Читать книгу Religionsdidaktik Grundschule - Konstantin Lindner - Страница 22

2. »Schwieriger, aber wichtiger denn je« – Religionsunterricht in der Sicht von Lehrenden

Оглавление

Seit den 1990er-Jahren mehren sich Befragungen von Religionslehrerinnen und -lehrern an Grundschulen (zum Forschungsstand vgl. LÜCK 2002, 198–222). Die differenziert angelegte »Essener Umfrage« (ENGLERT / GÜTH 1999) bezieht sich auf katholische Religionslehrerinnen und -lehrer an Grundschulen im Bistum Essen und zeigt, dass viele Lehrende die problematische Seite der »veränderten Kindheit« umtreibt und sie die Grundschule keineswegs als ein religionspädagogisches Idyll erleben. Andererseits zeigen sie ein hohes Maß an beruflicher Zufriedenheit und Motivation, Religionsunterricht zu erteilen (vgl. ENGLERT / GÜTH 1999, 49 f.). Dies bestätigt ebenso eine Umfrage aus dem Jahr 1997 bei katholischen Religionslehrerinnen und -lehrern in Bayern (vgl. SCHMID 1998, 6). Auch die von Christhard Lück befragten evangelischen Religionslehrerinnen und -lehrer an Grundschulen zeigen eine hohe Motivation, Berufserfahrene stimmen sogar mehrheitlich darin überein, dass sie das Fach »jetzt lieber als früher« unterrichten (vgl. LÜCK 2003, 287–310). Wie passt das zusammen?

Sicht auf die Schülerinnen und Schüler: Arbeits- und Sozialverhalten, religiöse Sozialisation und Ansprechbarkeit

Lehrende gehen davon aus, dass Kinder heute in einem größeren Maße psychischen Belastungen ausgesetzt sind und sich bestimmte Verhaltensweisen verschlechtert haben. Besonders negativ wird dabei das Arbeitsverhalten heutiger Schülerinnen und Schüler bewertet, im Besonderen ihre mangelnde Konzentrationsfähigkeit und Belastbarkeit. Aber auch dem kindlichen Sozialverhalten (Rücksichtnahme und Gemeinschaftsfähigkeit) werden aus Sicht heutiger Religionslehrerinnen und -lehrer schlechtere Noten erteilt, wobei Lehrer deutlich negativer urteilen als Lehrerinnen und Religionslehrkräfte in Kleinstädten eher negativ als solche in Ballungsräumen. Da aber auch »ReligionspädagogInnen in der Gefahr stehen, gängige Topoi über heutige Kinder fortzuschreiben« (BUCHER 2000b, 85), darf die Negativdiagnose zum Arbeits- und Sozialverhalten nicht dazu verleiten, so die durchschnittlichen Grundschülerinnen und -schüler zu charakterisieren (vgl. ENGLERT / GÜTH 1999, 71). Aufgrund der genannten Voraussetzungen wird das Unterrichten als schwieriger eingestuft und die veränderten Bedingungen verlangen, sich den einzelnen Kindern verstärkt zuzuwenden, ihnen das Gefühl des Angenommenseins zu vermitteln, den Unterricht aufzulockern und Differenzierungs- bzw. Individualisierungsangebote zu machen. Die gleichen so anstrengenden Schülerinnen und Schüler werden aber zugleich von nicht wenigen für selbstständiger, aufgeschlossener, fantasievoller und spontaner gehalten als frühere Schülergenerationen, wobei die größere Spontaneität der Kinder durchaus auch unterrichtliche Probleme bereiten kann (vgl. ENGLERT / GÜTH 1999, 69 ff.).

