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Kapitel 7

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Durch ihre innere Verbindung spürte Lara, was ihre Reaktion bei John ausgelöst hatte. Sie atmete einmal tief durch. Er hatte recht behalten, man konnte sich nicht belügen. Doch mit so einer Klarheit alle zutiefst persönlichen Gefühle eines anderen wahrzunehmen – damit umzugehen, musste sie erst noch lernen.

Sie nahm die Sachen von Ara wieder in die Hand und folgte John. Zögernd blieb sie im Durchgang zum Ankleidezimmer stehen, das fast die gleiche Größe wie sein Schlafzimmer hatte. Schweigend beobachtete sie, wie er ein edles, aber schlichtes weißes Hemd vom Bügel nahm.

Sollte sie sich für ihre Gefühle entschuldigen?

Während sie dabei zusah, wie er die vorderen Knöpfe schloss, dachte sie darüber nach, aber das schien ihr der falsche Weg zu sein.

Dann krempelte John seine Ärmel hoch und sie musste unwillkürlich schmunzeln.

„Was ist?“

„Ich, ähm“, sie deutete auf den zweiten Ärmel, den er gerade bearbeitete, „mache mit meinen Blusen immer das Gleiche.“

Erleichtert registrierte sie, dass der Ansatz eines Lächelns auf seine Lippen zurückkehrte.

„Und du versteckst deinen Brieföffner im Stiefel, genau wie ich mein Messer“, meinte er. Seine Gesichtszüge wurden wieder weicher.

„Vinz hat Zahnstocher dazu gesagt“, entgegnete sie humorvoll empört und er hob eine Augenbraue.

„Ach so, jetzt verstehe ich. Und was war dein Niespulver?“

„Eine kleine Gaspistole.“ In Erwartung eines verächtlichen Kommentars ergänzte sie schnell: „Aber hey, damit hab ich immerhin einen Vampir aufgehalten!“

Sie rechnete damit, dass John nachfragen würde, wie sie das angestellt hatte, doch stattdessen wandte er seinen Blick ab. Er seufzte und setzte sich auf die gepolsterte Bank, um seine Schuhe anzuziehen.

„Du hast dich in Lebensgefahr gebracht. Bitte tu so was nie wieder.“

„Ich habe dir dein Leben gerettet!“, protestierte sie.

„Nicht einmal dafür, Lara.“ John hatte seine Unterarme auf die Oberschenkel gelegt und blickte auf den Boden. „Ich könnte mir nie verzeihen, wenn auch noch du meinetwegen getötet wirst.“

„Was meinst du damit?“

Er schloss kurz die Augen und stieß geräuschvoll die Luft aus. „Ich dachte immer, Elisabeth wäre bei einem Autounfall gestorben. Aber seit zwei Tagen weiß ich, dass ich an ihrem Tod schuld bin. Sie würde noch leben, wenn ich kein Wächter wäre.“

John hatte ihren Namen vorher erst einmal ausgesprochen und sie hörte die Qual in seiner Stimme. Sie konnte sich kaum vorstellen, wie schlimm es sein musste, einen Partner zu verlieren, mit dem man ganze Jahrhunderte verlebt hatte.

Ihr fehlten die Worte, also trat sie einfach neben John und strich ihm mit einer Hand über seine goldbraunen Locken. Für einen Moment schien es, als wollte er seine innere Last ablegen, sich fallen lassen und ihren Trost annehmen. Doch dann hob er den Kopf und deutete auf ihre Hand, in der sie immer noch die Waffe und das Zeug aus Leder hielt.

„Von Vinzenz, nehme ich an?“

Sie verstand, was er damit bezweckte. Um nicht in einen Abgrund aus Trauer zu fallen, hatte auch sie sich nach der Tunnelkatastrophe ablenken müssen – mit Bergen von Arbeit.

