Читать книгу Religionsdidaktik Grundschule - Konstantin Lindner - Страница 19

3. Zum religionsdidaktischen Erkenntnisgewinn der Stufentheorien zur religiösen Entwicklung

Оглавление

Die Diskussion um die Stufentheorien religiöser Entwicklung hat dazu beigetragen, Kinder mit ihrer Form des Denkens wahrzunehmen und zu achten. Obwohl die missverständliche Formulierung »Stufen« an ein Höher oder Tiefer denken lässt, ist die Sensibilität für die jeweilige Stimmigkeit und Würde des Denkens durch diese entwicklungspsychologischen Erkenntnisse gewachsen. Wer den Entwicklungsstand der Kinder ignoriert oder missachtet, hemmt ihre weitere Entwicklung bzw. verfehlt die Aufgabe, diese durch unterrichtliche Impulse und Interventionen zu unterstützen.

Die strukturgenetischen Theorien in der Spur von Jean Piaget legen ferner nahe, Kinder als aktiv handelnde Subjekte in den Blick zu nehmen, die ihr Wissen und ihr Weltbild aktiv aufbauen bzw. konstruieren (s. III.1) und die bei ihrem Wissensaufbau zu unterstützen und nicht einfach zu belehren sind. Dies gilt auch für ihr Theologisieren und Philosophieren (s. III.2; II.8). Kinder haben je nach ihrer Entwicklung das Recht, »sich Gott anthropomorph, als bärtigen Mann oder tolle Frau vorzustellen, mit ihm eine Beziehung des do ut des (Ich gebe, damit du gibst) zu pflegen, symbolische Texte der Bibel wortwörtlich zu verstehen«. Eine solche Sichtweise einer entwicklungsangemessenen Kindertheologie ist nach Anton A. Bucher durch Piagets Sicht auf kindliches Denken vorbereitet worden (vgl. BUCHER 2002a, 16 f.).

Plausibilität und Erklärungskraft der oben angeführten Theorien zur religiösen Entwicklung sind durch ihren abgegrenzten Gegenstandsbereich überzeugend und zugleich verführerisch. Letzteres gilt dann, wenn sie dazu verführen, alle Kinder einer Lerngruppe schubladenähnlich einer der genannten Stufe oder Phase zuzuordnen und so ihre Individualität und Unterschiedlichkeit zu übersehen. Man muss um die Begrenztheit dieser Theorien (s. o.) wissen, um den Zugewinn für religiöse Lehr-LernProzesse nutzen zu können. Der diagnostische Wert der Theorien ist jedoch nicht zu unterschätzen. Das Wissen um und eine Sensibilität für unterscheidbare Stufen bzw. Phasen religiöser Entwicklung kann im Unterricht Lehrende vor demotivierender Unter- oder auch Überforderung schützen und ihnen helfen, Kinder und Jugendliche dort abzuholen, wo diese in ihren religiösen Denkstrukturen tatsächlich stehen, um ihnen angemessene Lernmöglichkeiten zu eröffnen. Ferner legen diese entwicklungspsychologische Ansätze es nahe, die Lernenden in ihrer jeweiligen Entwicklungsstufe anzunehmen und zu unterstützen, damit sie ihre erworbenen Denkstrukturen in eigener, aktiver Auseinandersetzung mit Inhalten anwenden können, die auf die jeweilige Struktur Rücksicht nehmen. Der Entwicklung ist es nämlich nicht dienlich, ihnen theologische Erwachsenenpositionen aufzuzwängen.

Oser betont den optimalen Ausbau der jeweiligen Stufe. Kindern muss die Gelegenheit gegeben werden, ihre neu erworbene Denkstruktur – so oft und so aktiv als möglich – anzuwenden und ihre Wirkweise zu überprüfen (vgl. OSER 1988, 20). Lehrende sollen auf die jeweilige Struktur kindlichen Denkens Rücksicht nehmen. Das bedeutet aber nicht, dass sie den Kindern jeweils nur ihrem jeweiligen Entwicklungsstand angepasste und somit leicht verständliche Antworten zu geben haben und auf ihr Fachwissen als Expertise verzichten müssen. Dieses kann und soll als behutsame Provokation und Intervention zur weiteren Entwicklung eingebracht werden.

