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Kapitel 1

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Der Wecker klingelte. Ohne zu zögern schwang er sich aus dem Bett und legte sich auf den Fußboden. Routiniert begann er seinen Oberkörper anzuheben, um seine morgendlichen hundert Sit-ups zu absolvieren. Gabriel war jetzt vierunddreißig Jahre alt und einen nicht unerheblichen Abschnitt seines Lebens begann er mit diesem Ritual. Er wusste nicht mehr genau, wann er damit angefangen hatte, er wusste jedoch, dass er es brauchte.

Jeden Morgen.

Tag für Tag.

So war er, das war sein Leben. Nach genau hundert Wiederholungen stand er auf und ging zügig in das geräumige Badezimmer, ohne auch nur ansatzweise außer Atem gekommen zu sein. Die jahrelange Disziplin zahlte sich eben aus. Da Disziplin die Maxime seines Lebens war, stellte er nie infrage, ob es eine andere Möglichkeit gab, den Tag zu beginnen. Warum auch? Seine Lebensweise war optimal für ihn und auf effektivste Weise an seinen Alltag angepasst, also beließ er es dabei.

Jeden Morgen.

Tag für Tag.

Als Gabriel das Bad betrat, waren die anthrazitfarbenen Natursteinfliesen bereits durch die Fußbodenheizung vorgewärmt worden, sodass er sofort mit seiner Morgentoilette anfangen konnte. Wie immer putzte er als Erstes seine Zähne, die exakt in Reih und Glied in reinem Weiß erstrahlten. Das Richten lassen vor einigen Jahren hatte ihn ein kleines Vermögen gekostet. Der angesehenste Zahnästhetiker von ganz Manhattan hatte äußerste Perfektion an den Tag gelegt und ihn schlussendlich zu diesem überragenden Ergebnis geführt. Und Perfektion war für einen Dallaway McAllister gerade gut genug. Gabriel sah auf die Digitalanzeige an der Steinablage und stellte fest, dass er in der Zeit lag. Er hätte allerdings auch nichts Anderes erwartet. Also zog er seinen Pyjama aus und stieg in die Dusche. Für das Waschen und die vollständige Enthaarung seines Körpers durfte er ganz genau zwölf Minuten brauchen, denn auch für die Rasur seines Gesichts musste er im Anschluss noch etwas Zeit einplanen. Acht Minuten. An diesem Morgen gab es keine Unterbrechungen und er konnte die Dusche planmäßig verlassen und sich der Rasur widmen. Gabriel neigte zu einem dichten Bartwuchs, was ihn massiv störte und was dazu führte, dass er bei spontanen Abendterminen oft noch einmal im Vorfeld den entstandenen Schatten von seinen Wangen entfernen musste. Das war eine jener unvorhergesehenen Situation, die er nicht mochte, denn sie machten ihn nervös. Gabriel behielt gern die Kontrolle, war gern Herr der Lage. Nur dann konnte er hundert Prozent geben.

Mit langsamen kreisenden Bewegungen trug er den sahnigen Schaum auf seinen Wangen auf und schabte anschließend in langen akribischen Streifen die dunkelblonden Stoppeln der Nacht von seinem markanten Kiefer. Anschließend bewegte er zur Kontrolle seine manikürten Finger über die weiche Stelle. Nur, wenn sie präzise genug bearbeitet worden war, nahm er sich die nächste Partie vor.

Einschäumen, Schaben, Prüfen. Einschäumen, Schaben, Prüfen.

