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Kapitel 6
ОглавлениеLara war erleichtert, auf Anhieb den Weg zurückzufinden.
Doch kaum schloss sich die Tür hinter ihr, stieß sie frustriert die Luft aus. Draußen schien die herrliche Nachmittagssonne, aber durch die geschlossenen Jalousien war in Johns Wohnung alles stockdunkel wie in einem Sarkophag. Im Schlafzimmer fand sie das Bett leer vor, doch die Tür vom Bad stand ein Stück offen und ein Streifen Tageslicht drang zu ihr heraus.
„Guten Morgen, Lara. Komm ruhig rein, ich bin gleich fertig.“
Neugierig öffnete sie die Badezimmertür und atmete angesichts des lichtdurchfluteten Raums erleichtert auf. „Ich wollte nur kurz …“ auf Wiedersehen sagen. Aber der Rest des Satzes blieb irgendwie auf der Strecke, denn John schenkte ihr einen liebevollen Blick, der ebenso wie sein attraktiver Anblick ihren Bauch kribbeln ließ.
Ein Vampir, mit goldbraunen Locken und einem nackten Oberkörper wie zum Anbeißen, stand am Waschbecken und rasierte sich. Sie hätte gleichzeitig lächelnd den Kopf schütteln und sich über die Lippen lecken können.
Dank ihrer guten Erziehung tat sie nur Ersteres.
Sie öffnete den Mund erneut, um sich zu verabschieden, doch John brachte sie aus dem Konzept.
„Was ist? Noch nie einen Vampir beim Rasieren gesehen?“
Er grinste sie spitzbübisch an und wusch sich den restlichen Schaum ab.
„Nein, tatsächlich nicht.“ Aber an diesen Anblick würde ich mich gerne gewöhnen.
Unwillkürlich biss sie sich auf die Lippe, denn ihre sicherlich verräterischen Augen versuchten, sich schamlos an ihm sattzusehen.
Mit einem Schlag hatte sie wieder das grauenhafte Bild vor Augen, als er blutend und mit furchtbarsten Verletzungen halb tot in den Ketten hing. Seine Haut war teilweise verkohlt gewesen.
Wie in einem Echo erinnerten ihre Sinne sie an den Brandgeruch in dem Tunnel – damals. Bilder von verkohlten Leichen tauchten vor ihrem inneren Auge auf.
Ohne sich einer Bewegung bewusst zu sein, stand sie auf einmal direkt vor John, streckte eine zitternde Hand nach ihm aus. Sie musste ihn einfach berühren! Sich erneut davon überzeugen, dass er wirklich lebendig und heil war.
Die letzte Katastrophe in ihrem Leben hatte ihren Freund in ein verkohltes Etwas verwandelt. Kein friedliches Gesicht im Leichenhemd, kein offener Sarg, kein Abschied.
Sie legte die Sachen ab, die Ara ihr mitgegeben hatte, und fuhr vorsichtig mit ihren Fingern über Johns breite Schultern, die muskulöse Brust, den Waschbrettbauch. Sie spürte den Schauer, der seinen Körper dabei durchfuhr.
Während ihre Fingerspitzen seine vollen weichen Augenbrauen nachfuhren, schloss er die Augen, und als ihre Hand über seine Wange strich, legte er seine darüber. Dabei atmete er tief ein und wirkte, als würde er ihre Berührung wie ein Elixier in sich aufnehmen.
Der Geruch von beißendem Qualm war verschwunden, während sie seine Haut berührt hatte, doch leider wurden die Bilder aus dem Tunnel nun durch die aus dem Keller von Ramón ersetzt.
„Sie hatten dich so schrecklich zugerichtet, John. Ich hätte dich schneller finden müssen.“
***
John hörte das Zittern in ihrer leisen Stimme und öffnete die Augen. Eine einsame Träne rollte über ihre Wange.
Sanft wischte er sie mit dem Daumen seiner freien Hand ab. Dann führte er Laras Hand, die unter seiner lag, zu seinem Mund und küsste zärtlich ihre Finger.
Gott sei Dank. Lara war hier bei ihm – unversehrt.
Anstatt es langsam mit ihr anzugehen, wie er sich das vorgenommen hatte, gab er dem unwiderstehlichen Drang nach und zog sie in seine Arme.
Er durfte gar nicht daran denken, was ihr alles hätte passieren können.
Das Bild, als sie langsam im Pool ertrank, stand ihm immer noch vor Augen und ließ ihm keine Ruhe.
„Ein Wunder, dass du überhaupt noch gelebt hast, bei dem, was sie dir angetan hatten“, flüsterte Lara.
Auf der einen Seite nicht, dachte er, denn Oskar, sein Folterknecht hatte ganz genau gewusst, wie weit er gehen durfte, andererseits …
„Ich hatte vor, dieser Hölle zu entkommen, indem ich Ramón so wütend mache, dass er mich im Affekt tötet.“
Das war der einzige Ausweg, den er gesehen hatte.
„Doch dann hat mir jemand in meinem Inneren befohlen durchzuhalten und gleichzeitig rückten die Schmerzen in den Hintergrund …“ So als hätte jemand einen schützenden Mantel um ihn gebreitet – wie, verstand er bis heute nicht.
„Meine Botschaft ist also angekommen“, sagte sie leise.
„Ja, dieser Jemand warst du. Und das hat mich gerettet. Du hast mich gerettet. Ich verdanke dir mein Leben.“
Er schloss die Augen und küsste sanft ihre Stirn.
