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Immer noch Donnerstag, 21. Juli 2011 - Krankenhaus

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Krankenhaus, ihm wird die Biopsie erklärt: „Ein Ultraschallgerät mit einem Fühler, Finger, wie ein dünner lang gezogener Vibrator, wird Ihnen rektal eingeführt. Aus der Fingerkuppe schießen dann diese Nadeln heraus, die die Proben rausstanzen.“ Er konnte dieses: „Alles harmlos, kleine Piekser, das war´s“ nicht mehr hören: „Wenn sie wollen, kriegen sie auch eine leichte Betäubung“ und ob er wollte, Weichei hin oder her.

Stationäre Aufnahme. Er bekommt ein Bett zugewiesen, Schrank. Dreibettzimmer. Er unter wildfremden Menschen. Er wird gleich geduzt, so ist es halt, geht wohl nicht anders, jetzt bloß nicht arrogant wirken. Er reißt sich zusammen ist nett, sehr nett, überaus freundlich zu allen Seiten. Auf keinen Fall bleibt er hier eingesperrt: „Alles ganz harmlos! Danach können sie sofort wieder aufstehen.“ Na also, dann kann er heute wieder nach Haue.

„Haben Sie schon abgeführt?“ Vergessen, er musste noch diesen kleinen Becher mit dieser Flüssigkeit austrinken. Der Krankenhausbetrieb streckte seine Tentakel nach seinem Körper aus, bemächtigte sich seiner, verfügte über ihn. Sich frei machen, auf das Bett haben sie ihm ein Nachthemd gelegt, hinten offen, mit einem Bändchen am Hals zu schließen. Er hängt seinen Mantel in den Schrank, zieht sich oben herum aus, packt die Sachen weg, zeiht das Hemdchen an: „Können sie…“ er stolpert über das sie, schwenkt ein: „Kannst du mir mal helfen. Ich komme da hinten mit meinem kaputten Arm nicht dran.“ Er ist auf Hilfe angewiesen. Männer unter sich, zusammengewürfelt, alle so ziemlich ein Alter. Jetzt ist er dankbar für das „du“, es baut Schranken und Hemmungen ab. Die Hose, den Rest noch, er zieht sich mit dem Rücken zum Schrank aus, langt immer unter sein Klinikhemd, möchte sich keine Blöße geben, verpackt alles in die Fächer, hält mit der einen Hand das Nachthemd hinten geschickt zu und geht zu seinem Bett.

Sie haben alle das gleiche an. Er hatte sich nicht nur umgezogen, er war für diesen Betrieb eingekleidet, in seine Abläufe integriert worden, wie ein weiteres Rädchen in einer Maschine, die nun über ihn bestimmte. Sie waren eine Schicksalsgemeinschaft, die einen hatten schon alles hinter sich, schauten entspannt, gelassen, freundlich von oben herab auf die anderen, die um Haltung und Coolness bemüht, noch alles vor sich hatten. Austausch von Krankengeschichten. Beutel mit Urin und Blut am Bett, die ihm den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Er ist allein, sucht Halt bei diesen Wildfremden, froh, dass sie da waren.

Rums Tür auf, von jetzt auf gleich wurde er abgeholt. Keine Widerworte! Er musste sich, ob er wollte oder nicht ins Bett legen, wurde zugedeckt, bekam die Krankenakte unter die Decke geschoben, jetzt hatten sie ihn im wahrsten Sine des Wortes in der Hand. Er war ihr Gefangener, da konnten sie noch so nett sein. Sie rollten ihn in seinem Bett einfach aus dem Zimmer, raus in den Flur und gaben Gummi. Alle an denen sie vorbeikamen schauten neugierig von oben auf ihn herab, halbwegs, gerade noch diskret, so aus den Augenwinkeln heraus, wenn es Besucher, andere Patienten waren, ganz direkt, voll ins Gesicht, die Schwestern, die den Neuen in Augenschein nahmen. Er lächelte, hilflos von unten zurück, bemüht sich ein halbwegs entspanntes, souveränes Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

Vollbremsung vor dem Fahrstuhl, von der fünften Etage ins Kellergeschoss. Die Zieh- und Schiebekräfte unterhielten sich über seinen Kopf hinweg über alles Mögliche, Windsurfen am Niederrhein, was weiß ich, für sie war das Routine, ihre Schicht fast rum. Sie hielten im Keller vor einer großen Schiebetür, matt gebürstetes Aluminium, den Begriff kannte er von Möbeldesignern gehobener Küchenausstattungen. Auf Knopfdruck fährt das Höllentor auf, wartet nicht. Er ist im Vorraum, dicht an ihm vorbei wird ein Bett rausgerollt. Ein weißer, voller Haarschopf, der sich bedankt. Offensichtlich kommt man hier lebend wieder raus, das sollte ihn doch beruhigen, tut es aber nicht.