Für religiöse Lernprozesse ist insbesondere die Frage nach der religiösen Ansprechbarkeit der Kinder relevant. Auch hierbei wissen Grundschullehrerinnen und -lehrer zu unterscheiden. Sie sehen realistisch die Phänomene einer veränderten religiösen Sozialisation im Hinblick auf christlich-religiöse Vorprägungen aus Familie und Kirchengemeinde (s. I.9). Die stärksten Verbindungen stellen noch die Kasualien (Taufe, Hochzeit, Beerdigung usw.) dar, die schwächsten Gemeindeleben, Gebet und Gottesdienst. Trotzdem schätzen drei Viertel aller Lehrenden die Kinder als religiös ansprechbar ein (vgl. ENGLERT / GÜTH 1999, 74 f.), obwohl viele der Meinung sind, die Kinder nähmen den Religionsunterricht weniger ernst als andere Fächer und ihre religiöse Sensibilität sei weitgehend verschüttet (vgl. LÜCK 2003, 151 f.). Andreas Feige und Werner Tzscheetzsch gelangen in ihrer Befragung baden-württembergischer Religionslehrerinnen und -lehrer zu dem Resümee, dass unter der Lehrerschaft der Primarstufe keine vehementen Klagen zu verzeichnen sind. Zwar wird der schul-externe Kontext, vor allem die mangelnden religiösen Vorkenntnisse der Kinder, am ehesten als Störung gewertet; aber im Vergleich zu Religionslehrerinnen und -lehrern der Sekundarstufe sehen sie kaum Anlass, über Geringschätzung oder Desinteresse von Seiten der Schülerschaft zu klagen (vgl. FEIGE / TZSCHEETZSCH 2005, 45 f.). Eine Mehrheit der Lehrenden sieht es vielmehr als Chance, mit den Kindern in der Primarstufe an einem »Nullpunkt« anfangen zu können, und nennt den Mangel an kirchlicher Sozialisation als Grund dafür, den Religionsunterricht heute im Vergleich zu früher als noch wichtiger anzusehen. Daraus lassen sich ein hohes Maß an Motivation und ein »missionarischer« Impetus ablesen, sich für den Religionsunterricht zu engagieren. Gestützt wird diese Motivation auch durch die Überzeugung, Religionsunterricht sei wichtig bzw. sehr wichtig für den schulischen Bildungsauftrag. Dies wird in einen Zusammenhang gebracht mit den besonderen Möglichkeiten des Faches Religion, nämlich »Impulse gegen den Trend« zu setzen, ohne »Stoff- und Leistungsdruck« unterrichten sowie die »Beziehungs- und Inhaltsdimension von Unterricht« besonders gut aufeinander beziehen zu können (vgl. ENGLERT / GÜTH 1999, 69–83).

Sicht auf die Struktur des Religionsunterrichts: Konfessionell oder ökumenisch?

Wie schätzen Religionslehrerinnen und -lehrer an Grundschulen die Auswirkungen religiöser Pluralisierung auf die Struktur ihres Faches im Hinblick auf das Konfessionalitätsprinzip ein (s. II.10)? Sowohl bei einer (knappen) Mehrheit der evangelischen als auch der katholischen Religionslehrerinnen und -lehrer zeichnet sich eine zunehmende Parteinahme für einen »ökumenischen« bzw. »konfessionell-kooperativen« Religionsunterricht ab: vor allem bei den unter 40-Jährigen (vgl. ENGLERT / GÜTH 1999, 171), im Hinblick auf die ersten beiden Schuljahre und bei Lehrenden an Schulen, wo dieser bereits praktiziert wird (vgl. LÜCK 2003, 390). Darin drückt sich ein pädagogisches Interesse an Integration aus und die Absicht, eine rein äußere Differenzierung der neu gebildeten Lerngruppe möglichst weit hinauszuschieben. Durch eine stärkere evangelisch-katholische Kooperation werden vor allem ökumenische Fortschritte erhofft (vgl. ENGLERT / GÜTH 1999, 97; LÜCK 2003, 222 f.). Selbst wenn die Frage nach der Konfessionalität des Religionsunterrichts bei der Lehrerschaft kontrovers diskutiert wird (vgl. SCHMID 1998, 8; WEIDENTHALER 1998, 56; LÜCK 2002, 212 f.), besteht ein weitgehender Konsens darin, konfessionelle Bezüge (z. B. Kirchenjahr, Kasualien, Heilige) sowie eine kirchliche Bindung des Religionsunterrichts zu befürworten.

Die Lehrenden hegen deutlich Präferenz für kooperative Varianten im Religionsunterricht, welche einerseits die konfessionelle Identität wahren und die mögliche Anbindung an bzw. die Beheimatung in einer Konfession im Blick haben, andererseits aber zugleich Verständigung und Dialog als Grundlage unterrichtlichen Handelns einfordern (vgl. FEIGE / TZSCHEETZSCH 2005, 57). Bei aller Bereitschaft für eine enge evangelisch-katholische Zusammenarbeit werden trotzdem nüchtern Zweifel an der praktischen Realisierbarkeit geäußert (vgl. SCHMID 1998, 9). Wenig Zustimmung bei allen Altersgruppen finden ein allgemeiner Religionsunterricht, der nicht kirchlich angebunden ist, und einer, der auf freiwilliger Basis erteilt wird (vgl. ENGLERT / GÜTH 1999, 95). Ein Religionsunterricht nach dem LER-Muster des Landes Brandenburg erhält bei Religionslehrerinnen und -lehrern beider Konfessionen keine nennenswerte Zustimmung (vgl. LÜCK 2003, 73).

