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I.3 Kinder und ihre religiöse Entwicklung: Entwicklungspsychologische Befunde

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Georg Hilger / Eva Stögbauer

»Was tun Sie«, wurde Herr K. gefragt, »wenn Sie einen Menschen lieben?« »Ich mache einen Entwurf von ihm«, sagte Herr K., »und sorge, daß er ihm ähnlich wird.« »Wer? Der Entwurf?« »Nein«, sagte Herr K., »der Mensch.«

Diese bekannte Keuner-Geschichte von Bertolt Brecht lässt sich umtexten zu einer religionsdidaktischen Prüfungsfrage: »Was tun Sie«, wurde Frau K. gefragt, »wenn Sie bei Ihrer Unterrichtsplanung an die Kinder in der Klasse 3 denken?« »Ich mache mir Gedanken darüber, was sie lernen sollen, und mache mir Vorstellungen darüber, wie sie sich entwickeln sollen«, sagte Frau K., »und sorge, dass sie ihnen ähnlich werden.« »Wer? Die Vorstellungen?« »Nein«, sagte Frau K., »die Kinder.«

Was sich hier als wohlmeinende, aber problematische pädagogische Orientierung am Kind darstellt, wird von der italienischen Ärztin und Reformpädagogin Maria Montessori (1870–1952) scharf kritisiert als Blindheit von Erwachsenen für die Andersartigkeit des kindlichen Denkens und dessen Eigenheiten: Der Erwachsene sei »in seinem Verhältnis zum Kind egozentrisch – nicht egoistisch, aber egozentrisch. Alles, was die Seele des Kindes angeht, beurteilt er nach seinen eigenen Maßstäben […]. Von diesem Blickpunkt aus erscheint ihm das Kind als ein leeres Wesen, das der Erwachsene mit etwas anzufüllen berufen ist […]. Schließlich fühlt sich der Erwachsene als Schöpfer des Kindes […], wird zum Maßstab von gut und böse« (vgl. MONTESSORI 1967, 27).

Haben Kinder ein Recht auf eigenes theologisches Denken und Fragen? Doch sind sie dazu überhaupt in der Lage? Gibt es bei aller individuellen Unterschiedlichkeit kindlichen Denkens entwicklungspsychologische Erkenntnisse, die helfen können, Kinder in ihrem Entwicklungsstand besser wahrzunehmen und zu fördern, ohne sich vorschnell ein Bild von ihnen zu machen?

Wie Kinder glauben und theologisieren, sich z. B. mit ihren Gottesvorstellungen auseinandersetzen und sie aufbauen, ist eine recht junge Frage (s. III.2). Kindern zuzugestehen, eine eigene Theologie aktiv zu entwerfen bzw. zu konstruieren (vgl. u. a. SCHAMBECK 2005), setzt nämlich eine Anthropologie voraus, die anerkennt, dass Kinder anders sind als Erwachsene und sich auf eigene Weise mit den großen Fragen des Lebens auseinandersetzen (s. II.8). Kinder sind nicht mehr als leere Gefäße zu betrachten, die zu füllen wären, sondern als religiös und theologisch kompetente Subjekte (vgl. u. a. METTE 1996; BUCHER 1996).

In diesem Kapitel wird diesen Fragen nachgespürt in der Absicht, die Wahrnehmungsfähigkeit für Eigenheiten kindlichen Denkens zu fördern. Dabei wird das Kind weder als eine theologische Tabula rasa gesehen noch als ein passiv reifendes Wesen, sondern als ein von Anfang an aktives und zugleich soziales Wesen, das auf religiöse Kommunikation angewiesen ist und dessen religiöse Entwicklung stimuliert werden kann.

Religionsdidaktik Grundschule

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