Nachdem er seinen Unterkiefer auf diese Weise behandelt hatte, befand er das Ergebnis als hundertprozentig gelungen und spülte sich gründlich die noch verbliebenen Schaumreste von seiner makellosen Haut. Jetzt konnte er sich seinen Haaren widmen. Dazu nahm er eine kleine Menge Haarwachs und verrieb es zwischen seinen großen Handflächen bis es warm wurde. Dann verteilte er die herb männlich riechende Paste mit gespreizten Fingen in seinem festen Haar und strich es zu einem angedeuteten Seitenscheitel nach hinten. Gabriel kaufte das Wachs bei seinem hauseigenen Coiffeur, der ihm immer sonntags den Nacken frisch ausrasierte und die Konturen bereinigte. Obwohl ihm sein hellbraunes Haar beim Duschen bis über die Augen fiel, so saß jetzt nach dem Stylen jede Strähne an seinem Ort. Nach der Prozedur im Badezimmer, steuerte er in langen gezielten Schritten sein Ankleidezimmer an, das sich direkt an den Master Bedroom anschloss. Insgesamt hatte er in diesem Penthouse drei Schlafzimmer.Wen interessierte das schon. Er lebte hier völlig allein und nutzte nur circa ein Drittel der vierhundertachtzig Quadratmeter, die sich in der siebzehnten Etage mitten an der Upper East Side befanden. Durch das große Panoramafenster konnte man selbst in seinem Ankleidezimmer den Ausblick über die Skyline von New York genießen, was er jedoch nie tat. Gabriel war kein Genussmensch – eher fokussiert und zielstrebig, was ihn in seinem Arbeitsleben oft weitergebracht hatte. Genuss war Zeitverschwendung und deshalb völlig nutzlos. Er schob einige Kleiderbügel zur Seite, die mit einem hölzernen Geräusch aneinanderschlugen. Seine Haushälterin war angewiesen, die Anzüge und Hemden nach Farben zu sortieren, weshalb das Anziehen nie lange dauerte. Er musste nur noch die Farbe von Hemd und Anzug kombinieren. Da er als Sponsor für verschiedene Galerien schon früh ein ausgeprägtes Verständnis für Farben und Formen entwickelt hatte, war dies eine seiner leichtesten Aufgaben. Viel schwieriger hingegen war es, erstklassige Designeranzüge zu bekommen, die Gabriels Ansprüchen entsprachen. Er war äußerst wählerisch und legte Wert auf einen perfekten Sitz. Da er mit einem Meter einundneunzig relativ groß war, lag sein Augenmerk verstärkt auf den Hosenbeinen. Er hasste es, wenn die Hose auch nur einen Zentimeter zu kurz war. Deshalb nahm der Familienschneider oft einige Zeit in Anspruch, die ausgewählten Exemplare auf einen makellosen Sitz anzupassen. Wenn Geld jedoch keine Rolle spielte, bekam man über kurz oder lang eben alles, was man wollte.

„Alles außer Glück“, vervollständigte Gabriels Unterbewusstsein den Satz, blendete das Gesagte aber unverzüglich wieder aus, denn für Hirngespinste hatte er erst Recht keine Zeit.


„Guten Morgen Mister McAllister, Sir. Ich hoffe Sie hatten eine gute Fahrt.“

Gabriel begrüßte den Securitymann am gläsernen Haupteingang der Dallaway Corporation nur mit einem angedeuteten Nicken, obwohl der große dunkelhäutige Mann ihm die Hand zu Begrüßung entgegenstreckte. Der Sicherheitsmann war neu im Unternehmen und konnte deshalb Gabriels Gepflogenheiten noch nicht kennen. Doch spätestens in einer Woche würde er es kapiert haben. Gabriel gab grundsätzlich niemandem die Hand. Weder zur Begrüßung, noch sonst irgendwann und sein Umfeld musste diese Tatsache früher oder später akzeptieren. Er konnte Berührungen nicht ertragen. Das war schon immer so gewesen, zumindest solange er sich erinnern konnte. Falls es sich nicht vermeiden ließ jemanden anzufassen, wie bei der Maniküre oder beim Schneider, schrubbte er anschließend seine Hände so lange, bis sie rot und wund waren. Wenn dann noch Stress hinzukam, was in seinem Leben eigentlich täglich der Fall war, verfiel Gabriel geradezu in einen Wahn aus Schrubben und Seifen. Meist endete es erst, wenn ihn jemand bei der schmerzhaften Prozedur ertappte oder wenn er so viel rohes Fleisch sah, dass ihm sein Verstand genehmigte, die Pein zu unterbrechen.

