Читать книгу Gefangene aus Liebe - Lara Greystone - Страница 3
Kapitel 1
ОглавлениеMit geschlossenen Augen spürte Lara die Vibrationen des Vans, in den man sie gelegt hatte. Sie war am Ende ihrer Kräfte, kaum in der Lage, die Lider zu öffnen, geschweige denn wegzulaufen.
Gefangen in einem Keller, mit nichts als der Aussicht auf Folter und Tod, hatte sie sich ihr Blut aussaugen lassen, bis sie ohnmächtig zusammengebrochen war – Genau von dem Vampir, auf dessen Schoß sie nun lag und der sich mit seinen rasiermesserscharfen Reißzähnen in diesem Augenblick zu ihr hinunterbeugte.
Den entsetzten Schrei des Mannes, in den er ebendiese Reißzähne zuletzt geschlagen hatte, und den Ausdruck in dessen Gesicht, als ihm bewusst wurde, dass das sein Ende bedeutete, würde sie wohl niemals vergessen.
Die mörderischen Fänge, dazu geschaffen, Beute selbst im Todeskampf erbarmungslos festzuhalten, stoppten auf halbem Weg zu ihrem Hals.
„Wir sind gleich da“, sagte er und blickte sie aus sorgenvollen Augen an, die in ihrer Bernsteinfarbe nahezu strahlten. Die Augen waren im Moment auch das Einzige, was nicht an eine Gestalt aus einem Horrorfilm erinnerte.
Obwohl er sein Gesicht notdürftig mit einem feuchten Lappen abgewischt hatte, waren seine ehemals charakterstarken, aber weichen Züge vom Schmerz verhärtet. Am kleinen Streifen Kinnbart und seinen goldbraunen Augenbrauen waren immer noch Blutspritzer. Die breite, männliche Brust war vom Sonnenlicht schwarz verkohlt und überall auf seinem muskulösen Körper frisches und verkrustetes Blut. Die goldbraunen Locken, die sich zwischen ihren Fingern so weich angefühlt hatten und ihm bis auf die Schultern reichten, waren schmutzig und blutverklebt. Ja, selbst seine sanfte, tiefe Stimme klang nun hart und rau.
Als wäre sein Aussehen nicht Beweis genug, lagen auch noch vier aus ihm herausgezogene, blutige Spieße am Boden des Vans. Sie waren Zeugen seiner erlittenen Folter in einem Krieg, den die Ritter der Nacht – so nannte man früher Wächter wie ihn – seit Jahrhunderten gegen die abtrünnigen Mörder ihrer Rasse führten.
Lara hatte ihn als Einzige finden können, doch auch sie wurde gefangen.
Jetzt wollte sie nur noch nach Hause, zurück zu ihrem Schriftstellerdasein auf dem idyllischen Mühlenanwesen inmitten von Feldern. Weit weg wollte sie, von den Vampiren und der Welt, in die sie hineingeraten war – und von der sie bis vor zwei Wochen noch nichts gewusst hatte.
Aber seitdem war viel passiert …
Die Augen zu verschließen, war eigentlich nicht ihr Naturell, doch Lara sehnte sich nach ihrem friedlichen Zuhause. Dort würde sie sich in ihre Arbeit stürzen und am besten für immer auslöschen, was sie erlebt hatte.
Erinnerungen auslöschen – Vampire waren zu so etwas in der Lage, das hatte sie am eigenen Leib erfahren müssen. Eines Morgens war sie in ihrem Bett aufgewacht, ohne zu wissen, dass sie nachts von einer Brücke in den Tod gesprungen war und John gegen alle Regeln verstoßen hatte, um sie mit seinem Blut zu retten. John – der Vampir, in dessen Schoß sie gerade lag.
Natürlich wäre sie im Wohnhaus der Müller wieder mutterseelenallein. Niemand würde ihr die Tür öffnen, sie in den Arm nehmen oder für sie Frühstück machen. Das einzige Wesen, das dort auf sie wartete, war Tarzan, der halbwilde Kater, der auch als Einziger ihrem Schlafzimmer ab und zu einen Besuch abstattete.
Sie spürte ein Holpern, dann neigte sich der Van nach vorn und sie hörte ein ratterndes Geräusch. Johns starke Arme hielten sie fest, andernfalls wäre sie in den Fußraum gerollt. Mehr schlafend als wach öffnete sie erneut ihre bleischweren Lider.
„Wo sind wir?“ Ihre Stimme klang genauso leise und kraftlos, wie sie sich fühlte.
„Du bist in Sicherheit, wir sind Zuhause.“
Nein. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht.
Mit einem Aufwand, als müsste sie einen Zentner Kartoffeln stemmen, hob sie den Kopf ein wenig und sah durch die UV-Licht-geschützte Scheibe das schwere Rolltor einer Tiefgarage.
Es öffnete sich, wie ein hungriges Monster sein Maul aufriss – und genau so würde es sie verschlingen.
Die Klaustrophobie, unter der sie seit dem verheerenden Tunnelbrand litt, bei dem sie beinahe erstickt und verbrannt wäre, legte die würgenden Hände um ihre Kehle.
„John“, wollte sie schreien, doch es kam nur ein heiseres Krächzen heraus. Zu erschöpft, um ihren Kopf noch länger oben zu halten, ließ sie ihn schwer auf seinen Schoß zurücksinken.
„Du musst mich nach Hause bringen, John, in meine Mühle. Quint weiß, wo ich wohne.“
„Ich will, dass Alva dich zuerst medizinisch durchcheckt und dann musst du dich erholen. Du brauchst jetzt viel Ruhe, Lara.“
Sie mochte ja am Ende ihrer Kräfte sein, doch sie ahnte, was er vorhatte. Auch ohne den Kopf zu heben, sah sie nun, wie der Van in den dunklen Bauch der Bestie fuhr.
