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4. Mögliche Missverständnisse
ОглавлениеEine ästhetisch inspirierte Religionsdidaktik hat dazu beigetragen, Einseitigkeiten religiöser Bildung in den Blick zu nehmen und zu überwinden: ein verengtes zweckrationales Verständnis von Unterricht, das sich auf überprüfbaren »Output« konzentriert, die Dominanz eines einseitig kognitiven Lehrens und Lernens sowie eines belehrenden Religionsunterrichts, der sich auf Instruktion von theologischer Lehre beschränkt. In der Religionsdidaktik ist die Diskussion um den Begriff der Ästhetik in vielen praxisrelevanten Zusammenhängen aufgegriffen worden und hat zu einem kindgerechten Unterricht beigetragen. Ein wahrnehmungssensibler und gestaltgebend-ausdrückender Religionsunterricht würde aber neuen Engführungen verfallen, wenn der Diskurs um den Geltungsanspruch der Inhalte im Sinne des Elementarisierungskonzepts vernachlässigt würde (s. II.1). Zu einem ästhetischen Lernen gehört ja im Sinne von »Katharsis« (s. o.) ein Diskurs um Wahrheitsansprüche und deren Bedeutung für das Leben. Ästhetische Bildung im hier gemeinten Sinne hat also mit oberflächlichem Ästhetizismus, unkritischer Irrationalität und einer Geringschätzung der Inhalte des Glaubens wenig zu tun (vgl. dazu KUNSTMANN 2011, 55 f.; KROPAČ 2009; ENGLERT 2013b, 42 f.).
Die Diskussion um ästhetisches Lernen hat zu einer Rehabilitation von subjektiv gefärbten und emotional getönten Lernprozessen geführt. Entstehen dadurch neue Einseitigkeiten durch einen unterbelichteten kognitiven Anspruch? Dass ästhetisches Urteil mit Kognition verbunden ist, folglich Emotionalität und Rationalität nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, daran muss vielleicht erinnert werden.
Theorien ästhetischer Didaktik nehmen eine Vielzahl von Aspekten des Lehrens und Lernens in den Blick (vgl. KROPAČ 2013). Dies ist eine didaktisch inspirierende und integrierende, aber dennoch spezifische Perspektive. Angesichts der Komplexität von religiösen Bildungsprozessen will und kann ästhetisches Lernen keinen Anspruch erheben, eine alles integrierende Super-Didaktik zu sein.
Zusammenfassung:
Religionsunterricht unter dem Vorzeichen von ästhetischer Bildung meint erfahrungsbezogenes Lernen, das möglichst alle Sinne einbezieht, das die Wahrnehmung für das Gegebene, das Anvertraute wie das Fremde und den Sinn für das Mögliche fördert. Ästhetische Bildung stärkt die Fähigkeit, Leben und Welt anzunehmen, mitzugestalten sowie der eigenen Religiosität und dem Glauben sinnliche Gestalt zu geben. Dies fördert die Subjektwerdung von Kindern zu eigenständigen und unverwechselbaren Persönlichkeiten. Religionsunterricht ist somit unter recht unterschiedlichen Vorzeichen »ästhetisch«, nämlich dann, wenn z. B. die Form-Inhalt-Relation bei der Gestaltung eines Festes bewusst beachtet wird, wenn mit Hand, Kopf und Herz gelernt wird, wenn die Kinder alltägliche und religiöse Symbole in ihrer ganzen Sinnenhaftigkeit wahrnehmen und selber Symbole bilden, wenn sie im expressiven Spiel, im kreativen Schreiben, im bildnerischen Gestalten, in Tanz und Bewegung ihren Erfahrungen und Wahrnehmungen Ausdruck verleihen, wenn sie sich im Rahmen eines Projekts für eine sinnvolle Sache engagieren, wenn sie lernen, etwas mit einem anderen Blick zu sehen, mit einem anderen Ohr zu hören, wenn sie Stellung beziehen oder sich und andere in Bewegung setzen. Religionsunterricht wird »ästhetisch«, wenn er biblisch inspirierte Sehvorschläge ins Spiel bringt, sich als »Sehschule« (LANGE 1977) versteht, um Welt und Leben anders wahrnehmen zu lernen, wenn er Anregungen gibt, sich auf Gottes liebevollen und parteiischen Blick auf die Welt und die Menschen einzulassen.
Lesehinweise:
GÄRTNER, CLAUDIA (2009): Was leistet ästhetisches Lernen? Wegmarkierungen in einem weitläufigen religionspädagogischen Feld. In: RpB 62, 15–25.
KUNSTMANN, JOACHIM (2011): Die Vernunft einer ästhetisch orientierten Religionspädagogik. Zeitgemäße Anbahnung und unbewusste Verhinderung religiöser Bildung. In: RpB 66, 47–59.