricht nach Fächerverbindung.
Aus diesem Grund ist die Verstärkung fächerverbindenden und fächerübergreifenden Lernens in der Grundschule, aber nicht nur da, positiv zu sehen: »Wegen der Verschränkung von Religion und Leben, Glaube und Alltag, Kirche und Gesellschaft überschneiden sich« die Gegenstände des Religionsunterrichts zu Recht »längst mit denen anderer Fächer« (EKD 1997, 3). Umgekehrt machen fächerverbindende Lernformen den spezifischen Fachunterricht, auch den in Religion, nicht überflüssig, setzen ihn vielmehr im Sinne von notwendiger »Sachlichkeit« als Raum systematischen Lernens voraus (vgl. EKD 2000, 8; SCHREINER 2012, 192). Aus diesem Grunde bemühen sich Schulen auf der Suche nach neuer »Allgemeinbildung« als dem uns wirklich »gemeinsam Angehenden« (vgl. KLAFKI 1985, 18) seit fast drei Jahrzehnten, über Fächerunterricht herkömmlicher Art und Fächergrenzen hinaus gemeinsam Angehendes aufzuspüren und für Schülerinnen und Schüler sinn- und wirklichkeitserschließend zu »verhandeln«. Solche fächerverbindenden und fächerübergreifenden Lernformen sind aus schulpädagogischen Reformansätzen reformpädagogischer Herkunft erwachsen (vgl. RITTER 1999). Gegen die zunehmende Parzellierung von Schulbildung in Fächer setzte die klassische Reformpädagogik seit 1900 andere lebens- und kindorientierte ganzheitliche Lernformen. Für den Bereich der Grundschule wurde Berthold Ottos Gedanke eines Gesamtunterrichts bedeutsam. Mit den 1980er-Jahren kehren diese Ideen wieder auf die grundschulpädagogische Tagesordnung zurück und finden heute nicht zuletzt infolge von Wolfgang Klafkis Konzept der »epochaltypischen Schlüsselprobleme« (KLAFKI 1996, 43–81) nicht nur in der Grundschule große Beachtung. Der Reiz und die Notwendigkeit fächerverbindender und fächerübergreifender Lernformen liegen darin, dass so damit Ernst gemacht wird, dass Leben und die Wirklichkeit, wie sie im Unterricht der Grundschule behandelt werden, nicht in Wirklichkeitssegmente und Fächer gesplittet, sondern in ihrer Komplexität vorkommen. Evangelischer wie Katholischer Religionsunterricht sind aufgrund ihres Selbstverständnisses (s. I.1), wo immer möglich, an einer sinnvollen »Verknüpfung, Vernetzung und Integration seiner Inhalte und Zielsetzungen mit denen anderer Fächer« (FISCHER 2001b, 92) interessiert und daran, dass die Bedeutung christlicher Religion in und für verschiedenste Lebenszusammenhänge deutlich wird. Letzteres kann sich vor allem dort ereignen, wo Grundschulunterricht sich zugunsten von Lernfeldern bzw. Lernbereichen öffnet.
Von fächerübergreifendem Lernen oder Unterricht sprechen wir dann, wenn in einem Fach (z. B. Religion oder Deutsch usw.) von einer Lehrkraft Inhalte, Methoden und Medien mit berücksichtigt werden, die zu mehreren Fächern gehören. Damit schaut der Fachunterricht Religion oder Deutsch gewissermaßen über seinen Tellerrand hinaus, bleibt allerdings auf die Klasse bzw. Lerngruppe und auf das Fach bezogen. Im Unterschied dazu werden im fächerverbindenden Unterrichten und Lernen ein weiteres Fach oder mehrere Fächer, eine weitere Lehrkraft oder mehrere Lehrkräfte in die Planung und Durchführung dieses Unterrichts mit einbezogen (vgl. auch SCHREINER 2012, 193 ff.). Dadurch werden die Kooperations- und Austauschmöglichkeiten erheblich intensiviert, was allerdings auch mit einem beträchtlichen Maß an organisatorischer Vorbereitung einhergeht (vgl. WILLERT 2002).