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3. Die Verantwortung und Mitwirkung der Religionsgemeinschaften (Kirchen)
ОглавлениеArt. 7 Abs. 3 Satz 2 GG stellt den Religionsunterricht auch in den »Verantwortungsbereich der Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften« (EKD 1994, 87) und sichert ihnen seine inhaltliche Ausgestaltung zu. In unserem Zusammenhang heißt dies: Die Kirchen sind personaliter an den entsprechenden Lehrplankommissionen ebenso beteiligt wie an der materialen Ausgestaltung der Lehrpläne, sie entscheiden mit über die Zulassung von Lehrmitteln, und staatliche (wie auch kirchliche) Lehrkräfte mit Fach Religion bedürfen der kirchlichen »Zustimmung« (Missio Canonica bzw. Vocatio), damit sie Religionsunterricht erteilen können.
»… in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften«
Infolge von Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG entscheiden die Kirchen resp. Religionsgemeinschaften entsprechend ihrer »Grundsätze« über Inhalte und Ziele des Unterrichtsfaches Evangelische bzw. Katholische Religionslehre. Wo menschliche Existenz (nicht nur religionsunterrichtlich) in ihren Grundsituationen und Grundfragen behandelt wird, geschieht dies im Kontext und auf der Basis bestimmter Grundannahmen, eines Referenzrahmens, genauer: einer konkreten Religion und Konfession (s. I.1). Nach katholischem Verständnis partizipiert das Bekenntnis des Einzelnen am Bekenntnis der Kirche, »indem der Christ dem zustimmt, was die Kirche durch ihr Lehramt als christlichen Glauben verbindlich verkündigt« (FRIELING 1999, 40; vgl. DBK 1996, 37 ff.). Evangelischerseits gibt es zwar auch ein »Kirchenbewusstsein, das die Konfession als Institution betont«, doch geht die Evangeliumsverkündigung »nie in der kirchlichen Lehre, in Dogmen und Bekenntnissen auf« (FRIELING 1999, 41). Gibt es dergestalt unterschiedliche Konfessionen, dann resultiert daraus und aus dem hier angeführten Passus des Grundgesetzes die Praxis des nach Konfessionen getrennten Religionsunterrichts (auch) in der Grundschule. Mit einem breiten theologischen und religionspädagogischen Konsens, aber auch nach herrschender juristischer Lehre spricht derzeit viel – nicht alles! (s. auch unter 4.) – für einen konfessionell verantworteten Religionsunterricht, nicht zuletzt deswegen, weil eine »allgemeine« Religion in Alltag und Lebenswelt nicht vorkommt und ein »allgemeines« Fach Religion von seinen Gegenständen her – gerade für Grundschülerinnen und -schüler – kaum überschaubar wäre. Demzufolge erscheint es der »Sache«, die eine Konfession bzw. Religionsgemeinschaft vertritt, »angemessen, dass sie von dieser Religionsgemeinschaft authentisch selbst interpretiert und im Unterricht dargestellt wird« (BITTER u. a. 2006, 15). Dies entspricht den Glaubensquellen der jeweiligen Konfession, dient aber auch den Heranwachsenden, weil sie die evangelische und katholische – ggf. auch jüdische und muslimische – Glaubens- und Lebenssicht »jeweils in eigenständigen Fächern aus erster Hand kennenlernen« (ebd.). Nachgerade in der Grundschule, welcher der Bezug zum gelebten Leben – und im Falle des Religionsunterrichts auch zum gelebten Glauben – wichtig ist, muss die Begegnung mit (Phänomenen) gelebter Religion breiten Raum einnehmen: Hier wird das Spezifische einer Konfession sichtbar (s. II.10). Dies meint einen Religionsunterricht in konfessioneller Gebundenheit und nicht in abstrakter Neutralität oder (pluralistischer) Beliebigkeit. Steht dergestalt eine Konfession im Zentrum des Religionsunterrichts, die so die Orientierung an und in einer Konfession bzw. Glaubensgemeinschaft ermöglicht, so ist damit gleichwohl das religiös Andere und Unterschiedene auch im Religionsunterricht der Grundschule nicht auszuschließen, eben weil sich religiöse Identität bei Schülerinnen und Schülern nur in der Begegnung mit der »eigenen«, aber auch im Kontakt mit anderen Konfessionen bzw. Religionen prozessual entwickelt. Dazu braucht es neben einer Kultivierung des Gemeinsamen und Einenden auch den wachen Blick für das Unterscheidende. Mit dem konfessionellen Religionsunterricht sollen die Schülerinnen und Schüler nicht autoritär in ein religiös-konfessionelles Korsett gezwängt werden, sondern lernen, sich – inmitten religiöser und weltanschaulicher Vielfalt – eigenständig zu orientieren. Dies aber ist durch die vom Grundgesetz bislang vorausgesetzte konfessionelle Gebundenheit des staatlichen Religionsunterrichts gerade nicht ausgeschlossen: Religiös orientieren können sich (nicht nur, aber gerade) Grundschülerinnen und -schüler einem breiten religionspädagogischen Konsens zufolge eher in einem bekenntnisbezogenen Religionsunterricht als in einem pluralen und allgemeinen Fach Religion. Solche Konfessionalität ist alles andere als Gesinnungszwang. Der von der Verfassung her nämlich »gebotene Schutz vor individuell unerwünschter religiöser Beeinflussung ist nicht durch eine Pluralisierung der Unterrichtsinhalte zu gewährleisten, sondern durch die Möglichkeit freier und sanktionsloser Abmeldung vom Religionsunterricht« (KÄSTNER 2003, 21).
