Читать книгу Windelträger - Roman einer Reise - Kristof Lindenau - Страница 10

Samstag, 30. Juli 2011

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Gestern traf er den Tod bei Lidl. Er stand an der Kasse und hatte nur ein Teil in der Hand, Cocktailtomaten für eine italienische Sauce, da schob sich ihm von hinten ein Rollator schmerzhaft in die Kienkehle. „Würden sie mich vorlassen, ich habe nur ein Teil“. Er hatte auch nur ein Teil, aber er ließ der Dame, im Sinne der alten Pfadfinderregel: „Jeden Tag eine gute Tat“, den Vortritt. „ Ach, sie haben ja auch nur ein Teil.“ Als ob die Alte das nicht schon vorher gesehen hätte, was soll´s: „Ist schon in Ordnung“ hörte er sich sagen, als er sie näher in Augenschein nahm. Sie war sicher weit über 70, die Haare schlohweiß, die Haut spannte sich über die Gesichtsknochen, die zu ebenmäßigen unverbraucht jugendlichen Zahnreihen, sicher Kukident gereinigt, sprangen einen geradezu an und auch an den Händen, die den Körper am Rollator aufrecht hielten, zeigten sich Fingerknochen, die deutlich unter der pergamentener Haut hervorschienen. „Ihr Dialekt, wo kommen sie her, aus dem Osten“ „Ja, dass sie das erkannt haben, aus Oberschlesien, zwischen Oppeln und Neiße“.

Sie erwartete ihn draußen, stand dort hager hinter ihrem Rollator. Er drehte sein Fahrrad in Fahrrichtung und wollte sich davon machen. Sie fing an zu erzählen, er blieb, aus Höflichkeit: „Kennen sie Oberschlesien, mein Sohn ist dort, jedes Jahr, geht dort auf Pilgerschaft zur schwarzen Madonna nach Tschenstochau. Ich war mit meinem Mann dort bei einer großen Hochzeit. War das ein Fest. Nicht wie hier, die Kirche war voll und dann ging es hoch her auf dem Platz, im großen Festsaal. Es wurde gefeiert, gelacht, getrunken. Mein Mann hat sich einen Schnaps einschenken lassen, mir zugeprostet. Ich hab ihm mit dem Finger gedroht, er solle sich ja in Acht nehmen. Ich glaub er hat gar nicht darauf geachtet, bei dem Trubel.“

Sie schaute ihn eindringlich an, hielt ihn mit ihren blauen Augen fest, als schaue sie durch ihn hindurch in die Vergangenheit. Das Gesicht war gespannt, konzentriert, der Körper hielt sich kerzengerade. Nichts war zu spüren von altersbedingter Nachlässigkeit und Müdigkeit, in der die Muskeln erschlaffen, das Gewicht der Knochen, die Schultern nach vorne sinken lässt, der Körper sich leicht gebeugt, als ob man sein Leben auf seinen Schultern mit sich herum trüge. War es der Rollator, der dieser Frau eine aufrechte Haltung gab, die an einen Zinnsoldaten, an eine Marionette erinnert, an langen Fäden aufgehängt, die hoch in den Himmel führen.

Ihre Stimme hat einen männlichen baritonalen Klang, angenehm das gutturale R, dieser leichte Akzent, diese Schwere in der Sprache des Ostens, die immer den Berg herabrollt. Eigentlich wollte er weg und hörte doch weiter zu:

„Mein Mann hat sich einen Weg durch die Menge gebahnt: lass uns tanzen. Es genierte mich, von meinem Mann vor aller Augen auf das Tanzparkett gezogen zu werden, das wollte ich nicht, wir waren doch nicht das Brautpaar. Er ließ nicht locker, zog mich auf den Tanzboden und schon drehten wir uns zur Musik des kleinen Orchesters, drehten und drehten uns im Kreise. Die Lichter im Saal schwangen mit. Mein Mann hielt mich. Er schwitzte, der Geruch mischte sich mit Bierdunst und dem Duft seines Rasierwassers. Es war mir nicht unangenehm, ich ließ mich in seine Arme sinken und führen. Ich hörte die Gäste klatschen, sah das sich ihre Gesichter zu uns herumgedreht hatten, dass man um uns einen Kreis gebildet hatte, lachende verzerrte Münder, rote Lippen, flogen an mir vorbei, eine Polka. Eine Atempause, kurz, Auftakt, die Tanzkapelle setzte neu ein, energisch zieht mein Man mich zurück auf das Parkett, andere folgen, wir drehen uns schneller und schneller, nicht endend wollend.

Ich spürte seine Kraft, eine wilde Lebensgier durchströmte diesen Körper, wie einen Jungbrunnen, er drehte mich im Kreis, um sich herum, flog mit mir zurück in die Zeit, als wir jung waren, unser Hochzeitstanz. Dann ein schnellerer Takt, die Musik hebt an zum Galopp. Bunte Kopftücher, geschminkten Gesichter, dunklen Sakkos der Männer, leuchtenden Farben der Blusen, ein grelles vielschichtiges Farbband flog an meinen Augen vorbei.

Plötzlich kommt mein Mann kommt aus dem Takt. Seine Schritte werden unbeholfen, fallen aus der Musik . Er klammerte sich an mich, sucht Halt. Ich halte seinen Kopf, meine Lippen berühren seine Wangen: „Ich kann dich doch nicht halten: dummer Kerl.“ Er fällt wie ein Klotz und reißt mich mit. Ich hörte das Aufatmen nicht, das durch den Saal ging. Ich rappel mich auf, streiche den Rock glatt, wende mich um zu meinem Mann: „Er lag da, tot, hatte einfach aufgehört zu atmen.“

Schnell, fast unhöflich hastig, verabschiedete er sich von der alten Dame, sie rief ihm nach: „Wo wohnen sie eigentlich?“ Er machte eine vage Bewegung nach links zum Ortsausgang: „Da hinten, in der Vogelsiedlung.“ „Ich werd sie schon finden!“ lachte sie und winkte ihm zum Abschied nach.

Windelträger - Roman einer Reise

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