Wer die Stufentheorien bei seiner unterrichtlichen Planung berücksichtigt, wird also daran interessiert sein, die Lernenden durch Impulse so zu stimulieren, dass sich diese zur nächsten Stufe entwickeln können. Dies ist dann sinnvoll, wenn das Kind seine Stufe wirklich ausdifferenziert hat und an deren Grenzen gelangt ist. Dabei sollen Lehrende idealerweise bei ihren Anregungen von der nächsthöheren Stufe aus (als sogenannte x-plus-1-Intervention) ihre Impulse oder Instruktionen einbringen. So können die bisherigen Deutungsmuster für das Kind fragwürdig und seine religiöse Entwicklung gefördert werden. Zur Förderung von Entwicklung gehören auch Anregungen bis hin zu einer entwicklungsangemessenen Instruktion (s. III.1).

Zusammenfassung:

Die folgenreichste religionsdidaktische Erkenntnis der vorgestellten Entwicklungskonzepte ist, dass die gelehrten Inhalte nicht einfach vom Lernenden »eingespeichert« werden. Kinder und Heranwachsende eignen sich vielmehr – so Piaget – ihre Welt in einem aktiven Konstruktions- oder Strukturierungsvorgang per Assimilation und Akkommodation an, entsprechend ihrer kognitiven Entwicklung und in Abhängigkeit von den jeweils aufgebauten Erkenntnisstrukturen. Kinder sehen und bilden ihre Welt so, wie sie es vermögen. Sie dürfen in ihrem Weltbild verweilen, sollen aber auch in seiner Weiterentwicklung unterstützt werden. Die Inhalte des Religionsunterrichts muss sich das Kind den eigenen Möglichkeiten gemäß aktiv einverleiben und sich anverwandeln bzw. aneignen, um zu einer eigenen Sicht zu kommen. Kinder müssen somit das Recht erhalten, ihre je eigenen entwicklungsadäquaten religiösen Vorstellungen, ihre Gottes- und Weltvorstellungen artikulieren und reflektieren zu können. Das bedeutet, dass Kinder einen Anspruch auf ihr eigenes Theologisieren haben, auch wenn dieses von der Theologie der Erwachsenen abweicht (s. III.2). Die religionsdidaktisch entscheidende Planungs- und Handlungsperspektive ist es, diese differenten Weltsichten und Theologien von Kindern wahrzunehmen und ernst zu nehmen. Dies erfordert von den Lehrenden einerseits einen Perspektivenwechsel hin zu der Sicht der Kinder und andererseits, dass sie Kinder behutsam zu einem weiterführenden und ihren Horizont erweiternden religiösen Lernen herausfordern, das im Wechselspiel von Konstruktion und erfahrungsbezogener Instruktion (s. III.1) auf inhaltliche Anregungen angewiesen ist.

Lesehinweise:

BUCHER, ANTON A. u. a. (Hg.) (2002): »Mittendrin ist Gott«. Kinder denken nach über GOTT, LEBEN und Tod (JaBuKi 1). Stuttgart.

GROM, BERNHARD (32007): Wie entwickelt sich Religiosität? In: Ders.: Religionspsychologie. München, 173–181.

KOERBER, SUSANNE (32010): Entwicklungspsychologie des Kindes. In: EINSIEDLER, WOLFGANG u. a. (Hg.): Handbuch Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik. Bad Heilbrunn, 154–161.

KULD, LOTHAR (2001): Das Entscheidende ist unsichtbar. Wie Kinder und Jugendliche Religion verstehen. München.

SZAGUN, ANNA / BUCHER, ANTON A. (2010): Wie »misst« man Gotteskonzepte von Kindern?, in: KatBl 134, 368–378.

Religionsdidaktik Grundschule

Подняться наверх