„Ja, die Sachen sind von Arabellas Mann.“ Um die Stimmung etwas aufzulockern, fügte sie scherzhaft hinzu: „Mit Niespulver von einem gewissen Ambi.“

John nahm ihr die Pistole aus der Hand und betrachtete die Waffe fachmännisch. „Aha, eine Glock. Gute Wahl. Die hat den Vorteil, dass sie leicht ist und besonders zuverlässig. Außerdem ist es eine Safe Action, das heißt, sie ist speziell gesichert. Fällt dir diese Pistole mal herunter, löst sich kein Schuss und auch der Abzug hat eine Sicherung, damit sie nicht versehentlich ausgelöst werden kann. Das verhindert, dass du dir …“

„Ich weiß, ich weiß! Damit ich mir keine Löcher in die Füße schieße.“ In dem Bedürfnis, ihn aufmuntern, schaute sie nach unten und wackelte mit den pinkfarbenen Bärentatzen aus üppigem Plüsch an ihren Füßen.

„Wäre doch schade um die hübschen Schuhe, nicht wahr?“

Bei diesem Anblick mussten beide schmunzeln und die Stimmung hellte sich wieder auf.

Sie fuhr mit dem Zeigefinger an seiner Oberlippe entlang. „Dein Lächeln gefällt mir.“

„Und mir gefällt der Grund, den ich dafür habe.“

Einen Moment herrschte Stille und sie meinte, in seinen bernsteinfarbenen Augen einen Hunger zu erkennen, der ihr gleichzeitig Angst und Verlangen bereitete. Sie wollte gerade einen Schritt zurückweichen, als John ihr das seltsame Lederding abnahm.

„Ach schau mal an, Vinz denkt an alles. Er hat dir gleich noch ein Holster mit Gürtel dafür besorgt.“

Hatte er ihre Angst gespürt? Sie deshalb abgelenkt?

Sie wollte ihn danach fragen. Doch sein Blick von vorhin, dieser Hunger in seinen Augen – sie war schlicht zu feige.

„Und was mache ich nun mit einem – Holster?“

„Da steckst du deine Glock rein. Sieh mal, das ist eine spezielle Ausführung, schön weich und extra flach gearbeitet. Damit kannst du die Waffe unauffällig unter einer Jacke oder einem Pulli tragen.“

Skeptisch hob sie eine Augenbraue. „Aha.“

„Komm her, ich zeig’s dir“, sagte er und schob die Pistole in das Holster.

Sie trat zu ihm an die Bank zwischen seine geöffneten Beine. Diese Nähe ließ ihren Bauch angenehm kribbeln – zu angenehm. Immerhin wollte sie doch gleich fahren.

Sie versuchte, sich abzulenken. „Ach ja, eine Kevlarweste soll heute auch noch für mich kommen. Ich schätze mal, das ist keine Strickweste für kalte Tage?“

„Nein, wohl eher für bleihaltige Luft“, meinte John amüsiert, während er den Ledergürtel in die dafür vorgesehenen Schlitze des Holsters fädelte. „Das ist eine kugelsichere Schutzweste. Ich muss mich unbedingt bei Vinz bedanken.“

„Klasse. Und als Nächstes krieg ich bestimmt einen Patronengurt, ein Stirnband und ein bisschen Tarnfarbe ins Gesicht“, grummelte sie, wobei jedoch ein bisschen Humor mitschwang. John, der immer noch auf der Bank saß, blickte verwirrt zu ihr hoch, bevor mit ihrem nächsten Satz der Groschen bei ihm fiel.

„Ihr macht einen Rambo aus mir!“

„Nein. Eine Schriftstellerin, die sich im Notfall wehren kann.“

Etwas in seiner Miene ließ sie ahnen, dass er es zu so einem Notfall gar nicht kommen lassen würde.

John senkte den Blick und zog ihr nun den Gürtel durch die Schlaufen ihrer Jeans.

