Читать книгу Windelträger - Roman einer Reise - Kristof Lindenau - Страница 11

Donnerstag, 4. August 2011

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Der OP-Termin steht, am 19. August wird er entmannt. Heute: Vorbesprechung Natürlich sagt ihm sein Verstand, dass es ein Leben danach gibt, das es mit 60 noch anderes gibt als Sex, Sex, Sex. Sicher es ist nicht so, dass er das Gefühl hat, etwas verpasst zu haben. Er sieht immer noch passabel aus, natürlich in einem Alter, in dem er darauf achtet seine alternde Haut luftig zu bedecken. Waschbrettbauch, breite Schultern, hatte er sowieso nie gehabt, schon wegen der Kinderlähmung, an der linken Schulter, linker Oberarm nichts, keine Muskeln, alles futsch.

Südfrankreich, erst Austauschschüler, dann Student, braungebrannt, nur ohne Tattoo, immer Hemden mit langem Arm, die er aufkrempelte, der nicht vorhandene Bizeps verschwand dann unter einem dicken Stoffwulst, entzog sich dem ungeübten oder unaufmerksamen Betrachter. Schlank, fast einmeterundachtzig, deutlich größer als die Einheimischen. Junge, glatte Haut, Virilität, die man selbstverständlich ausströmte, die zu einem gehörte wie der Duft eines Parfüm. Man spürte Begehren, genoss es, verliebt in die eigene Erscheinung. Jung, ungebunden, eine kurze Lebensphase, die einem schier endlos vorkam. Sobald der Winter vorbei war, die Sonne schien, verschwanden Pullover, Winterkleidung, nackte Beine, Schultern, Busen wurden sichtbar, ganz bewusst ohne BH zur Schau getragen, jede Erregung zeichnet sich wie ein Signal deutlich ab: Klingelknöpfe. Junge Körper, die sich ihrer natürlichen Eleganz, ihrer Schönheit bewusst waren, sie wie selbstverständlich zur Schau stellten, als sei sie ihr Verdienst.

Es war die Zeit, in der jugendliche Schönheit, Nacktheit auf Plakatwänden, Titelblättern noch eine Sensation waren, erst begannen sich im öffentlichen Raum auszubreiten. Die alles erschlagenden, langweilige Uniformität entblößter Körper in allen Formaten von heute war noch weit weg. Die 68ziger waren bunte Farbtupfer, Schmetterlinge, auf die eher amüsiert, neidisch, kopfschüttelnd geschaut wurde: Welche Benimmformeln, welche Grundfesten staatlicher Ordnung werden nun wieder in Frage gestellt? Latente Aufsässigkeit! Er war mitten drin, den verkrüppelten Arm machte er durch Charme und Eloquenz wett, sportliche Defizite, durch die Fähigkeit zuhören zu können, gescheites von sich zu geben. Es waren immer andere da, die ihm den Rang abliefen, aber alles in allem hatte er keine schlechten Karten und mehr Witz.

Junge Menschen riechen anders, eigentlich immer gut, selbst beim Sport, bei körperlichen Anstrengungen. Südfrankreich, Palavas, Grau du Rois, eine Clique junger Studenten. Das ganze Leben betrachteten sie aus einer sorglosen, komfortablen Position, erkundeten die Lebensbedingungen der arbeitenden Klasse, wie früher das Leben seltener Tiere im Zoo. Einmal war er in einer Hafenkneipe in Marseille, ein düsteres Viertel. Spannend, es roch anregend nach Abenteuer, ein Bistro voller Männer, die aus der ehemaligen französischen Kolonie Algerien hierher gekommen waren. Einem, der ihm am Eingang im Weg stand, reichte er zur Begrüßung die Hand, weil er ihm die seine entgegenstreckte. Blitzschnell griff er sich seinen Daumen, drückte ihn nach hinten, ließ keinen Zweifel daran, dass er ihn mir nichts dir nichts, mir einem kleinen Ruck brechen könnte, mal eben so. Er ist winselnd auf die Knie gegangen vor Schmerz, Schweißperlen auf der Stirn, hat sich entschuldigt, wofür auch immer, um Gnade gefleht und wurde in der Hocke, wie eine Ente watschelnd durchs Lokal geführt, wie ein Hund, der von unten herauf seinen Peiniger flehend anschaut. Die haben nicht den jungen hübschen Mann gesehen, nur den Schnösel, nur den, der sich für etwas besseres hält, der sich nicht die Hände schmutzig machen muss, nie machen wird, nie schuften, täglich, überall. Jede Arbeit annehmen, egal welche, für das täglich Brot, für ein Dach über dem Kopf. Er war für sie einen von denen, die immer oben sitzen, in irgendeinem Büro, mit Einfamilienhaus, Garten, Auto, eine hübsche Frau, süße Kindern. Das Geburtslotto hatte ihm einen Hauptgewinn verschafft!

