Читать книгу Windelträger - Roman einer Reise - Kristof Lindenau - Страница 14
Donnerstag, 18. August.2011
ОглавлениеKlinik, mit Sack und Pack angerückt. Er kannte bereits alle Wege, bekam sein Bett zugewiesen, Mittellage, der Fensterplatz war leider belegt. Alles wiederholte sich Begrüßung der Mitgefangenen, das obligatorische Abführmittel, nichts mehr essen. Er bekam einen Ablaufplan, der ihn durch das ganze Labyrinth des Hauses führte. EKG, Röntgenbild Thorax, Gespräch mit dem Anästhesisten. In den Wartezeiten auf den Fluren genug Muße auf der Rückseite seiner Krankenakte verschiedene Fragebögen auszufüllen: Raucher? Nichtraucher? Alkohol-, Tablettenkonsum? Allergien? Mit seiner Unterschrift bestätigte er, dass ihm alle Risiken bekannt, vertraut sind, er sich gerne auf sie einlässt, von ganzen Herzen einverstanden, dass es allein seine Sache ist, wenn irgend etwas von dem, was so gut wie nie eintrifft, ihn erwischt, er dann auf keinen Fall Ansprüche gegen irgendwas, -wen, irgendwann und überhaupt stellen wird. Er war rundum beschäftigt.
Etwas fiel an diesem Tag aus dem Rahmen, seine erste Intimrasur, davon später. Es ist Gelegenheit hier zwei sich täglich wiederholende Gegebenheiten anzusprechen, die ihm nicht gleich am ersten Tag ins Auge fielen, aber nach und nach bleibenden Endruck hinterließen.
Die Krankenschwestern! Es gab, grob unterteilt drei Spezies, die jungen, hübschen, attraktiven, Vorabendprogrammklinikserientauglich, bei einer von diesen brauchte er fast den gesamten Aufenthalt um heraus zu finden, dass gerade sie für ein so durchdringendes Gelächter verantwortlich war, das man gemeinhin als: schmutzige Lache bezeichnet. Die zweite Gruppe war die mütterlich fürsorgliche, nein fürsorglich waren sie alle, aber hier in dieser besonderen Art gestandener Frauen, denen nichts mehr fremd, die aber ihr Einfühlungsvermögen noch nicht verloren hatten. Der dritten, zahlenmäßig kleinsten Gruppe, war auch nichts mehr fremd, aber sie hatten das Einfühlungsvermögen eingespart: Mannsbilder, die verstehen nur Klartext. Sie gingen davon aus, dass alle Männer erstmal kleine und große Ferkel sind, denen man am Besten alles immer etwas lauter als nötig sagt, klare Ansage, ihnen unmissverständlich zeigt, wo es lang geht, ohne großes Federlesen, ohne sich groß mit lästigen Höflichkeitsfloskeln aufzuhalten. Hart aber herzlich, sie meinten es nicht wirklich böse, für sie waren alle Männer Fernfahrer, oder große Kinder, die im Matsch spielen, sauber gemacht und dringend erzogen werden müssen. Extrawünsche: Hääh!? Er entwickelte ganz schnell seine eigene Taktik diesen Schwesterntyp, der von seinen Mithäftlingen Schwester Rabiata genannt wurde, durch ungewohnte formvollendete Höflichkeit, geradezu von oben herab, locker und leicht auflaufen zu lassen, damit kamen sie nicht zurecht, erstarrten regelrecht, schwiegen tatsächlich, sperrten Mund und Nase auf, weil alle Chips durcheinander geraten waren und neu sortiert werden mussten. Der mütterliche Typ tat ihm gut, bei ihnen fühlte er sich geborgen, ließ sich förmlich in ihre Hände fallen.
Bei den Jungen, hübschen, die immer einen lockeren Spruch auf den Lippen hatten, spürte er deutlich, dass diese Sprüche, deswegen so locker, rüber kamen, weil die drei Männer in diesem Zimmer für sie weder eine Gefahr, noch ein in irgend einer Art und Weise interessantes, anregendes, gar erregendes, erotisches Angebot darstellten. Er war gekränkt, nicht weil er die Absicht gehabt hätte, ihnen Avancen zu machen, aber so eindeutig zu spüren, dass er als Mann nicht mehr existierte, war eine Beleidigung. Die Männer neben ihm befanden sich in einer hilflosen Lage, inkontinent, Urin und Blutbeutel durch die Gegend schleppend. In ihren Bademänteln, Trainingsanzügen, ausgeleierten Jogginghosen waren sie wirklich keine Hingucker. Es reizte ihn nun erst recht, aus Trotz, schnell noch eines dieser jungen Dinger flach zu legen!
Auf den Jahrmärkten der Jahrhundertwende, zur Kaiserzeit von Wilhelm zwo, waren in den Zelten mit den Abnormitäten, Damen ohne Unterleib eine der Sensationen. Die Besucher schauten durch ein Guckfenster in eines der Kabinette und bekamen, mit Hilfe einer ausgeklügelten Spiegeltechnik, täuschend wirklich, das Bild einer Frau ohne Unterleib gezeigt, die man auf einem Tisch abgestellt hatte, zwischen dessen Beinen man hindurch schauen konnte. Selbstredend waren es junge, bildschöne Frauen, mit großzügigem Dekollete, oder mit einem Schleier, der gerade noch die Zensur passiert hatte, mehr ausgezogen als verhüllt, Appetit machte, heißes Begehren weckte, auf dieses Dreieck darunter, dass bei diesem armen Geschöpf leider nicht vorhanden war. Als „Mann ohne Unterleib“ ist er bald auch so eine Attraktion, nur Begierde würde er keine wecken Schöne Aussichten!