Auf jeden Fall schließt der Passus »in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften« einen (religiös) neutralen Religionsunterricht aus, verlangt vielmehr theologisch wie juristisch nach identifizierbarer und ausweisbarer konfessioneller Positionalität. Juristischer- und staatlicherseits gibt es eine hohe Neigung, diese »Grundsätze« als verbindliche Normen zu verstehen. Demzufolge müsste Religionsunterricht »ein bekenntnisgebundener, dogmatischer Unterricht sein, und zwar auch in dem Sinne, dass die Heilslehre und die sonstigen Glaubenssätze mit absolutem Geltungsanspruch vorgetragen werden« (MANGOLDT/KLEIN 1957, 284). Zumindest die evangelische Kirche hat diesbezüglich schon 1971 darauf hingewiesen, dass zwar unter den »Grundsätzen der Religionsgemeinschaften« im Sinne der Weimarer Verfassung in der Tat ursprünglich »positive Lehrsätze und Dogmen« verstanden worden seien, diese Auffassung jedoch schon zum damaligen Zeitpunkt nicht dem Stand der evangelisch-theologischen Wissenschaft entsprochen habe. Vielmehr müsste diese Formulierung im Horizont aktueller »theologischer und pädagogischer Praxis« (EKD 1972, 124) interpretiert werden.
Insgesamt muss dieser Passus bezüglich des schulischen Religionsunterrichts so lange nicht als problematisch empfunden werden, wie die Kirchen resp. Religionsgemeinschaften die konfessionelle Bindung nicht im Rahmen ihrer Mitwirkungsrechte gegen die Bedingungsmöglichkeiten freier schulischer Lern- und Bildungsprozesse ausspielen. Das heißt: Lehren und Lernen von Religion müssen im Raum der Schule frei geschehen können, also ohne Glaubens- und Gewissenszwang.
Die zwei- bzw. dreifache konfessionelle Gebundenheit des Religionsunterrichts
In evangelischem Verständnis ist die Bekenntnisgebundenheit des Faches grundsätzlich zweifach, durch das entsprechende Bekenntnis der Religionslehrkraft und durch die konfessionsentsprechende Entfaltung der Unterrichtsinhalte, gegeben; hinsichtlich der Schülerinnen und Schüler ist evangelischer Religionsunterricht auch für Kinder offen, die nicht evangelisch sind (vgl. EKD 1994). Nach katholischem Verständnis ist der Religionsunterricht dreifach konfessionell gebunden: durch die Konfessionalität der Religionslehrkraft, der Unterrichtsinhalte und der Schülerinnen und Schüler bei gleichzeitiger vorsichtiger Öffnung auch für konfessionell nicht gebundene Schülerinnen und Schüler (vgl. DBK 1996).
Religionsunterricht – sachlich, aber nicht persönlich obligatorisch
Der Religionsunterricht ist einerseits an den Schulen sachlich-rechtlich garantiert und als Fach obligatorisch, gleichzeitig ist er das einzige Schulfach, das nicht persönlich – weder für Schülerinnen und Schüler noch für Lehrkräfte – verpflichtend gemacht werden kann. Das heißt, dass aufgrund von Art. 4 Abs. 1 GG den Schülerinnen und Schülern (bzw. den Erziehungsberechtigten; vgl. Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG) zusteht, über ihre Teilnahme oder Nichtteilnahme am Religionsunterricht frei zu entscheiden. Gleichermaßen darf keine Lehrkraft gegen ihren Willen gezwungen werden, Religionsunterricht zu erteilen. Damit sind in der Lösung des Grundgesetzes zwei Prinzipien zum Ausgleich gebracht, dass nämlich einerseits in Erziehung und Schule auf Religion nicht verzichtet werden soll, gleichzeitig aber die Glaubens- und Gewissensfreiheit von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern geschützt wird.