Er hört fröhliche Stimmen, einer kommt aus der Mittagspause, auf eine andere wird noch gewartet. Die Zeit verrinnt, vor ihm eine Glaswand, unten Milchglas mit einem bereiten Durchgang, links und recht geht es in die Operationsräume und dann kommen sie, beachten ihn nicht: „Wen bringt ihr?“ Aha, man kennt sich, er hört seinen Namen: „…das Essen ist heute wirklich gut, indonesisch mit Putenfleisch. Haben sie schon gegessen?“ Das strahlende Lächeln galt ihm, gesunde weiße Zähne, geballte gute Laune. Tattoo am Unterarm, braun gebrannt, war sicher auch Windsurfen an der Xantener Nordsee: „Ach sie durften ja nichts essen, bekommen sie bestimmt nachher.“

Grüne Wesen in blauen Gummiclocks mit Haarschutz ziehen sein Bett hinter sich her. Sie alle hatten am Crashkurs: „Das Leben auf der Erde“ teilgenommen, stellten sich überaus freundlich mit Namen und Funktion vor. Er wurde nicht hinüber auf den Operationstisch gebettet, sondern aufgefordert sich selber, aus eigener Kraft, dort zu platzieren, als würde er mit dieser letzten, eigenen, körperlichen Aktivität auch noch sein Einverständnis zu ihrem Tun geben. Lachen, um ihn herum gute Laune der Folterknechte, ein herzhafter Händedruck des Arztes: „Dann wollen wir mal“, konnte es einen größeren Gegensatz zur seinem Innenleben geben. Die Kanüle, die routiniert in den linken Handrücken gesetzt wurde, „Wir stellen sie jetzt ein bisschen ruhig, wollten sie doch?“ „Oh ja, Danke.“ Er musste seine Beine weit auseinanderspreizen, die Unterschenkel in dafür vorgesehene Schalen legen, dort werden sie fixiert, alles lag nun offen, frei zugänglich vor ihnen.

Oh Gott, eine Frau ist auch dabei, steht vor ihm, zwischen seinen gespreizten Beinen und schaut sich alles genau an. Er dachte an seine Frau, die sich auf ihre Termine beim Gynäkologen immer so penibel vorbereitet, badet, die Beine rasiert, auch die Bikinizone, sich sorgfältig schminkt, Parfüm aufgelegt, als sei der Frauenarzt ihr Liebhaber. Er hatte diese Gynäkologenstühle nur bei den Schwangerschaften zu Gesicht bekommen, damals stand er dahinter und bekam die ersten Ultraschallbilder seiner Kinder in die Hand gedrückt. Nun lag er selbst drauf, schämte sich der dicken, rissigen Hornhaut an seinen Fersen. Hätte er das gewusst, hätte er sie wenigstens abgehobelt, die Füße eingecremt, alles etwas appetitlicher gestaltet.

Es hat doch weh getan, war aber zack, vorbei, schon war er wieder in seinem Bett. Auch er bedankte sich überschwänglich, hätte allen am liebsten persönlich die Hand geschüttelt, einen Orden angeheftet, als habe er etwas gut zu machen und war so schnell zurück auf der Station, wie er gekommen war. Er schämte sich so ein Waschlappen gewesen zu sein.

Kaum war er wieder auf Station, zeigte er allen, wer hier das Sagen hatte, entließ sich auf eigene Verantwortung und ging mit wehendem Mantel nach Hause. Die nächsten Tage hatte er blutigen Urin und, das war eine Überraschung, das hatte ihm keiner erzählt, bei der Ejakulation schoss dunkelroter, fast schwarzer Saft heraus und versaute alles, im wahrsten Sinne, die ganze Stimmung.

Windelträger - Roman einer Reise

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