Читать книгу Isabellas Plan vom Glück - Laura J. Colerman - Страница 6

Kapitel 4

Оглавление

„Eleonore McAllister?“ Die wohlklingende Stimme seiner Mutter drang aus dem Hörer und Gabriel musste feststellen, dass er nicht das kleinste Gefühl verspürte, wenn er die präzise formulierten Silben nach exakt einer Woche hörte. Er lehnte sich in seinem ledernen Bürosessel zurück und fixierte irgendeinen imaginären Punkt auf seinem überteuerten Schreibtisch.

„Hallo, Mutter. Wie geht es Dir?“ Er konnte hören, wie sie sich versteifte, als sie merkte, dass ihr Sohn am Telefon war. Bis heute hatte er nicht verstanden, warum seine Eltern nie in der Lage gewesen waren, ihm warmherzig und ungezwungen zu begegnen. Trotzdem hatte er sie als seine Eltern akzeptiert und empfand einen gewissen Respekt für ihre Leistung, ein Millionengeschäft und ein Kind unter einen Hut zu bekommen.

„Gut, gut. Ich habe viele Vorbereitungen für die Gala zu treffen. Wie läuft es in der Firma?“ Da sich seine Mutter mit Gabriels Eintritt in die Dallaway Corporation aus dem operativen Tagesgeschäft zurückgezogen hatte, um sich mehr der Imagepflege und diversen Randprojekten zu widmen, schien immer eine gewisse Panik in ihrer Stimme mitzuschwingen, wenn sie ihrem Sohn diese Frage stellte. Obwohl er in Stanfort unter den zehn besten Absolventen seines Jahrgangs gewesen war, misstraute sie seinen Fähigkeiten. Er wusste, er war gut in dem was er tat, das bewiesen schließlich die aktuellen Zahlen. Trotzdem musste er ständig sein Können unter Beweis stellen. Anfangs versuchte er noch besser zu werden, inzwischen ließ er ihr fehlendes Vertrauen hingegen einfach an sich abprallen. Er wusste jetzt, dass sie Vertrauen ausschließlich seinem Vater gegenüber empfinden konnte, dessen Familie den Softwareriesen vor Generationen aus dem Boden gestampft hatte. Spannung schwang in seiner Stimme mit, als er nach einem kurzen Moment antwortete.

„Es geht alles seinen gewohnten Gang, Mutter.“ Er hätte in die Tiefe einiger Projekte gehen können, dafür fehlte ihm nach vergangener Nacht allerdings die Kraft. Es entstand eine distanzierte Pause, denn eigentlich hatten sie sich nichts Anderes zu sagen. Grundsätzlich erkundigte sich seine Mutter nie nach privaten Befindlichkeiten. Einmal hatte Gabriel von sich aus den Versuch unternommen, ihr von seiner quälenden Schlaflosigkeit zu erzählen, mit der er Tag für Tag leben musste. Die Quintessenz daraus war, dass sie ihn nun nicht einmal mehr fragte, wie es ihm ging. Schlaflosigkeit war in ihren Augen ein Makel und Makel hatten in ihrer Familie nichts zu suchen.

„Ist Vater da?“

„Natürlich.“ Manchmal war er die wöchentlichen Anrufe leid, aber die Regel besagte, dass er sie dienstags anrufen sollte, also tat er es.

„Gut, gut. Na dann werde ich dich nicht länger von der Arbeit abhalten.“ Gabriel erschienen die Worte merkwürdig, schließlich hatte er sie angerufen. Selbstverständlich hätte er sie niemals korrigiert.

„Gutes Gelingen bei den Vorbereitungen der Gala. Auf Wiedersehen.“

„Bis nächste Woche.“

Gabriel legte den Hörer auf, faltete für einen Moment die Hände und ließ sie auf seinem glänzenden Schreibtisch ruhen. Er spürte ein leichtes Zittern an den Fingern und als er sie schließlich wieder wegnahm, hatte sich ein kleiner beschlagener Fleck auf der glänzenden Tischplatte gebildet. Seit Längerem schien etwas nicht mit ihm zu stimmen. Immer öfter schwitzten seine Hände und ein merkwürdiges Gefühl der Übelkeit machte sich unterhalb seiner Rippen breit, wie auch jetzt. Er stand auf und trat vor das bodentiefe Fenster. Für einen Moment blickte er auf den sonnigen Junitag hinaus. Schließlich beruhigte sich sein Atem wieder etwas. Solche Fehlreaktionen seines sonst toughen Körpers verwirrten ihn so stark, dass er sich vor einigen Wochen schon ärztlich durchchecken hatte lassen. Leider war sein Arzt ein Stümper, obwohl er seinem Ruf nach, einer der Besten hätte sein sollen. Er hatte ihn einer Reihe von Belastungstests unterzogen, alle inneren Organe gecheckt und attestierte ihm eigentlich beste Gesundheit. Doch dann begann er plötzlich sein Privatleben und eventuelle Tiefschläge in seinem Leben zu analysieren, was Gabriel überhaupt nicht gefiel. Also hatte Gabriel sofort die Praxis verlassen und war nach Hause gefahren. Dort war er augenblicklich auf sein Laufband gestiegen und so lange gerannt, bis er die Wut in seinem Bauch einigermaßen kontrollieren konnte. Von Psychoanalyse hielt er genauso wenig wie von Beziehungen und wäre Dr. Burke auch nur ansatzweise ein guter Mediziner gewesen, hätte er sich auf das Wesentliche, nämlich seine angeschlagene Physis konzentriert.