»Vocatio« und »Missio Canonica«
Der Umstand, dass der Religionsunterricht in Verantwortung von Staat und Kirchen steht, konkretisiert sich noch einmal in der Gestalt der Religionslehrkraft: Die staatlichen Religionslehrerinnen und -lehrer für Evangelische und Katholische Religionslehre brauchen (ebenso wie selbstverständlich auch die kirchlichen Kräfte) nicht nur eine staatlich bestätigte Lehrbefähigung, sondern auch eine entsprechende kirchliche Beauftragung oder Bevollmächtigung für ihr Fach: im evangelischen Bereich Vocatio (»Berufung«), im katholischen Bereich Missio canonica (»Sendung«) genannt (vgl. ADAM 2012, 302; ZIEBERTZ 2010c, 211 f.). Diese setzt zunächst einmal voraus, dass die Religionslehrkraft der betreffenden Konfession angehört, in deren Namen sie den Religionsunterricht erteilt. In den weiteren Bestimmungen unterscheiden sich evangelische und katholische Kirche etwas: Für das evangelische Religionslehramt ist in den meisten evangelischen Landeskirchen die Vocatio die verbindliche Form der Beauftragung (vgl. EKD 2000, 15). Erst mit ihr darf eine Religionslehrkraft, die die staatliche (oder kirchliche) Lehrbefähigung für den Religionsunterricht erlangt hat, das Fach auch unterrichten. Konkret sieht das so aus, dass für die Zeit der sogenannten zweiten Phase (Lehramtsausbildung) kirchlicherseits eine vorläufige Bevollmächtigung oder Berufung ausgestellt wird, und dann nach abgeschlossener Ausbildung und zweitem Examen (und Anstellung im Schuldienst) die endgültige Vocatio erteilt wird. In aller Regel wird dies in einer gottesdienstlichen Feier begangen, während der die Vocatio-Urkunde überreicht wird. Die Möglichkeit einer Entziehung der Vocatio ist kirchengesetzlich fixiert. War seit den 1940er-Jahren die Vocatio durchaus auch ein kirchliches Kontrollinstrument, so hat sich dies im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts geändert. Im Vordergrund steht jetzt wirklich die Berufung der Religionslehrkraft seitens der Kirche, der Zuspruch des Evangeliums an sie sowie das Angebot der Begründung eines Vertrauensverhältnisses (vgl. EKD 1972, 126). Die Vocatio soll m.a.W. die Beziehungen zwischen Kirche und Religionslehrkraft vertiefen. Ausdruck dieser Bemühungen sind kirchlicherseits Beratungs- und Fortbildungsangebote auf Orts- und Gemeindeebene, aber auch in den entsprechenden religionspädagogischen Zentren oder Instituten. So ist die Vocatio »ein Zeichen kirchlicher Wertschätzung für einen schwierigen Dienst im Schnittfeld von Kirche und Gesellschaft« (EKD 2000, 15). Gleichzeitig sind die Religionslehrkräfte aber auch gebeten, »ihre Fähigkeiten und Erfahrungen in die Kirche einzubringen« (EKD 2000, 16).
Für das katholische Religionslehramt erhält die Religionslehrkraft zu Beginn des Referendariats die vorläufige kirchliche Lehrerlaubnis und nach erfolgreich abgelegtem zweiten Staatsexamen die notwendige Missio Canonica vom zuständigen Ortsbischof. Auch sie wird im Rahmen eines Gottesdienstes urkundlich überreicht. Entsprechende Rahmenrichtlinien für ihre Verleihung sind bundeseinheitlich geregelt; Kriterien für die Verleihung der Missio sind:
Die Religionslehrkraft ist bereit, den Religionsunterricht in Übereinstimmung mit der Lehre der katholischen Kirche zu erteilen.
Die Religionslehrkraft beachtet in ihrer persönlichen Lebensführung die Grundsätze der Lehre der katholischen Kirche.
Dabei ist die Beziehung zur Ortskirche von Bedeutung, da mit der Erteilung der Missio konkrete kirchliche Erwartungen an das fachliche wie persönliche Handeln der Religionslehrkraft verbunden sind.
In der Praxis sieht das so aus: Die Religionslehrkraft muss einen Antrag auf Erteilung der »endgültigen« Missio an den Bischof stellen, wenn sie das zweite Staatsexamen bestanden hat. Hinsichtlich der formalen Prozedur erteilen die Mentorate bzw. auch die bischöflichen Schulämter Auskunft. Auch der Missio inhäriert dabei der Vergewisserungs- und Unterstützungsgedanke, der in der Veranstaltung von Fortbildungskursen und der Bereitstellung von Unterrichtsmaterial seitens der bischöflichen Schulämter oder religionspädagogischer Zentren zum Ausdruck kommt.
Insgesamt: Missio und Vocatio formulieren katholischerseits wie evangelischerseits einen Zuspruch, aber auch einen Anspruch an die Religionslehrerinnen und -lehrer, und sie wollen ein Schutzinstrument für Religionslehrkräfte und Religionsunterricht gegenüber staatlichen Ein- und Übergriffen sein.