Bei der Auswertung eines Schulversuchs mit konfessionell-kooperativen Unterrichtsformen konnten Albert Biesinger und Friedrich Schweitzer nachweisen, dass Grundschulkinder zu unterschiedlichen Organisationsformen des Religionsunterrichts differenziert Position beziehen. Die Kinder zeigten eine positive Resonanz auf einen Religionsunterricht, der im Team-Teaching von zwei Lehrerinnen und Lehrern mit unterschiedlicher Konfessionszugehörigkeit oder phasenweise konfessionell-kooperativ angelegt ist (vgl. SCHWEITZER / BIESINGER 2002, 238).

Sicht auf den eigenen Unterricht: Zielsetzung, Themenauswahl und Methoden

In der Essener Umfrage wurde den Lehrenden eine Liste von 15 Zielsetzungen mit der Bitte vorgelegt, diese im Hinblick auf ihren eigenen Unterricht zu gewichten. Die Ziele ließen sich drei Grundmustern zuordnen: »allgemein pädagogisch«, »religionspädagogisch« und »kirchlich-traditionell«. Die stärkste Zustimmung (»sehr wichtig«) erhielten folgende »allgemein-pädagogische« Intentionen: »Kinder zum Nachdenken bringen«, »zu religiöser Toleranz erziehen« und »zu sozialem Engagement motivieren«. Danach folgten spezifisch »religionspädagogische« Intentionen: »die Kinder mit der Person Jesu vertraut machen«, »die Frage nach Gott wachhalten« und »Lebenshilfe aus dem Glauben anbieten«. Schwächer bewertet wurden »kirchlich-traditionelle« Intentionen wie »Kinder zu Christus führen«, »die christliche Tradition erschließen« oder »den Glauben der Kirche weitergeben«. Die starke pädagogische und religionspädagogische Gewichtung darf aber nicht dahingehend interpretiert werden, dass die Lehrenden an Grundschulen grundsätzlich missionarisch-verkündigende Intentionen ablehnten. Im Gegenteil: Fast 80 % geben an, es sei ihnen »wichtig« bzw. sogar »sehr wichtig«, »die Kinder zu Christus zu führen« sowie »die christliche Tradition zu erschließen« (ENGLERT / GÜTH 1999, 78ff.). »Biblisch-christliche« und »kirchliche« Zielsetzungen werden folglich nicht als Konkurrenz zu pädagogischen und religionspädagogischen Zielsetzungen gesehen. Letzteres registriert auch Lück bei evangelischen Religionslehrerinnen und -lehrern (vgl. 2003, 136 f.). Feige und Tzscheetzsch verzeichnen, dass über alle Schularten hinweg die Emanzipation der Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt der Zielsetzung steht. In der Grundschule richten die Lehrenden zudem ein Augenmerk darauf, Bezüge zur gelebten christlich-kirchlichen Religion herzustellen, deren lebenspraktische Bedeutung aufzuweisen und bei den Schülerinnen und Schülern ein religiöses Basisvokabular aufzubauen. Insofern kann das Selbstverständnis der Lehrerinnen und Lehrer als »Wegweiser- und Hinführungsinstanz in Richtung Religion« (FEIGE / TZSCHEETZSCH 2005, 19; 30; s. I.10) umschrieben werden. Die besondere Betonung des Aspekts »für christlichkirchliche Religion / Religiosität öffnen / sensibilisieren« verweist neben der (religions-) pädagogischen Akzentuierung auf einen kerygmatischen Grundzug der Zielvorstellungen in der Primarstufe. Die christliche Frohbotschaft soll den Schülerinnen und Schülern anschaulich, lebenspraktisch, gemeinschaftlich und rituell erschlossen werden, weitgehendjenseitsvonDiskussionundSelbstreflexion(vgl.FEIGE / TZSCHEETZSCH 2005, 104; 160).

Bei der Themenauswahl orientieren sich die Lehrenden im Ruhrgebiet stark an den von Kindern kommenden Fragen und an aktuellen Anlässen, also zuerst am Kind und dann an Lehrplan und Religionsbuch (vgl. ENGLERT / GÜTH 1999, 84). Lück beobachtet bei evangelischen Religionslehrerinnen und -lehrern die gleiche Tendenz: Sie gingen heute stärker als früher von den Erfahrungen und Ansichten der Kinder aus, verbänden diese aber mit biblisch-christlichen Inhalten (vgl. LÜCK 2003, 157). In Bayern plädieren die Lehrenden für eine stärkere biblische Ausrichtung der Themen, ohne die Absicht aus den Augen zu verlieren, den Religionsunterricht für die Lebenswirklichkeit heutiger Kinder zu öffnen. Begründet wird diese Präferenz mit den guten Erfahrungen beim Einsatz narrativer Formen im Unterricht (vgl. SCHMID 1998, 9).