Als es zaghaft an seiner Bürotür klopfte, merkte Gabriel wie sehr seine Fingerknöchel schmerzten, weil er seine Hände zu Fäusten geballt hatte.

„Ja, bitte?“ Gabriels tiefe Stimme war schroff, er konnte gerade überhaupt keine Störung gebrauchen. Er ging zu dem kleinen Waschraum neben seinem Büro und begann seine Hände unter heißem Wasser zu schrubben. In dem beleuchteten Spiegel sah er außerdem, dass eine kleine Haarsträhne widerspenstig von seinem Kopf abstand, die er pedantisch in seine Frisur zurückschob.

„Mister McAllister, Sir? Entschuldigen Sie bitte die Störung. Miss Harper wünscht Sie zu sprechen.“ Das hatte ihm jetzt gerade noch gefehlt.

„Bringen Sie sie rein, Jeanine.“ Nachdem Gabriels Hände abgetrocknet, aber leuchtendrot waren, ging er zurück zum Schreibtisch und lehnte sich locker an dessen Kante. Er hatte seine äußere Beherrschung über die Jahre perfektioniert, denn es ging niemanden etwas an, ob er nachts wieder nur drei Stunden geschlafen hatte, oder ihm so übel war, dass er Angst haben musste, sich hier und jetzt in den Papierkorb zu übergeben. Nach einem kurzen Moment der vollkommenen Ruhe, hörte er das Klackern der Absätze auf dem dunklen Parkettboden. Seine Tür wurde langsam geöffnet und eine hochgewachsene Blondine betrat den großzügigen Raum.

„Hallo, Gabriel“, sagte sie samtweich und er verschränkte sofort die Arme vor der Brust, wodurch sich sein Armani-Anzug über seine Schultern spannte.

„Charlotte. Waren wir verabredet?“

Sie kam auf ihn zu, woraufhin er sich abrupt aufrichtete und um seinen Schreibtisch herumging, um sich hinzusetzten. Sichtlich verwirrt blieb sie stehen.

„Eigentlich nicht, nein. Nun, ich dachte, du hättest vielleicht Lust auf Lunch? Mit mir … meine ich.“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Für einen kurzen Moment tat sie Gabriel leid, wie sie frisch frisiert vor ihm stand und nach seiner Aufmerksamkeit heischte. Sie war eine attraktive Frau und er hatte sich in den letzten Monaten, in Momenten der Schwäche, dazu hinreißen lassen, ein paarmal mit ihr zu schlafen. Sie war schon lange eine Freundin der Familie und eine der wenigen Frauen, die bedingungslos akzeptierte, dass er sie weder küssen, noch sonst irgendwie zärtlich berühren würde. Er vermutete, dass sie seine Eigenarten still ertrug, weil sie insgeheim Gefühle für ihn hegte und hoffte, ihn über einen längeren Zeitraum verändern zu können. Doch das würde nie passieren und das musste sie früher oder später begreifen.

Zu Beginn seiner Sexualität, hatte er natürlich verschiedene Dinge ausprobiert, die ihn auch mehr oder weniger befriedigt hatten. Nachdem er in einer Dokumentation gesehen hatte, wie viele Keime sich im menschlichen Mund befanden, war er dennoch dazu übergegangen, sich auf den reinen Prozess der Penetration (natürlich verhütet) zu beschränken. Zu widerlich war ihm der Gedanke gewesen, fremde Bakterien an seinem makellosen Körper zu haben. Da er beim Sex sowieso nur körperliche Erleichterung verspürte, brauchte er das ganze Drumherum nicht. Wie dem auch sei, er hatte offensichtlich ein Problem, denn Charlotte war in den letzten Monaten nie in seinem Büro aufgetaucht, um ihn zum Lunch abzuholen. Er wusste, dass es ein Fehler gewesen war, mit ihr zu schlafen.

„Das ist nett von dir, aber ich habe Termine, die ich nicht verschieben kann.“ Er bemühte sich um ein Lächeln, schließlich konnte sie nichts dafür, wie er war, und außerdem war Desinteresse noch lange kein Grund dafür unfreundlich zu ihr zu sein. Sie hatte sich wirklich alle Mühe mit ihm gegeben, jedoch einfach nicht verstehen wollen, wie sinnlos ihre Initiative von Anfang an gewesen war.

