Читать книгу Und dann kommst Du dahin an einem schönen Sommertag - Loretta Walz - Страница 13

Geschichte als Prozess

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Viele Frauen, die ich kennen lernte, schienen erst im hohen Alter bereit zu sein, sich mit der eigenen Verfolgungsgeschichte zu beschäftigen oder Kontakt zu früheren Leidensgefährtinnen zu suchen. Bei einigen war es der Tod des Lebenspartners, der eine Auseinandersetzung mit der Zeit der Verfolgung in Gang setzte. Manchmal waren es die Enkel, die Interesse an der Geschichte zeigten, und manchmal waren auch die im Alter wach werdenden frühen Erinnerungen der Auslöser. Oft war es ein Film, ein Artikel oder ein Jahrestag, der den Ausschlag gab, mit der eigenen Geschichte nach außen zu treten. Viele dieser Frauen sagten von sich, sie seien politisch nicht interessiert und wollten auch keiner politischen Organisation beitreten. Sie empfanden die Verfolgtenverbände als parteinahe politische Organisationen, womit sie nicht ganz Unrecht hatten.

Frauen, die bisher kaum über ihre Erfahrungen gesprochen und nichts oder wenig über die Lager gelesen hatten, in denen sie selbst inhaftiert waren, waren besonders wichtige Zeuginnen. Viele Mosaiksteine aus ihren Erinnerungen ergänzten das Bild der Lagergeschichte um wichtige Details, die anderen unwesentlich erschienen waren, weil sie nirgendwo anders erwähnt waren.

Ende der achtziger Jahre dokumentierte ich die Tagung des Internationalen Ravensbrück-Komitees4, in dem einmal jährlich Vertreterinnen der nationalen Zusammenschlüsse aus all den Ländern tagen, aus denen Frauen nach Ravensbrück deportiert worden waren. Hier lernte ich Frauen aus den westeuropäischen Ländern kennen, mit denen im Folgenden eine Reihe von Interviews entstanden.

Mit dem Film »Man musste doch was tun«5 wurde ich 1990 zur Internationalen Oral-History-Konferenz nach Essen eingeladen. Dort lernte ich den Historiker Alexander von Plato kennen, der selber filmische Erfahrungen hatte, und die Arbeit des Instituts für Geschichte und Biographie der Fernuniversität Hagen. Aus dieser ersten Begegnung entstand eine bis heute anhaltende enge Zusammenarbeit, in deren Rahmen nicht nur eine ganze Reihe meiner weiteren Interviews, sondern auch dieses Buch entstand.

Für mein Vorgehen bei den bisherigen Interviews, in denen jeweils das ganze Leben abgefragt wurde, fand ich hier einen wissenschaftlichen Hintergrund, der in der Folge meine Arbeit prägte. Durch den Erfahrungsaustausch bekam meine Interviewführung ein klareres Konzept.

Hatten die Wissenschaftler bislang ihre Interviews zumeist als reine Audiointerviews aufgezeichnet, konnte nun die Diskussion um die filmischen Aspekte erweitert werden. Die aufwändigere Filmtechnik mit einem Mitarbeiterstab für Kamera und Ton und mit ihrer – damals noch – umfangreichen Ausleuchtung etc. schien zunächst für die Interviewpartnerinnen eine Herausforderung zu sein. In allen bisherigen Interviews hatte ich jedoch die Erfahrung gemacht, dass Technik und Umfeld in den Gesprächen schnell vergessen waren. Ich hatte mit meinem Team zu Arbeitsweisen gefunden, in denen auch bei professioneller Filmarbeit eine einigermaßen intime Gesprächssituation entstehen konnte.

Und dann kommst Du dahin an einem schönen Sommertag

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