„Diese Botschaft zu senden und mich zu finden, war eine überragende Leistung von dir, weißt du das eigentlich?“
„Und das nur mit Niespulver und Zahnstocher.“
Schlagartig hatte er wieder das Bild von Ramón vor sich, der Lara unter Wasser drückte. Seine Arme schlangen sich fester um sie.
„Ja, du warst unglaublich tapfer, aber du hast dein Leben dabei riskiert. Das hätte ich niemals gewollt.“
„Für das, was sie dir angetan haben, hätte ich sie am liebsten umgebracht“, flüsterte sie an seiner Brust.
„Für das, was sie dir angetan haben, habe ich sie umgebracht.“
„Dieser Ramón …“, Lara brach ab und schluckte.
„Ramón habe ich persönlich in die Hölle geschickt. Wir haben ihn und seine Leute gestern Nacht im Beta-Quartier gestellt und fast alle erwischt.“
„Erwischt? Damit meinst du …“
„Dass ihre Überreste bei Sonnenaufgang zu Asche zerfallen sind.“
Lara versteifte sich in seinen Armen. Er löste sich von ihr und umschloss mit beiden Händen sanft ihr Gesicht. Sie war neu in seiner Welt. Er würde versuchen, behutsam zu sein.
„Das waren keine Unschuldigen, Lara. Wir reden hier von Schwerverbrechern, die unzählige Male skrupellos gemordet haben.“
Sie hatte bisher nur die schrecklichen Seiten seiner Welt kennengelernt. Er wollte das unbedingt ändern, doch zuvor …
„Bitte sag mir, wer außer Oskar und Ramón noch dein Gesicht gesehen hat.“
Abrupt rückte sie ein Stück von ihm ab und sah ihn erschrocken an.
„Du wirst sie alle umbringen, oder?“
Vor seinem inneren Auge sah er, wie Lara mehr und mehr Wasser schluckte und Luftblasen nach oben stiegen, als sie im Pool unterging.
„Wenn niemand mehr lebt, der weiß, wie du aussiehst, bist du wieder sicher.“
Lara wich einen Schritt zurück.
„Deine Worte sind so kalt, dass ich eine Gänsehaut davon bekomme.“
Die Wut darüber, was sie ihr angetan hatten, ließ seine Hände zu Fäusten werden.
„Das sind blutgierige und skrupellose Mörder, Lara, und sie werden nicht aufhören. Als Vampire sind sie nahezu unsterblich, deshalb müssen wir sie stoppen. Ich bin ein Wächter, das ist meine Aufgabe!“
Lara ging noch einen Schritt zurück und er spürte durch die Symbiose, was seine Aussage bei ihr angerichtet hatte.
So wie sie würde sich wohl ein Alien fühlen, das nach einer freundlichen Begrüßung als Erstes in ein Gefängnis für Schwerverbrecher geführt wird und den elektrischen Stuhl erklärt bekommt.
Er musste dringend das Thema wechseln, um sie nicht noch mehr abzuschrecken. Ganz bewusst löste er seine Fäuste und schloss für einen Moment die Augen, um sich wieder zu beruhigen.
„Verzeih mir, dass ich erst jetzt danach frage, aber hattest du wieder diese merkwürdigen Ohnmachten, die dein Hirntumor verursacht?“
Lara wandte den Blick zur Seite, ihre Stimme wurde kalt.
„Nein. Aber das Ding ist immer noch da und hat sich nicht verändert.“
Also hatte sich nichts an ihrer Situation geändert – nichts an dem Grund, warum sie sich vor einigen Tagen umbringen wollte. Frustriert fuhr er sich mit der Hand durch seine Locken.
„Der Tumor – ich weiß. Alva und ich haben uns die Aufnahmen des Spezialisten noch am selben Tag angesehen.“
Skeptisch hob Lara eine Augenbraue.
„Wie denn das? – Ach so, euer Elia. Er hat sich mal wieder reingehackt, was?“
War sie deswegen verärgert?
„Verzeih mir, aber ich musste es einfach wissen, ich …“
„Schon gut, John. Ich bin dir nicht böse. Immerhin waren die ganzen Untersuchungen dank euch ja auch umsonst, wie ich von Sarah erfahren habe. Außerdem wurde ich zum ersten Mal behandelt wie ein VIP.“
„Alva steht wegen deines Tumors immer noch vor einem Rätsel. Aber seit du mein Blut getrunken hast, hattest du anscheinend keinen Blackout mehr. Deshalb bin ich nach wie vor der Meinung, dass, egal was es auch ist, die Auswirkungen unterdrückt werden, wenn du regelmäßig mein Blut trinken würdest.“
Sein Blut trinken – er merkte, dass sich Lara bei dem Gedanken sichtbar versteifte.
Er ließ sich nichts anmerken, doch es kränkte ihn, dass ihr dieses Geschenk, das sich nur Gefährten untereinander machten, so zuwider war. Zudem spürte er über die innere Verbindung zu Lara, dass ihr die ganze Sache auch noch eine Heidenangst einjagte. Also versuchte er nun zum zweiten Mal, das Thema zu wechseln und ihre Gedanken auf etwas Alltägliches zu lenken.
„Ich hab Hunger, wie steht’s mit dir?“
Und da war es: das riesengroße Fettnäpfchen!
Lara riss die Augen auf, fasste sich entsetzt an den Hals und wich hastig bis in den Flur zurück.
Er hatte ganz vergessen, dass sie schon bei Arabella gefrühstückt hatte, doch ihre Reaktion … Diesmal gab er sich keine Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen.
„Ich dachte an ein ganz normales Frühstück.“
Ohne ein weiteres Wort wandte er sich enttäuscht ab, nahm die andere Tür und ging zum begehbaren Kleiderschrank im angrenzenden Schlafzimmer.