„Oh, okay. Na dann vielleicht morgen?“ Ihre blauen Augen funkelten so hoffnungsvoll, dass es Gabriel unangenehm wurde.

„Nein, auch morgen nicht“, sagte er zunehmend ungeduldig, riss sich jedoch schnell wieder zusammen. „Hör zu, Charlotte. Das mit uns beiden wird niemals etwas Ernstes werden. Ich habe dir diesbezüglich nie etwas vorgemacht.“ Er stand auf, um ihr etwas Respekt entgegenzubringen, auch wenn seine Körpergröße auf viele

Menschen einschüchternd wirkte. Als ihr Blick einen Moment zu lange auf seinen noch roten Fingern ruhte, ließ er seine Hände zur Sicherheit in seinen Hosentaschen verschwinden. Ihr Gesichtsausdruck wurde traurig, bevor sie ihm nun direkt in die Augen sah.

„Das weiß ich, Gabriel. Das habe ich auch nie von dir verlangt, auch wenn ich es mir vielleicht gewünscht habe. Trotzdem mache ich mir ernsthaft Sorgen um dich.“

Sie trat nun näher an ihn heran, blieb allerdings zu seiner Erleichterung in angemessenem Abstand zu ihm stehen.

„Das ist freundlich von dir, aber das brauchst du nicht. Es ist alles in bester Ordnung mit mir.“ Er lächelte und breitete bestätigend seine Arme aus, um auf seine Besitztümer zu deuten.

„Du weißt genau, dass ich das alles nicht meine. Ich habe deine Hände gesehen. Warum machst du das?“ Diese sinnlose Fragerei nach seinem Befinden war genau der Grund, aus dem er sich vor sozialen Bindungen sträubte. Er musste sich zukünftig noch stärker daran erinnern, sich von ihnen fernzuhalten.

„Ich habe wirklich keine Ahnung wovon du sprichst, Charlotte. Bitte halte dich aus meinen Angelegenheiten raus.“ Er wendete sich nun wieder ab und drehte ihr den Rücken zu, um aus dem Fenster zu sehen. Gott, wie sie ihn plötzlich anstrengte. Konnte sie nicht einfach verschwinden?

„Warum bist du so kalt zu mir? Wir kennen uns seit … wie lange? Fünfzehn Jahren? Ich sehe doch wie du dich verändert hast. Du warst schon immer verkorkst, seit einigen Monaten erkenne ich dich hingegen überhaupt nicht mehr wieder.“ Er spürte ihren besorgten Blick in seinem Rücken und verabscheute es.

„Charlotte“, sagte er eindringlich und drehte sich zu ihr um, „ich weiß wirklich nicht was du hier willst. Ich lebe mein Leben und du lebst deines. Wir haben keinerlei Verbindung, weder freundschaftlich noch partnerschaftlich. Ich kann nichts dafür, dass du Probleme in etwas hineininterpretierst, obwohl es keine gibt.“ Er sprach nun mit ihr, als wäre sie nicht ganz klar bei Verstand.

„Es tut mir leid, Gabriel. Anscheinend habe ich dich überschätzt.“ Ihre Stimme triefte jetzt vor Bitterkeit. „Ich dachte, irgendwo in deiner versteinerten Seele schlummert doch noch ein wenig Menschlichkeit, da habe ich mich wohl getäuscht. Ich habe dich, verflucht noch mal, nur nach einem Lunch gefragt. Selbst das war ja offensichtlich zu viel verlangt. Du hast es geschafft, Gabriel! Herzlichen Glückwunsch!“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und lachte verbittert. „Du hast es geschafft, dass nun auch der letzte Mensch auf Erden begriffen hat, dass du ein kaltes, selbstsüchtiges Stück Scheiße bist.“ Sie funkelte ihn aufgebracht an, woraufhin er sich wieder in seinen Sessel sinken ließ.

„War das alles? Dann bitte ich dich jetzt zu gehen.“ Seine Stimme wirkte ruhig und freundlich, wodurch sie nur noch mehr in Rage geraten zu schien.

„Weißt du was, Gabriel? Deine Mutter hatte Recht. Du bist es nicht wert. Leb wohl!“ Mit einem lauten Knall schlug sie seine Tür hinter sich zu, und er war froh, dass er sie endlich los war. Gabriel ging ins Bad, um sich zu waschen und schon auf den Weg durch den Raum merkte er, wie stickig es plötzlich um ihn herum geworden war. Seine Übelkeit schwallte jetzt derart stark in ihm auf, dass er schneller laufen musste, um noch rechtzeitig das Marmorwaschbecken zu erreichen, in das er sich lautstark übergeben musste.

Als er aus seinem Büro trat, um zu dem Gesellschaftermeeting zu gehen, hinterließ er eine Notiz für Jeanine. Er teilte ihr förmlich mit, dass er morgens kein Obst mehr zum Frühstück wollte, denn das war ja das einzige was er heute zu sich genommen, aber offensichtlich nicht vertragen hatte.


Isabellas Plan vom Glück

Подняться наверх