Seine Nähe ließ ihr Herz schneller schlagen und sie erinnerte sich, wie seidig weich sich seine Locken angefühlt hatten, die so wild und ursprünglich aussahen. Sie konnte nicht widerstehen und fuhr mit ihren Fingern genüsslich durch seine goldbraunen Wellen. Gleichzeitig von ihm berührt zu werden, fühlte sich einfach zu gut an.

Als er den Gürtel in der Schnalle festzog, wäre ihr beinahe ein leises Stöhnen herausgerutscht.

Sie spürte, wie seine Hände auf ihrer Hüfte verharrten. Während ihre Finger abermals durch seine Haarpracht glitten, wurde sein Griff fester. Sie meinte beinahe, ein leises Knurren zu hören, doch er räusperte sich laut, ehe sie sich sicher war.

„Dann lass uns mal sehen, wie es für dich am besten ist.“

Wie es für mich am besten ist?

Ihre Hände wurden feucht. „Ich – ähm.“

Aber er steckte nur die Pistole in das Holster am Gürtel. Nun rettete sich Lara in ein Räuspern, um ihren Satz nicht zu beenden.

„So, die Waffe ist jetzt rechts hinten an deinem Rücken. Du bist doch Rechtshänderin, oder?“

„Ja.“

„Zieh die Glock mal raus und sag mir, ob du gut drankommst.“

Sie hatte Mühe, sich auf seine Worte zu konzentrieren, denn seine Hände ruhten mittlerweile an den Außenseiten ihrer Oberschenkel, fühlten sich viel, viel wärmer an, als sie sollten, und sandten angenehme Hitzewellen in den Rest ihres Körpers.

„Geht prima“, antwortete sie heiser.

„Okay, jetzt setz dich mal auf die Bank und probier, ob die Waffe dabei auf der Sitzfläche aufstößt oder drückt.“

Sie wechselten die Positionen.

„Nein, ist in Ordnung.“

„Gut. Dann gib mir die Pistole mal kurz.“ John stand direkt vor ihr, überprüfte das Magazin und die Patronen.

Sie würde gehen, gleich nachher, aber seine Nähe prickelte heiß durch ihren Körper, wirkte wie ein Aphrodisiakum.

Unfähig zu widerstehen, strich sie mit ihren Händen über die Außenseiten seiner Hüften und seiner muskulösen Oberschenkel. Ein leises Knurren, das eher an das Schnurren einer Katze erinnerte, drang aus Johns Kehle.

So macht man also aus einem Vampir einen Schmusekater, dachte sie und musste schmunzeln.

„Das kannst du meinetwegen den ganzen Tag machen“, flüsterte er unvermittelt an ihr Ohr und strich dabei mit den Fingern einer Hand durch ihre Haare. Sie konnte gerade noch verhindern, dass ein wohliges Seufzen über ihre Lippen kam. Leider wusste sie sehr genau, wohin das führen würde, und dachte an die viele Arbeit, die heute noch vor ihr lag. Ein verlegenes Räuspern, dann versuchte sie, sich aus der Situation zu manövrieren.

„Verlockend, aber ich war eigentlich von deiner Lederhose fasziniert.“ Was auch nicht gelogen war. „Das Leder ist butterweich.“ Sie erlag ein zweites Mal der Versuchung und strich wieder außen über Johns Hüften. „Die trägt sich bestimmt sehr angenehm.“

Abrupt wandte er sich von ihr ab. Kein Wunder, auch eine Lederhose war nicht imstande, alles zu verbergen.

„Das liegt an der Qualität des Leders und der hervorragenden Verarbeitung. Eine Maßanfertigung von meinem Schneider in London.“

„Wow.“

John grinste spitzbübisch. „Noch etwas, das wir gemeinsam haben. Wir tragen beide gerne Lederhosen.“

„Ist das deine Art, mir Honig um den Mund zu schmieren?“

Innerhalb eines Wimpernschlags war sein Mund so nah an ihrem Ohr, dass sein Atem kitzelte.