Die Untersuchungen von Anton A. Bucher weisen darauf hin, dass Akzeptanz und Beliebtheit des Faches unter anderem von schüleraktivierenden und ästhetischen Handlungsformen abhängen (vgl. BUCHER 2000a, 148). Welche Methoden und Unterrichtsformen halten Lehrende an Grundschulen für besonders geeignet, auf die Probleme des heutigen Religionsunterrichts und die veränderten Lernvoraussetzungen, z. B. auf das veränderte Arbeits- und Sozialverhalten, einzugehen? Als geeignet und zukunftsträchtig werden von den Lehrenden nach den Daten von Englert und Güth mit weitem Abstand an erster Stelle das »Gespräch« in unterschiedlichen Organisationsformen (Lehrer-Schüler-Gespräch, Schüler-Schüler-Gespräch, Kreisgespräch, Gespräch in Kleingruppen), dann »Aktion, Spiel und Stilleübung« (als rhythmisierender Wechsel von Aktion zu Kontemplation, von Extra- zu Introversion) und an dritter Stelle »Gruppen- und Partnerarbeit« genannt. An vierter Stelle rangieren Methoden, die verschiedene Sinne aktivieren: Erzählen, Vorlesen, Bildbetrachtung, Malen, Basteln, Künstlerisches Gestalten, Gottesdienste, Kontakt zur Gemeinde, Lied und Musik, Arbeit mit Medien, Projektarbeit. Relativ selten werden »Freiarbeit, Einzel- bzw. Stillarbeit« genannt. Freiarbeit scheint zur Zeit der Umfrage – vielleicht wegen ihres hohen Vorbereitungsaufwands – noch nicht richtig in der Praxis des Religionsunterrichts angekommen zu sein. Insgesamt zeigt sich eine ansprechende Methodenvielfalt, in der ein handlungs- und erfahrungsorientiertes Methodenrepertoire eine hervorgehobene Rolle spielt (vgl. ENGLERT / GÜTH 1999, 87 ff.; FEIGE / TZSCHEETZSCH 2005, 35; LÜCK 2003, 140 ff.).

Sicht auf die eigenen Fähigkeiten: Was für die Profession eines Religionslehrers »sehr wichtig« ist

Obwohl sich bei den Antworten auf die Frage nach den wichtigsten Kompetenzen dienstalters- und geschlechtsbedingte Unterschiede beobachten lassen: Bei Religionslehrerinnen und -lehrern dominiert ein berufliches Selbstverständnis, das sich vorrangig am Kind orientiert.

An erster Stelle rangiert der Kompetenzbereich »Gefühl für Kinder«. Dazu gehören mit weitem Abstand: »den Kindern das Gefühl menschlichen Angenommenseins geben«, ferner »sich in das Denken der Kinder hineinversetzen« können und »ein Gespür für die Eigenart der verschiedenen Kinder« ausbilden. Als zweitwichtigste Kompetenz gilt die Fähigkeit zur »religionspädagogischen Vermittlung«. Damit ist die Aufgabe umschrieben, theologische Inhalte in den Denkhorizont der Kinder zu übersetzen, um Kinder für die religiöse Dimension der Wirklichkeit zu sensibilisieren und um aufzuzeigen, was christlicher Glaube mit ihrem Leben zu tun hat. Auf Platz drei wird die Persönlichkeit des Lehrenden herausgehoben: Dazu gehören an erster Stelle nervliche Belastbarkeit, dann Toleranz, Ausstrahlung und Humor (vgl. ENGLERT / GÜTH 1999, 104). Im unteren Mittelfeld der als wichtig erachteten Tätigkeiten von Religionslehrerinnen und -lehrern in der Primarstufe werden die pädagogisch-psychologische Diagnosefähigkeit sowie die methodisch abwechslungsreiche Gestaltung des Unterrichts platziert. Schließlich sind nur durchschnittlich 20 % der Ansicht, dass Lehrende über ein »solides theologisches Fachwissen verfügen« und »eine Stunde gut aufbauen und gliedern können« sollen. Als Schlusslicht mit je 17 % werden das Ausstrahlen von Autorität sowie eine kirchliche Glaubensüberzeugung genannt (vgl. ENGLERT / GÜTH 1999, 105).

Damit zeichnet sich – wie bereits bei angehenden Grundschullehrerinnen und -lehrern anzutreffen – das Profil eines Religionsunterrichts ab, »der die Kinder in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und Lebensbewältigung stärken will (intentionale Perspektive), auf den Erfahrungs- und Rezeptionshintergrund der Kinder gemünzt ist (hermeneutische Perspektive) und schließlich die aktive und emotionale Beteiligung der Kinder zu initiieren sucht (methodisch-kommunikative Perspektive« (PORZELT 2006, 458).

Religionsdidaktik Grundschule

Подняться наверх