Читать книгу Gefangene aus Liebe - Lara Greystone - Страница 12
Kapitel 10
ОглавлениеRaúl hatte keine Zeit verloren und war mit dem Großteil seiner Männer angerückt. Boris, der Stellvertreter seines Bruders Ramón, hatte einen fragwürdigen Bericht abgegeben. Dabei hatte er keine Gelegenheit ausgelassen, Hassan, den Leibwächter seines Bruders, zum Sündenbock zu machen und ihm die Schuld an seinem Tod zuzuschieben.
Vielleicht log Boris, offensichtlich hasste er ihn auch, denn er hatte ihn eingesperrt und ihm kein Blut zukommen lassen, damit sein Körper nicht in der Lage war, sich zu regenerieren.
Zu seinem Leidwesen brauchte er diesen Boris jedoch, um die vorhandenen Kontakte zu nutzen, damit er die Drogengeschäfte seines Bruders weiterführen konnte.
Gleich würde er dieser Ratte Boris aber vor Augen führen, was ihm in Zukunft blühte, sollte er ihn je enttäuschen. Wenn er das Gebiet seines Bruders übernehmen wollte, müsste er sich Autorität verschaffen und ein für alle Mal klarstellen, wer das Sagen und die Macht hatte. Er würde diesen Hassan nutzen, um ein Exempel zu statuieren.
Außerdem war Ramón trotz allem sein Bruder gewesen und der Leibwächter bot ihm eine willkommene Gelegenheit, die Wut und den Schmerz über seinen Verlust herauszulassen – und er hatte nicht vor, sich zurückzuhalten.
„Das habt ihr zu erwarten, wenn ihr euch mir widersetzt“, warnte Raúl, als der klägliche Rest von den Leuten seines Bruders vor ihm versammelt war.
Auf einen Wink von ihm wurde Hassan von zwei seiner Vampire hereingebracht und festgehalten. Bevor der auch nur den Mund aufmachen konnte, schlug Raúl auf ihn ein.
Das Knacken der Knochen und das herausgedroschene Blut verschaffte ihm Befriedigung und erzielte bei den Zuschauern den gewünschten Effekt. Am Ende lag nicht mehr als ein Haufen blutüberströmtes Fleisch am Boden.
„Ich habe jetzt die Herrschaft über dieses Gebiet. Wer mir die Treue schwören will, kniet jetzt nieder. Wer stehen bleibt, ist der Nächste.“
Keiner stand mehr, als er seine blutigen Hände an einem Tuch abwischte. „Da wir das jetzt geklärt haben, werde ich Schritte in die Wege leiten, um am Mörder meines Bruders Rache zu nehmen und diese Wächter auszurotten. – Boris, du sperrst diesen Verräter hier zusammen mit seiner Mutter ein, damit er ihr Blut trinken kann. Ich bin noch nicht fertig mit ihm.“
Bald darauf hielt Raúl das Portemonnaie in Händen, das Boris ihm überreicht hatte, und klopfte es ungeduldig in seine offene Hand. Leer! Völlig leer! Kein Führerschein, kein Ausweis! Wütend taxierte er Boris mit seinem Blick.
„Ist das alles, was ihr von dem Wächter und seiner Gefährtin habt?“
Vermutlich verschwieg Boris Informationen, um sich bei ihm unentbehrlich zu machen. Zugegebenermaßen ein kluger Schachzug, doch er würde diese verlogene Ratte umbringen, sobald er sie nicht mehr brauchte.
„Du sagtest doch, dass Oskar den gefangenen Wächter und seine Gefährtin verhört hat. Er war ein Teufel auf diesem Gebiet! Ich verstehe einfach nicht, warum er aus den beiden nichts rausbekommen hat. Zumindest die Frau hätte unter Folter doch den Standort der Wächter verraten müssen.“
„Euer Bruder hat mich nicht ohne Grund zu seinem Stellvertreter gemacht. Ich könnte Euch sehr nützlich sein und dieses Gebiet überaus profitabel verwalten.“
Aha, jetzt spielte Boris seinen Trumpf aus.
„Wenn Ihr die Frau wollt, kann ich Euch vielleicht helfen, aber dazu bräuchte ich ein paar Eurer Kämpfer.“
„Du verlogener Hund! Hältst du etwa Informationen zurück?“ Wutentbrannt packte er Boris und drückte ihm brutal die Kehle zu, während er seine Taschen durchsuchte. Er fand allerdings nur einen handgeschriebenen Zettel, auf dem eine Handynummer und ein Vorname standen.
„Woher stammt der und wer ist Sarah?“
Ungern, aber notgedrungen lockerte er seinen Griff.