„Und, funktioniert es?“, flüsterte er. Ohne auf eine Antwort zu warten, zog er sich zurück und hielt ihr kurz darauf ihre Stiefel hin.

„Ich kann zwei für dich anfertigen lassen.“

Lara versuchte, sich innerlich von ihm loszureißen, während sie die Plüschpantoffeln aus- und ihre eigenen Stiefel anzog. Irgendwie hatte John ihre Schuhe trocken bekommen, obwohl Ramón sie gestern damit in den Pool geworfen hatte.

„Gib’s zu, du machst das Angebot nur, damit du bei mir Maß nehmen kannst.“ Entschlossen stand sie von der Bank auf. „Gib mir einfach die Adresse, ich bin schon ein großes Mädchen.“

Mit dem spitzbübischen Lächeln, das sie so an ihm liebte, sagte er: „Das mit dem Maßnehmen ist eine verlockende Idee.“

Oh ja, das konnte sie sogar von seinen Augen ablesen!

„Aber das ist nicht der Grund. Mein Schneider ist mit seinen 300 Jahren Berufserfahrung einer der besten. Seine Auftragsbücher sind mehr als voll, deshalb nimmt er keine neuen Kunden mehr an.“

„300 Jahre? Ein Vampir, nehme ich mal an?“

„Ja. Außerdem würde ich dir die Hosen gern zum Geschenk machen. Sie sind handgearbeitet und daher ziemlich teuer.“

Sie war innerlich aufgewühlt. Seine Gegenwart zog sie unwiderstehlich an, schürte ihr Verlangen. Gleichzeitig fürchtete sie sich vor ihm, fühlte sich unwohl in diesen dunklen Räumen und wegen der Bemerkungen, die Ara und Rose gemacht hatten. Sie war es gewohnt, völlig frei und unabhängig zu leben. Niemand sagte ihr, wohin oder ob sie irgendwohin zu gehen hatte – und das würde sie sich auch niemals nehmen lassen. Johns nettes Angebot, über das sie sich zu anderer Gelegenheit vermutlich gefreut hätte, erregte nun ihren Widerstand.

„Mir ist klar, dass eine Maßanfertigung nicht billig ist, aber ich habe mein eigenes Geld, John. Ich brauche keinen Mann, der mich aushält.“ Und vielleicht hätte sie irgendwann genug, um sich so einen Luxus guten Gewissens zu leisten. Doch das würde sie ihm garantiert nicht auf die Nase binden.

***

Für John fühlte sich ihre vehemente Abweisung wie eine schallende Ohrfeige an. Er hatte zuletzt im Mittelalter einer Frau den Hof gemacht und sein Geschenk wäre zu damaliger Zeit positiv aufgenommen worden. Leider hatte er keine Ahnung, wie man einer Frau aus dem 21. Jahrhundert den Hof machte – ohne dabei ins Fettnäpfchen zu treten. Ara hatte mal zu ihm gesagt, das würde man nie verlernen, es wäre wie Radfahren. Welche Ironie! Er hatte das Radfahren nämlich nie gelernt.

Frustriert stieß er die Luft aus.

Alle sagten, er wäre ein brillanter Taktiker. Im Umgang mit Lara zweifelte er daran, und das nicht zum ersten Mal.

Er musste schleunigst raus aus diesem Fettnäpfchen, am besten das Thema wechseln – schon wieder.

„Denk dran, die Gaspatronen nicht in geschlossenen Räumen abzufeuern. Wie ich Ambi kenne, hat er da ein Teufelszeug zusammengebraut.“

Er schob ihr die Pistole wieder ins Holster und wandte sich in Richtung Küche.

„Komm mit. Ich mach uns Kaffee. Danach gehen wir in unsere Trainingsanlage und ich bringe dir das Schießen bei.“

Gefangene aus Liebe

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