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2. Religionsdidaktik und ästhetische Bildung
ОглавлениеViele religionsdidaktische Reformimpulse der letzten Jahrzehnte betonen das Sinnhafte und Zweckfreie, das Spielerische und Imaginative, das Schauen und Meditieren, das Musizieren und Spielen, das künstlerische Gestalten und ganzheitlich leib-seelische Äußerungen sowie praktisches Lernen und das Brauchtum in ihrer Bedeutung für den Religionsunterricht (vgl. LANGE 1995, 342).
George Reilly sieht die religionsdidaktische Bedeutung ästhetischer Bildung vor allem in der Entwicklung einer elementaren Sensibilität für die religiöse Dimension der Wirklichkeit und betont für die Inhalte und für die Unterrichtsformen des Religionsunterrichts, dass diese Sensibilisierung wörtlich zu nehmen sei: »Weil sie nicht eine Sensibilisierung für eine abstrakte Idee, sondern für das sinnlich-leidenschaftliche Verwickeltsein Gottes und des Menschen miteinander ist, muss dieses sinnliche Verwickeltsein für die Religionsdidaktik leitend sein« (REILLY 1988, 60). Dies schließt auch mit ein, den eschatologischen Charakter von Wirklichkeit anzunehmen als Handlungsimpuls für den Versuch, Wirklichkeit neu und menschlicher zu gestalten im Sinne einer eschatologisch-theologischen Ästhetik als einer Kunst der Wahrnehmung, die sich auf das ausrichtet, was ist, es aber unter zugleich unter der Perspektive des kommenden Reiches Gottes betrachtet (vgl. DEEG 2012, 132 f.; s. II.3).
Erich Feifel fordert unter dem Vorzeichen einer religionspädagogischen Ästhetik, den Gestaltcharakter von Wirklichkeit und die Leibhaftigkeit der Botschaft des Glaubens zu erschließen. Das bedeutet auch, dass in Lernprozessen unter ästhetischem Vorzeichen nicht mehr länger nach einem Inhalt durch die Form hindurch oder an ihr vorbei gefragt werden kann (vgl. FEIFEL 1992, 8).
Die Verschmelzung von Inhalt und Form, von Gehalt und Gestalt kann so als das unterscheidend Ästhetische angesehen werden: »Der Inhalt ist Form und umgekehrt« (GRÖZINGER 1991, 124). Diese folgenreiche Aussage bedeutet für religionsdidaktisches Handeln, dass auch unterrichtliches Handeln hohe Affinitäten zu künstlerischer Gestaltung hat. Es wird auf die Stimmigkeit von Inhalten (Gehalt) und Lernformen (Gestalt) zu achten sein, anders ausgedrückt: Inhalts- und Zielfragen einerseits und Methodik andererseits lassen sich nicht voneinander ablösen, vor allem nicht über- bzw. unterordnen.
Joachim Kunstmann betont eine ästhetische Vernunft als Ergänzung zu einem rationalen Weltverständnis, welche dem Subjektiven, der Imagination (s. III.5), der Fantasie, dem Spiel (s. III.8) eine hohe Bedeutung für Bildungsprozesse einräumt, als über das Kindesalter hinaus bleibende Bedingung auch für die rationale Vernunft. Religiöse Bildung kann auf ästhetisches Lernen nicht verzichten, weil Religion durch ihre poetische und metaphorische Sprache, ihre Liturgie und ihre reiche Symbol- und Bilderwelt eine »ästhetische Signatur« hat (vgl. KUNSTMANN 2002, 56 f., 347–410; KUNSTMANN 2011, 50–53).
In der Theologie ist die Ästhetik erst durch das zunehmende Interesse an der Sinnlichkeit des Glaubens zu einem wichtigen Thema geworden. Wer die Wirklichkeit des Lebens Jesu als Ikone des unsichtbaren Gottes (Kol 1,15) und Offenbarung als Selbstmitteilung Gottes versteht, der wird keine Theologie betreiben können, ohne die greifbare Leibhaftigkeit der Gotteswahrheit und die Konkretheit des Reiches Gottes aufspüren zu wollen. Die Provokationen, die in Jesus Christus Gestalt gewonnen haben, fordern zum »Anders-Sehen« und Wahrnehmen des Mitmenschen und der Wirklichkeit heraus. Das bedeutet auch, sich Augen und Sinne öffnen zu lassen für das, was bisher nicht wahrnehmbar war, und von Jesus Christus her neu zu sehen und neu zu erleben, was das Leben und die Welt zutiefst bestimmt (vgl. WERBICK 1992, 25 f.).
Was hier als Herausforderung für die Theologie genannt wird, kann religionsdidaktisch unter dem Vorzeichen einer religiösen Wahrnehmungs- und Ausdrucksschulung aufgegriffen werden, die hilft, Welt und Leben anders wahrzunehmen und zu gestalten als gewohnt: ein Gespür und eine Intuition zu entwickeln für eine andere oder bessere Welt (s. II.3; III.5). Einige Elemente eines solchen sinnlichen und sinnvollen Religionsunterrichts sollen im Folgenden dargestellt werden.