Читать книгу Windelträger - Roman einer Reise - Kristof Lindenau - Страница 20
Der Traum in der Nacht von Freitag 19. auf Samstag 20. August 2011
ОглавлениеWinter, der Boden festgefroren, in der Nacht hatte es geschneit. Eine erste, dünne Schneedecke lag über dem Feld zum Waldrand hoch. Die Ackerfurchen waren teilweise deutlich, wie mit dem Lineal gezogen, als dunkle Linien erkennbar, nicht genug Schnee, um über alle Unebenheiten, das glatte weiße Laken winterlicher Pracht zu spannen, das in der Sonne glitzert, die Augen blendet. Der Himmel war grau und diesig, Schneeluft, eiskalte Windböen, ein unwirtlicher, verloren scheinender Ort im Irgendwo. Von den Grashalmen an der Böschung neben dem Fahrweg hatte der Wind den Schnee weggepustet, sie schimmerten, als hätte der Frost sie mit einer feinen, dünnen Glasschicht überzogen.
Das weiße Haus stand unter dem Waldrand einsam auf freier Fläche. Die Fenster, über zwei Stockwerke verteilt, im immer gleichen Abstand zu-, übereinander und zu den Hausecken hin, nur einmal unterbrochen, an einer Stelle verlängerte sich das mittlere Fenster nach unten zu einer Haustür, von der eine steinerne Treppe hinunter auf den Fahrweg führte. Ein sauberes zweckmäßiges Rechteck, ohne jede Schnörkelei mit einem dunklen flachen Giebeldach. Schwarze Fensterlöcher in denen kein Licht schimmerte, kein Leben zu erkennen war. Der Himmel, die Landschaft, nichts spiegelte sich im Fensterglas, als gäbe es gar keines, als zöge der kalte Wind geradewegs durch die leeren Fensterhöhlen ins Haus. Die Haustür öffnete sich, sein Vater stand dort auf der Treppe, winkte ihn mit der Hand zu sich heran, in dieser ihm so vertrauten, unnachahmlichen Art, die keinen Widerspruch duldete. Er lief zu ihm, als er vor ihm stand, sah er diese Wespe, die sich gerade auf seinem Hals abgesetzt hatte. Der Hinterleib des Insektes hob und senkte sich pulsierend, kurz davor zu zustechen. Er hörte seine Stimme, ruhig und gefasst: „Du hast eine Wespe am Hals sitzen. Bleib ruhig stehen, ich scheuch sie weg!“ Sein Vater kam ihm zuvor, sprang zurück, als habe ihn eine Tarantel gestochen, wedelte mit den Armen, schlenkerte mit den Beinen wie eine Marionette, an deren Fäden ruckartig gezogen wurde, eher zufällig schlug er sich das Tier mit dem Handrücken vom Hals und verschwand ruckartig wieder im Haus als rissen ihn unsichtbare Schnüre zurück.
Er legte sich platt auf den Boden, spürte die hart gefrorene Erde, die kalten Kieselsteine und schüttete Körnerfutter in den Hühnerstall, der nur aus einem großen Stück Wellblech bestand, das hinten in der Erde verschwand und vorne kniehoch aus dem Boden ragte, gehalten von in die Erde gerammten Holzpfosten. Er warf Stroh hinein, streute Futter unter das Dach aus. Auf dem Wellblech über ihm hockten dicht an dicht Dohlen, Krähenvögel. In sicherer Entfernung auf dem Weg spazierten Tauben auf und ab. Alles wartete nur darauf, dass er endlich verschwand, sie ihren Teil vom Futter abbekamen. Er schob das Stroh ganz nach hinten, in den schmalen Winkel, da wo das Wellblech im Boden verschwand. Dort fand er ein totes Huhn, um an den Kadaver heran zu kommen, musste er etwas vorrobben, kam fast mit dem Oberkörper in den Hühnerdung, roch die Tiere, die, dicht an dicht, in der anderen Ecke, auf Abstand zu dem toten Körper, standen. Er spürte ihre Wärme, kam nur mit Mühe, mit spitzen Fingern an den Kadaver, angelte ihn zu sich heran, bis er ihn endlich packen, mit Schwung hinter sich ins Freie werfen konnte. Erst dachte er seine überraschende Bewegung hätte die Krähenvögel aufgeschreckt, dann sah er diesen Schatten, den Plastikkanister aus dem eilig, mit hektischen Hin- und Herbewegungen etwas über den Strohballen ausgegossen wurde. Benzin! Hoch schossen die Flammen, im nu brannte es lichterloh, eine Feuerwand rund um das ganze Haus: Feuer! Feuer! Er wachte auf, hinter den Fenstern dämmerte der Morgen.