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2.1.1 Ausgangspunkt: anti-allegorischer Affekt

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Kernanliegen Jülichers ist die Abwehr der bis dato üblichen Allegorese der Texte. Hierfür nimmt er klare, an der antiken Rhetorik orientierte Begriffsdefinitionen vor.1 Er konstatiert einen Gegensatz zwischen ‚eigentlicher‘ und ‚uneigentlicher‘ Rede. Erstere (Vergleich, Gleichnis) sagt klar und unmissverständlich, was sie meint – und sie meint auch, was sie sagt! Letztere (Metapher, Allegorie)2 hingegen sagt gerade nicht, was sie meint, bzw. sie meint etwas anderes, als sie sagt. Das entspricht Jülichers liberal-theologischem Jesusbild: Jesus war ein genialer Pädagoge, der in unnachahmlicher Klarheit und Verständlichkeit seine Botschaft (die Idee vom Reich Gottes samt seinen sittlich-religiösen Wahrheiten) an sein Auditorium richtete und es zu überzeugen wusste. Dieser Jesus konnte nur Klartext gesprochen haben, nicht etwa deutungsbedürftige, ‚uneigentliche‘, metaphorisch-allegorische Rätselrede.

Kein Mittel hat er unversucht gelassen, kein Mittel des Wortes, um das Wort seines Gottes an und in die Herzen seiner Hörer zu bringen, nur die Allegorie, die nicht verkündigt, sondern verhüllt, die nicht offenbart, sondern verschließt, die nicht verbindet, sondern trennt, die nicht überredet, sondern zurückweist, diese Redeform konnte der klarste, der gewaltigste, der schlichteste aller Redner für seine Zwecke nicht gebrauchen.3

Was an den Gleichnissen der Evangelien auslegungsbedürftig erscheint, geht, so Jülicher, auf das Konto der Evangelisten, die Jesu Gleichnisse als rätselhafte Allegorien missverstanden und sie mit christologischen Inhalten angereichert hätten. Die schriftlich vorliegenden Gleichnisse seien demnach das Ergebnis eines tiefgreifenden, allegorischen Verfälschungsprozesses.4

Sie [scil. die Evangelisten] verstehen unter parabolḗ nicht bloß eine vergleichende Rede, sondern eine, die außerdem dunkel ist, der Deutung bedarf.5

Diese Einschätzung macht einen inneren Zusammenhang zwischen anti-allegorischem Affekt, Jesusbild und Missverständnis- bzw. Verfälschungstheorie sichtbar.6 Hinzu kommt Jülichers Annahme eines Gleichnis-Idealtyps, der keinesfalls deutungsbedürftig sei, sondern ‚Klartext‘ spreche und nur einen einzigen Vergleichspunkt (tertium comparationis) habe. Dieser Idealtyp im Munde Jesu beinhaltet, so Jülicher, eine zeitlose, moralisch-religiöse Satzwahrheit als wesentlichen inhaltlichen Kern.7 Die Gleichnisform ist für Jülicher im Gegensatz zu der in ihr transportierten Satzwahrheit letztlich ersetzbar.

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