Langsam, so als würde das imaginäre Monster es genießen, senkte sich Stück für Stück die schwere Wand aus Stahl.
Stück für Stück verschluckte das gierige Maul das Sonnenlicht.
Stück für Stück legten sich die würgenden Hände enger um ihren Hals.
Luft! Sie bekam nicht mehr genug Luft!
Panisch mobilisierte sie den winzigen Rest ihrer Energie, versuchte, die weiche Fleecedecke zurückzuschlagen, um aufzustehen und aus dem Bauch der Bestie zu fliehen.
Aber John steckte die Decke wieder fest, seine Arme hielten sie so sanft und doch so erbarmungslos zurück.
„Ich liebe dich, Lara.“
Trotz des Gefühls, jeden Moment zu ersticken, versuchte sie, sich wenigstens mit ihrer Stimme zu wehren.
„John, nein! Bring mich nach Hause.“
Doch diese Worte, die sie aus ihrer zugeschnürten Kehle presste, waren kaum mehr als ein heiseres, unverständliches Flüstern.
Als mit einem Unheil verkündenden, lauten Einrasten der letzte Spalt Licht verschwand, zuckte sie zusammen.
Nun war sie in der Dunkelheit gefangen.
Bilder des Tunnels tauchten auf, in dem der schwarze, giftige Qualm ihre Kehle verätzte und sie in die Bewusstlosigkeit zwang. Ersticken, sie würde qualvoll ersticken, wenn nichts geschah …
***
John steckte eine heruntergerutschte Ecke der Fleecedecke wieder fest, während Lara unverständlich murmelnd protestierte.
Er hatte versprochen, sie zu nichts zu zwingen, doch er würde auf keinen Fall zulassen, dass Lara sich erneut in Lebensgefahr begab, indem sie in ihre Mühle zurückkehrte. Ramón, dieser Teufel, der Lara vor seinen Augen beinahe hatte ertrinken lassen, und das zweimal, wusste nun, wo sie wohnte. Und dort wäre es ihm unmöglich, sie hinreichend zu schützen. Hier, im Hauptquartier der Wächter, gab es hohe Mauern, gekrönt mit Draht, der unter Starkstrom gesetzt werden konnte, dazu ein von ihm ausgeklügeltes Sicherheitssystem samt Infrarot-Überwachungskameras und Bewegungsmeldern. Außerdem kam er in seinem tiefsten Inneren nicht mehr gegen das Bedürfnis an, Lara in seiner Nähe zu halten.
Das lag nicht zuletzt auch daran, dass sie ihm ihr Blut geschenkt und damit den letzten Schritt der einzigartigen Symbiose zwischen einem Vampir und einer Frau besiegelt hatte. Leider nicht durch eine bewusste Entscheidung aus Liebe, die anschließend im Rausch der Leidenschaft vollzogen wurde. So hätte er sich das zwischen ihnen gewünscht und so entsprach es auch seit Jahrhunderten der Tradition. Nein, sie hatte ihm ihr Blut nur zur Verfügung gestellt, weil es die einzige Alternative zu Folter und Tod als Ramóns Gefangene gewesen war.
Lara hatte seine Vampirnatur bereits zuvor gefürchtet, doch nun war die junge Pflanze ihrer wachsenden Liebe vermutlich niedergetrampelt worden, als sie seinen brutalen Kampf zu ihrer gemeinsamen Befreiung hautnah miterleben musste.
Nur durch die neue Kraft aus ihrem Blut war es ihm möglich gewesen, sich den Weg aus dem Kellerloch freizukämpfen, in dem man sie beide gefangen gehalten hatte.
Das Ergebnis war allerdings ein Blutbad aus toten Körpern, in dessen Mitte Lara halb ohnmächtig, aber unangetastet gelegen hatte. Und jeder, der sie in Zukunft antasten wollte, müsste zuerst an ihm vorbei – besser gesagt über seine Leiche.
Er brauchte nicht seine Fähigkeit als Taktiker bei den Wächtern, um sich auszurechnen, dass Lara jetzt, nach ihrer Befreiung, versuchen würde, vor ihm zu flüchten – was er unbedingt verhindern musste.
Ihr Herz, er hatte ihr Herz gewinnen wollen, doch nun fragte sich John, ob sie ihn nicht schon bald hassen würde, weil er sie in einen goldenen Käfig steckte.
Die unsichtbaren Gitterstäbe würden nur aus Sorge um sie bestehen und alles wäre ausgepolstert mit Liebe und allem, was man für Geld beschaffen konnte. Doch ein goldener Käfig würde dennoch ein Käfig bleiben und Lara war klug genug, um das eher früher als später zu durchschauen.
Das Schlagen ihres Herzens, das ihm mittlerweile so vertraut war, riss ihn aus seinen Gedanken. Ihr Puls ging auf einmal viel zu schnell und auch ihre Atmung war unnatürlich.
Er war heilfroh, dass sein übernatürlich rascher Heilungsprozess bereits eingesetzt hatte und seine wahnsinnigen Schmerzen auf ein erträgliches Maß gesunken waren. Erst jetzt hatte er wieder genug Konzentration, um seine Fähigkeiten als Vampir zu nutzen und ihr zu helfen.
Sanft strich er eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht.
„Lara, du solltest schlafen, um dich zu erholen. Du hast uns beiden heute das Leben gerettet, das ist mehr als genug für einen Tag.“
Wie zu einem Gutenachtkuss legte er seine Lippen auf ihre Stirn und ließ sie durch seine Vampirkräfte damit in einen tiefen Schlaf fallen.