Ohne den Sicherheitsmann weiter zu beachten, ging Gabriel geradewegs zu den Fahrstühlen, die ihn in die achtzehnte Etage befördern würden. Er wartete eine Fahrt ab, weil sich zwei Personen in der Kabine befanden, und er die Enge als unangenehm empfand. Als der nächste freie Fahrstuhl kam stellte er zufrieden fest, dass es trotz der Verzögerung erst sechs Uhr achtundfünfzig war und er somit eine Minute zu früh in der Chefetage ankommen würde. Mit einem Pling öffneten sich die Fahrstuhltüren. Ein hagerer Assistent seines Alters lief an ihm vorbei und grüßte ihn zuvorkommend. Gabriel nickte erneut steif, obwohl jeder Außenstehende meinen könnte, dass sich aufgrund des gleichen Alters schnell ein kurzes Gespräch hätte ergeben können. Nicht so bei Gabriel. Er war zwar stets höflich, legte jedoch keinen Wert auf zwischenmenschliche Beziehungen – weder zu seinen Angestellten, noch zu sonst irgendjemandem. Beziehungen behinderten den Weg, Ziele zu erreichen und außerdem waren sie unnütz. Zumindest war es das, was ihm seine Eltern seit dem achten Lebensjahr beigebracht hatten. Er wusste, dass er acht gewesen war, weil er sich genau an diesen Tag erinnern konnte.

Gabriel hatte aufgrund seines angeborenen Wohlstandes immer Neider gehabt. Also wurde er gehänselt. Anfangs machte er sich unsichtbar und erduldete die Schikanen, aber schnell wurde im bewusst, dass er seinen Peinigern körperlich überlegen war. Deshalb setzte er seine Körpergröße als Waffe ein. Schon bald verzichteten die anderen Jungen darauf, ihn zu schlagen und straften ihn stattdessen mit Nichtachtung, wodurch Gabriel immer allein war. Eines Tages schien es das Schicksal gut mit ihm zu meinen, denn es sandte ihm ein Geschenk in Form eines lausbübischen Jungen. Sein Name war Pete und von einem Tag auf den anderen hatte der kleine Rotschopf mit den grünen Augen und dem schelmischen Lächeln Gabriels gesamten Alltag auf den Kopf gestellt. Er war in etwa so alt wie Gabriel und wurde aufgrund seiner auffälligen Haarfarbe ebenfalls von den Mitschülern geschnitten. So wuchsen Gabriel und er bald zu einer undurchdringbaren Einheit zusammen. Er und Peter hatten viele Gemeinsamkeiten. Vor allem konnten sie zusammen Spaß haben, was Gabriel sonst mit niemandem konnte. Auch wenn Gabriels Eltern die plötzliche Ausgelassenheit ihres Sohnes missbilligten, war er einfach nur unendlich froh darüber gewesen, endlich einen Freund zu haben. Gabriel war es egal, dass er ihn nur in der Schule sehen durfte. Er wusste, dass er irgendwann auf das private Internat gehen würde, wo er schließlich mehr Zeit mit Pete würde verbringen können. Ungefähr ein Jahr lang war Gabriels Welt durch ihn in Ordnung gewesen. Bis die kleine dicke Miss Smith an einem Mittwoch zu Beginn der Mathestunde verkündet hatte, dass Pete bei einem Autounfall gestorben sei. Binnen fünf Sätzen war sein Universum komplett zerstört. Gabriels neue Welt war völlig aus den Fugen geraten. Er hatte nur dagesessen und versucht seine Gedanken zu sortieren, was ihm einfach nicht gelingen wollte. Sie waren so durch seinen Kopf gekreist, dass er spürte wie ihm schlagartig übel davon wurde. Nachdem er sich nach dem Unterricht mehrmals auf der sterilen Schultoilette übergeben hatte, war er weinend nach Hause gelaufen, obwohl er wusste, dass Weinen etwas für Schwächlinge war. Und in seiner Familie gab es keine Schwächlinge, sagte sein Vater. Seine Eltern hatte sich sein Leid zwar angehört, jedoch wie erwartet mit Abweisung reagiert. Er hatte nie Wärme in seiner Kindheit erfahren und so hatte es auch an diesem Tag nur eine Belehrung über die Zwecklosigkeit von Freundschaften gegeben. Danach ging er noch sechs Monate zu einem Psychologen, der ihm auf Wunsch seiner Eltern beibringen musste, wie man negative Energien umwandelte und dazu verwendete, sich auf seine Ziele zu fokussieren. Schlussendlich war er seinen Eltern sogar dankbar für diese Lektion in seinem Leben gewesen. Er hatte es nach Petes Tod geschafft, sein Leben neu zu strukturieren und die gewonnenen Erkenntnisse über Effizienz und Disziplin in seinen Alltag zu übertragen. Es hatte Kraft gekostet, aber es hatte ihn auch zu dem erfolgreichen Geschäftsmann gemacht, der er heute war.


Isabellas Plan vom Glück

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