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1.5.12 ‚Eigentliche‘ vs. ‚uneigentliche‘ Rede
ОглавлениеDieses Gegensatzpaar begegnet häufig in der Gleichnisforschung. Jülicher greift damit eine Kategorie der antiken Rhetorik auf, die ihm hilft, Gleichnis/Vergleich mit Allegorie/Metapher zu kontrastieren.1 Die Rhetorik differenziert zwischen einer Redeweise im Sinne von unmissverständlichem ‚Klartext‘, der Deutung weder braucht noch zulässt (‚eigentliche‘ Rede), und einer Redeweise, die nicht sagt, was sie meint, und deutungsbedürftig ist (‚uneigentliche‘ Rede). Die qualitative Bewertung der Redeweisen hängt am Sprachbegriff: Wird Sprache primär als Informationsmedium verstanden, wird ‚eigentliche‘ Rede höher bewertet (rhetorische Optik). Wird Sprache jedoch primär als Form (po[i]etischer) Wirklichkeitserschließung verstanden, wird ‚uneigentliche‘ Rede hochgeschätzt (poetische Optik). Die ‚metaphorische Wende‘ (→ 2.2.3) war in dieser Hinsicht ein Paradigmenwechsel. Die Metapher gilt seither als Grundbaustein sprachlicher Erschließung von Welt; das lässt die pejorative Bezeichnung ‚uneigentlich‘ deplatziert erscheinen. Dennoch bestimmt das Gegensatzpaar bis heute die Diskussion um vergleichende Texte sowie die Unterscheidung von Vergleich und Metapher.2 Dementsprechend wird der semantische Unterschied zwischen Vergleich und Metapher vielerorts noch heute an der Vergleichspartikel wie festgemacht. Der vorliegende Entwurf unterscheidet stattdessen zwischen ausgesprochenem (Vergleich: kein Deutungsbedarf) und nicht ausgesprochenem Vergleichspunkt (Metapher: Offenheit, Sinnüberschuss, Deutungsbedarf; → 1.4.4a/1.4.4b).
Definition: Das Begriffspaar entstammt der antiken Rhetorik und fokussiert den Gegensatz zwischen wörtlich und übertragen zu verstehender Rede. Während das rhetorische Sprachverständnis uneigentliche als deutungsbedürftige, zu ersetzende Rede wertet, wertet das Sprachverständnis der Poetik die Metapher als Grundform sprachlicher, poetischer Welterschließung, das heißt als eigentliche Rede.
Abschließend sei die Verschränkung von rhetorischer und poetischer Optik dieses Buches auf eine griffige Formel gebracht:
Die Eigentlichkeit ‚uneigentlicher‘ Redeweise besteht darin, dass sie über den Umweg der Uneigentlichkeit so zum Eigentlichen kommt, wie es mittels ‚eigentlicher‘ Redeweise gar nicht möglich wäre.