„Den hatte die Gefährtin bei sich, aber es gelang uns nicht, den Nachnamen oder die Adresse zu lokalisieren.“
„Und das zeigt mir wieder, was für ein dilettantischer Haufen ihr wart! Aber damit ist jetzt Schluss!“
Er stieß Boris weg, der keuchend nach Luft rang.
„Ich habe einen äußerst talentierten Computerspezialisten rekrutiert, wenn auch gegen seinen Willen. Der wird sich um diese Nummer hier kümmern. Christian ist zwar nur ein Mensch, aber wenn es um das Leben seiner Familie geht, kann er sehr ehrgeizig werden.“
Raúls Augen verengten sich zu Schlitzen und er streckte seinen Zeigefinger zu Boris aus. „Und was dich angeht: Dir gebe ich sogar meine vier besten Männer mit und die werden dafür sorgen, dass du wieder zu mir zurückkommst! Und falls du ohne die Frau hier auftauchst, wirst du Hassan um sein Schicksal beneiden! Haben wir uns verstanden?“
Unter größten Qualen wachte Hassan in einer finsteren, stinkenden Zelle wieder auf. Im gleichen Augenblick zog jemand an seinem Bein. Ein gleißender Schmerz durchfuhr ihn und er verlor erneut das Bewusstsein. Was er als Nächstes mitbekam, war das Schluchzen seiner Mutter.
„Es tut mir leid, Hassan. Es tut mir so leid. Aber ich muss deine gebrochenen Knochen richten, bevor sie schief zusammenwachsen.“
Sie holte zitternd Luft und brachte seinen Unterarm wieder in die richtige Position. Der Schmerz explodierte wie ein Stromschlag. Mit eisernem Willen unterdrückte er jedes Stöhnen. Dennoch hörte sie nicht auf zu schluchzen, während sie fortfuhr, und das schmerzte ihn fast noch mehr.
Seine Mutter war immer hart im Nehmen gewesen. Ein Überbleibsel aus der Zeit, als sie Sklavin in Byzanz gewesen war, bevor sie von einem Vampir, seinem späteren Vater, befreit wurde. Doch nach Jahren der Gefangenschaft durch Ramón versiegte sogar ihr Lebenswille.
Er war gezwungen, Ramón bedingungslos zu dienen, andernfalls bestrafte man seine Mutter vor seinen Augen. Falls er einen Fluchtversuch wagte, würde man sie sehr langsam und grausam töten.
Raven, seinem tragischen Vorgänger und unfreiwilligem Ausbilder, war es ebenso ergangen. Doch Raven hatte vor Ramón nur eine Show abgezogen und seiner Mutter in Wahrheit nie ein Haar gekrümmt. Für alle unsichtbar war – hinter Ramóns Rücken und unter seiner brutalen Gewalt – eine felsenfeste Freundschaft zwischen ihnen entstanden. Doch als Raven mit Rose und Alice floh, hatte er zurückbleiben müssen, da seine Mutter, wie fast immer, an einem anderen Ort festgehalten worden war.
Seine Mutter wischte sich die Tränen ab, als sie mit der Prozedur fertig war, und hielt ihm ihr Handgelenk hin.
„Diese Verbrecher haben dich völlig ausgehungert, du brauchst dringend viel Blut.“ Sie machte einen tiefen Atemzug und legte ihre Hand an seine Wange. „Hassan, mein Sohn, ich will, dass du dem endlich ein Ende setzt. Trink und hör nicht auf, bis der letzte Tropfen meines Blutes in dir ist. Ich kann nicht mehr ertragen, was du meinetwegen zu erleiden hast.“
„Ich wäre nicht dein Sohn, wenn ich dir dein Leben nehmen könnte.“ Doch das war kein Leben mehr für sie. „Ich finde einen Ausweg.“
„Es gibt keinen Ausweg, Hassan, und das weißt du auch.“
Er spürte, dass sie dabei war, endgültig zu zerbrechen.
Unter Schmerzen hob er seine Hand, an der eine schwere Kette hing und berührte ihre tränennasse Wange. Er tat das Einzige, was er für seine Mutter tun konnte – er ließ sie einschlafen.
Der Hunger nach Blut brannte wie ein Feuer in ihm, dennoch wagte er nur ganz wenig von seiner ohnehin geschwächten Mutter zu trinken. Sein Hunger würde ihn weiter quälen und seine Wunden nicht richtig verheilen, bis er eine andere Quelle fand. Was eingesperrt in dieser fensterlosen Zelle tief unter der Erde unmöglich war.