Er trug weiße Jeans, hatte das Hemd aufgeköpft, damit auf seiner Brust das dunkle leicht gekräuselte Haar zu sehen war, darauf war er stolz, galt damals als männlich: Burt Reynolds nackt auf einem Bärenfell als ausklappbarer Playmen. Ein Mann ohne Haare auf der Brust ist wie ein Hahn ohne Federn! Das Geschlecht, der Trieb war immer in Bereitschaft, lag auf der Lauer. Am Strand drehte er sich rasch auf den Bauch, drückte seinen Schwanz in den warmen Sand. Eine Erektion, offensichtliche, unübersehbare Geilheit hatte ihn überraschte, war nicht mehr zu unterdrücken, unübersehbar, wohlig unangenehm. Ein ebenso wohliger Schauer, gepaart mit Genugtuung, bei denen die diese Reaktion ausgelöst, den Blick von dieser drängende Fülle nicht lassen konnten. Bisweilen machte er sich den Spaß, sich eine Karotte in die Hose zu stecken, so wie die Balletttänzer die berühmte, sagenumwobene Hasenpfote, nur um sich dann, wenn auf seine Pracht gestarrt wurde, lüstern in die Hose zu greifen: Oh Gott! Was macht er da! weit aufgerissene Augen, Fingerspitzen am Mund, dann kam die Möhre zum Vorschein und er biss genüsslich ein Stück von ihr ab. Das Spiel stand im Vordergrund. Räume sich ungestört zurückziehen zu können, waren rar, die Neugierde viel größer, als die Bereitschaft sich auf wirkliche Abenteuer einzulassen.

Na ja, ehrlich gesagt, wir hätten schon jede Chance genutzt, es waren die Mädchen, die sich zurück hielten, die immer im Pulk auftraten, abseits von den Jungen, an ihnen hin und her vorbei flanieren, als hätten sie keinen Blick für sie übrig. Sie spielten sich eine Libertinage vor, die dem Spiel vorbehalten blieb. Verhütungsmittel waren nicht so selbstverständlich, so leicht zu bekommen. „Erna. Was kosten die Kondome!“ Discounter gab es auch noch nicht. Der gute Ruf eines Mädchens verband sich noch mit dem einen und einzigen für den sie sich aufsparte. Wir junge Männer tauschten Adressen der Verruchten, der Nymphomaninnen, die bereitwillig die Beine spreizten. Erfahrungen, seine Hörner abstoßen, macht man woanders. Selbstverständlich war man immer potent, immer bereit, wie die jungen Pioniere in der DDR die damals SBZ, Sowjetische Besatzungszone, genannt wurde: Seid bereit! – Immer bereit!

Ende der sechziger Jahr, zur Schau getragene Sinnlichkeit. Tempotaschentücher in BHs, einer war dabei, an dem er hinten hilflos herum fingerte, den Verschluss suchte. Sie half ihm, mit einem Griff zwischen ihre Brüste: Klack! auf und weg damit..

Außerhalb der Milchbars, der Jugendtreffpunkte, den ersten Discos, auf der Straße zwischen den anderen, diesen grauen Arbeitsmäusen, die der Alltag mit Mehlstaub überzogen hatte, leuchteten sie hervor wie bunte Blumen, weckten bewundernde, neidische Blicke, böse Kommentare: Diese Röcke, da kann man ja bis „sonst wohin“ gucken! Diese langen Haare, wird zeit, dass die der Barras (Bund) holt! In den Schwimmböden mussten die Langhaarigen Frauenbadekappen tragen und sahen beknackt aus.

Es war keine angepasste, vom Staat, von den älteren in Form gebrachte, verführte Jugend, zumindest war die Verführung nicht so offensichtlich, war sie anarchischer, noch hatte die Konsumgüterindustrie sie nicht im Visier, voll im Griff. Sie waren immer knapp bei Kasse, noch keine „Zielgruppe“, wild, bunt, regellos, durchaus faul, verwöhnt, viel Müßiggang, besonders die „Speerspitze“ die Studenten der Geisteswissenschaften, die sich mit Sartre, Simone de Beauvoir, Camus, mit Jules und Jim, dem Marxismus, dem golden Zeitalter der internationalen Herrschaft der Werktätigen beschäftigte, inbrünstig in aller Öffentlichkeit: „…die Internationa-ha-le erkämpft das Menschenrecht!“ sangen. Jeunesse dóree.

Nun werde ich entmannt, stehe im vielleicht letzten Viertel meines Lebens und sehne mich mit allen Fasern zurück nach dieser Zeit. Frauenleiber, die sich anschmiegen, deren Schamhügel einem den Unterleib massieren, bis sie dort eine andere Wölbung hervorlocken: „Sorry, geht nicht mehr! Tote Hose!“ Die Bedeutung von Sex wird sowieso gigantisch überschätzt wird, gerade in meinem Alter. Seinen Mann stehen ist sicher nicht alles, aber ganz ohne diese Fähigkeit scheint ihm dennoch alles nichts zu sein.

Windelträger - Roman einer Reise

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