Читать книгу Windelträger - Roman einer Reise - Kristof Lindenau - Страница 7
Die 70ziger Jahre
ОглавлениеIn den siebziger Jahren hatte er an allen Theatern, an denen er arbeitete, mindestens einen Verehrer, der ihm nachstellte. Er hatte sich zu Eigen gemacht, auf diese Signale zu reagieren, nicht eindeutig, immer so, dass der Werbende sich nicht zurückgestoßen fühlte, sich noch Hoffnungen machen konnte. Er ließ mit sich Anlass flirten. Es war deutlich bei welchem Geschlecht seine Präferenzen lagen, dazu hatte er viel zu viele, auch öffentlich bemerkbare Affären, aber er ließ dem anderen Ufer die Hoffung, ihn zu sich hinüber ziehen zu können. „Schwul sein ist schön, bi ist eine Gnade Gottes!“ lärmte die Rampensau der Landesbühne an der Theke und zwinkerte ihm zu. Es war maßlose Eitelkeit, noch mehr Unsicherheit. Er wollte es sich mit keinem verderben, hielt alles in der Schwebe, kokettierte, genoss es umworben zu sein, entwickelte einen sicheren Instinkt sich nicht in zu eindeutige Situationen zu begeben.
Einmal wäre es beinahe zu spät gewesen. Er stand plötzlich unvermittelt, nur mit einem Tigerslip bekleidet vor ihm, forderte ein, was er in seinen Blicken gelesen hatte. Massiv: Er solle aufhören mit dieser Ziererei! Mit diesem Tanz auf allen Hochzeiten! Du bist doch schwul! Nee, war er nicht!. Es lief die Nationalhymne der Schwulen:
Es ist ja ganz gleich,
wen wir lieben,
und wer uns das Herz einmal bricht.
Wir werden vom Schicksal getrieben
und das Ende ist immer Verzicht.
Nur nicht aus Liebe weinen,
es gibt auf Erden nicht nur den einen.
es gibt so viele auf dieser Welt
ich liebe jeden, der mir gefällt
Und darum will ich heut' Dir gehören,
Du sollst mir Treue und Liebe schwören,
wenn ich auch fühle, es muss ja Lüge sein,
ich lüg auch und bin Dein.
(Zarah Leander)
Er hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass sich alle anderen Gäste verabschiedet hatten, auch in der Küche am Büffet, kein Mensch, nur die Katze. Die schweren Vorhänge waren zugezogen. Auf dem schwarzen Flügel ein schwerer silberner, vielarmiger Leuchter mit fast herunter gebrannten Kerzen. Eine Wolke schweres Parfüm. Er konnte gerade noch aus der Tür entwischen, die Wohnungstür hinter sich zu, die Treppe hinunter hasten.
Einmal noch hatte er diese Grenze überschritten, bei dem Intendanten, der ihm seine erste Inszenierung versprochen hatte, die Einhaltung dieses Versprechens immer weiter hinaus zog, er den Eindruck bekam, dass es vielleicht hilfreich wäre, sich von diesem kleinen, charmanten, französisch sprechenden Belgier auf die Besetzungscouch ziehen zu lassen. Bei dem vom Publikum umschwärmten jugendlichen Liebhaber des Ensembles hatte das funktioniert, der hatte seine Karriere auf diesem Wege befördert und war nun die graue, eher farbenfrohe, Eminenz im Theater auf die jedes Jahr der Spielplan zugeschneidert wurde. In der kleinen Großstadt südlich von Hannover, war es damals, Mitte der siebziger Jahre, Tuschelthema Numero eins, shocking, dass Intendant und Geliebter am Morgen nach der letzten Vorstellung vor den Theaterferien, gemeinsam, sozusagen unter den Augen der Öffentlichkeit, ihre Koffer in das stadtbekannte Cabriolet des Intendanten hievten, um endlich in südliche Gefilde mit viel Sonnenschein davon zu brausen.
Seine Anstrengungen brachten ihm damals nur den drängenden Wunsch nach Wiederholungen ein, aber eben nicht die versprochene Inszenierung ein, die bekam er, wenig später, anderen Ortes, auf natürlichem Wege.