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2.2.1 Gleichnisse als frühjüdische Gattung
ОглавлениеJülichers Rückbezug auf die griechisch-römische Rhetorik zur Bestimmung von Gleichnisform und -zweck wurde schon früh kritisiert. Nicht die antike Rhetorik, sondern die rabbinischen Talmud-Gleichnisse (hebr. meschalím) seien der adäquate Bezugsrahmen der Gleichnisse Jesu. Gleichnisforscher wie Paul Fiebig (1876-1949), David Flusser (1917-2000) und Peter Dschulnigg (1943-2011) stehen für diese Position. Sie verweisen auf die jüdische Prägung Jesu und auf die große Nähe zwischen rabbinischen und neutestamentlichen Gleichnissen.
Wir verstehen die Gleichnisse Jesu nur dann richtig, wenn wir sie als der rabbinischen Gleichnisgattung zugehörig betrachten. Aus dem Wort Jesu über den Zweck der Gleichnisse [Mk 4,10-12parr.] erfahren wir, dass Jesus die Gleichnisse aus denselben Gründen wie die Rabbinen erzählte.1
Das Argument, die Talmudtexte seien deutlich jünger als die Evangelien, wird unter Verweis auf die lange mündliche Vorgeschichte der relativ konstanten und prägnanten Erzählform der Gleichnisse zurückgewiesen. – Der Vergleich zwischen neutestamentlichen und talmudischen Gleichnissen führt zu einer grundsätzlichen Kritik an Jülichers Postulat eines Gleichnis-Idealtyps: Die frühjüdischen Gleichnisse sind allesamt auslegungsbedürftig und weisen mehr als ein tertium comparationis zwischen Erzähl- und Deutungsebene auf. Ohne nachweisbaren Gleichnis-Idealtyp ist aber auch die Kontrastierung zur Allegorie hinfällig.