Читать книгу Gott war dort, aber sie ist schon wieder fort - Kurt F. Stangl - Страница 21
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Wackerland/Oberpfalz, Dienstag 7. Januar 1986 / 07.49
Unbeachtet glitt Johanna wie ein Geistwesen vor und hinter den Fronten der Polizeikräfte und der Platzbesetzer hin und her, zwischen den Reihen der Menschen hindurch. Ständig veränderte sich die Sichtweite ihrer Augen. Es schien, als ob ihr Zoomobjektiv ein fester Bestandteil ihres Körpers geworden wäre.
Sie war mit ihrem externen Auge dabei, als einige Beamte im Halbdunkel mit deutscher Gründlichkeit an einem vereinzelten Baum an der Dorfgrenze ein weißes Schild festnagelten. Hell leuchtete ein Blitz auf. Um sicherzugehen, dass die weißen Helme und die Schildaufschrift ›Durchlaßstelle‹ von dem elektronischen Blitzlicht nicht überstrahlt wurden, folgte ein zweiter mit weniger Leistung.
Beobachtend war Johanna zugegen, als die uniformierten Einsatzkräfte sich in lockerer Haltung vor den Dorfbewohnern aufreihten. Hier wurden die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen deutlich. In ihren tiefgrünen Uniformen, einem Parka, der bis etwa eine Hand breit oberhalb der Knie reichte, einer kältefesten Hose und schwarzen Stiefeln standen die Beamten von Bundesgrenzschutz und Bereitschaftspolizei auf Befehle wartend da. Mit einem Schlagstock in der einen und einem großen durchsichtigen Schutzschild in der anderen Hand wirkten sie aggressiv und einschüchternd. Ein weißer Helm mit Kinnschutz machte die Panzerung komplett. Kaum einer hatte sein Helmvisier geschlossen. In ihrer modernen Rüstung wirkten sie im Wald fehl am Platz gegenüber den Menschen, die sie in wenigen Minuten vom Gelände zu tragen beginnen würden.
Die Atomkraftgegner trugen Anoraks, Wintermäntel, Lodenmäntel, Parkas oder gefütterte Trachtenjacken in den unterschiedlichsten Farben und Mustern. Nur wenige hatten sich nicht den Hals mit einem Schal oder Tuch geschützt – der eine oder die andere Dorfbewohnerin war froh, dass keine allzu beißende Kälte herrschte, denn wenn ein Demonstrant es gewagt hätte, sein Gesicht gegen die Minustemperaturen in ein Tuch zu hüllen, hätte er gegen das Vermummungsverbot verstoßen und wäre straffällig geworden. So schmückte zumindest alles, was Wärme versprach, ihre Köpfe. Vom Trachtenhut und Kopftuch über Pudelmütze bis zur Skimütze war alles dabei. Bei manchem der Platzbesetzer oder Beobachter wärmte langes Haar die Ohren und ein dichter Bartwuchs einen Teil des Gesichtes.
Johanna bewegte sich in dem nur wenige Meter breiten Niemandsland, das zwischen den Linien der beiden Parteien entstanden war. Unbehelligt fotografierte sie die angespannten Gesichter. Einige standen einander regungslos gegenüber; andere, vor allem ältere Oberpfälzer Bürger und Bürgerinnen, schimpften oder diskutierten lautstark mit den Staatsdienern.
Um Verlusten durch die ungünstigen Lichtverhältnisse vorzubeugen, betätigte sie für ein Motiv jeweils mehrmals den Auslöser. Noch bevor die Räumung in Gang kam, hatte sie bereits mehrere belichtete Filme aus der Kamera geholt.