Читать книгу Windelträger - Roman einer Reise - Kristof Lindenau - Страница 23
Eine schwere Geburt
ОглавлениеSie gaben ihm etwas zu trinken, um seinen Stuhlgang zu erleichtern. Rein rechnerisch war unumgänglich, dass das, was er oben in sich hinein schaufelte, ihn irgendwann in anderer Konsistenz und Menge wieder verlassen musste. Er hatte inzwischen mehrfach mit Appetit gegessen, dieser Punkt rückte unerbittlich näher. Er hatte einen quietschroten Rettungsring bekommen, der Schlauch eines Rollerreifens, vielleicht von einer Vespa, damit er überhaupt sitzen konnte. Ohne dieses Luftpolster schossen höllische Schmerzen, wie Blitzschläge, links und recht in den Seiten hoch, als stünden seine Harnleiter bis hinauf zu den Nieren unter Strom. Er hatte Panik, sich fast in die Hocke, auf die Klobrille nieder zu lassen. Er sollte nicht pressen, alles sollte so aus ihm rausflutschen. Als er es ausprobierte wurde er von Schmerzen geradezu zerrissen, wurde ihm schwarz vor Augen. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn, tropfte auf die grauweiß gesprenkelten Kacheln. Er konzentrierte sich verzweifelt auf dieses kleine Sprenkelmuster, nur nicht ohnmächtig werden, nur nicht kopfüber vom Klo kippen. Er stöhnte, hätte am liebsten laut aufgeschrieen, biss sich auf die Lippen. Er hatte schon einmal zugeschaut, als ein Köper von Schmerzen geradezu zerrissen wurde, bei seiner Frau, bei der Geburt seiner Kinder, bei der Entbindung. Ja! Ja! Es war zum Lachen, wenn es nicht gerade zum Heulen wäre, auch er wollte entbinden, abführen, sich befreien. Bei ihm ging es nur nicht um etwas edles, schönes, unvergleichliches, der Geburt eines Kindes, dass mit seinem Erscheinen alle erlittenen Schmerzen wegwischte, bei ihm ging es ganz ordinär um Schei… Das wäre jetzt das letzte, hier auf dem Klo ohnmächtig vor Schmerzen zusammenklappen, und dann finden sie ihn, voll geschissen, besinnungslos, wie peinlich. Er bis die Zähne aufeinander rappelte sich auf, ging unverrichteter Dinge, wartete auf den nächsten Druckanstieg. Sie brachten ihm einen Klostuhl, den konnte er sich über das Klo rollen, dann saß er etwas höher, komfortabler, wie auf einem Thron, musste nicht mehr tief in die Hocke gehen. Es half nur etwas, nicht wirklich und dann immer diese technische Fragen: „Hatten sie Stuhlgang“ „Neeeeiiiin!!!!!
Es wurde eine schwere Geburt, er konnte sich nicht erinnern, jemals im Leben derartige Schmerzen ausgehalten zu haben, die sich von keinem Schmerzmittel besänftigen ließen. Eine einzige Marter und dann hat es plötzlich funktioniert, als sei ein Damm gebrochen. Er war erlöst.
Jetzt drohte am Horizont nur noch das Ziehen des Katheters. Das ist wohl nicht so schlimm. Er hatte es bei seinem Nachbarn, bei Walter, beobachtet: „Husten Sie einmal!“ und flutsch war das Ding raus. Wenn der nur nicht geschwindelt, ihm etwas vorgemacht hat, so nach dem Motto: Ein Indianer kennt keinen Schmerz. In seinen Harnleitern steckten noch diese feinen, beweglichen Drähte, die sie vor der Operation hinein geschoben hatten, damit sie nicht übersehen, versehentlich zugenäht, vernäht, beschädigt werden, so ungefähr haben sie es ihm erklärt. Davor hatte er noch gehörig Bammel, besonders weil wieder gesagte wurde: “Ach das ist gar nichts, das ziept ein bisschen, das geht bei den meisten ohne Betäubung.“ Ohne Betäubung?! Er glaubte ihnen kein Wort.