Читать книгу Und dann kommst Du dahin an einem schönen Sommertag - Loretta Walz - Страница 14

Ein anderes Bild der Lagergeschichte

Оглавление

Nach der Wende und mit dem Arbeitsbeginn von Sigrid Jacobeit als Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, Ende 1992, begann die Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte. Zu dieser Zeit war das ehemalige Lagergelände Stützpunkt der sowjetischen Truppen. Die damalige DDR-Gedenkstätte trug deutliche Züge der reduzierten Sicht auf die Lagergeschichte, mit fast ausschließlicher Darstellung des kommunistischen Widerstands. Es schien, als hätte sich die DDR nicht nur das Lager Ravensbrück, sondern auch die Lagergeschichte angeeignet. Ein anderes Bild der Geschichte des Frauen-KZ Ravensbrück gab es damals noch nicht.

Deshalb suchte ich Anfang der neunziger Jahre verstärkt nach Interviewpartnerinnen, deren Aussagen dem bis dahin bestehenden Bild nicht entsprachen und die bislang in der Darstellung des Lagers nicht vorgekommen waren. Die ersten Gespräche mit Jüdinnen, Zeuginnen Jehovas oder schwarzwinkligen Häftlingen leiteten eine neue Phase der Sammlung ein, in der beispielsweise die Häftlingshierarchie eine Rolle zu spielen begann und in der ich mit sehr unterschiedlichen Erinnerungen konfrontiert war. Die Lagergeschichte von Ravensbrück wurde vielschichtiger, weniger einheitlich. Widersprüchliche Erlebnisse und Erfahrungen standen nebeneinander.

1993 wurde in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück die Ausstellung »Ravensbrückerinnen« mit 27 Biografien eröffnet. Erstmals wurden in der Gedenkstätte frühere Häftlinge vorgestellt, die nicht zu den »antifaschistischen Widerstandskämpferinnen« im Sinne der DDR-Geschichtsschreibung gehörten.6

Anfang der neunziger Jahre waren erste Reisen nach Polen und in die Tschechoslowakei möglich. Dort erfuhr ich von Frauen, deren Erinnerungen aus politischen Gründen – z.B., weil sie sich vom Kommunismus abgewandt hatten – keine Erwähnung in der Lagergeschichte gefunden hatten oder weil sie aufgrund ihrer Arbeit im Lager als »unzuverlässige« Zeuginnen galten. Die Rolle der so genannten Funktionshäftlinge, d.h., derjenigen, die im Lager als Block- oder Stubenälteste, als Mitarbeiterinnen der Lagerverwaltung oder des Krankenreviers in direkter Nähe zur Lagerverwaltung oder den SS-Ärzten tätig waren, trat in den Vordergrund.

Der 50. Jahrestag der Befreiung im Jahr 1995, zu dem von der Landesregierung Brandenburgs mehr als zweitausend Überlebende aus aller Welt nach Ravensbrück eingeladen wurden, brachte zahlreiche Kontakte zu Frauen aus Osteuropa. Ihre Erinnerungen zeichneten wieder ein anderes Bild der Lagergeschichte, diesmal aus dem Blickwinkel derjenigen, die aus nationalsozialistischer Sicht als »Untermenschen« und »minderwertige Rasse« keine Chance zum Überleben haben sollten.

Mehr und mehr Überlebende aus osteuropäischen Ländern nahmen den Kontakt zur Gedenkstätte auf, vor allem auch solche, die nie im Rahmen einer offiziellen Delegation die DDR bzw. die damalige Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück besuchen konnten. Viele dieser Frauen erklärten sich zum Interview bereit, sicherlich auch in der Hoffnung, dass nun auch ihrer Sicht in die Darstellung der Lagergeschichte Raum gegeben werden könne.

Der Schwerpunkt der Sammlung verlagerte sich so ab Ende der neunziger Jahre auf ehemalige Inhaftierte aus den osteuropäischen Ländern. Auch wir als Filmteam konnten erst ab Beginn der neunziger Jahre in die früheren Ostblockstaaten einreisen und Interviews aufzeichnen. Doch entstanden auch in Westeuropa immer wieder neue Kontakte, beispielsweise zu deutschen Frauen, die nicht als politische Häftlinge im Lager gewesen waren. Die in den ersten Jahren nach der Wende neu gestaltete Gedenkstätte Ravensbrück ermöglichte es zunehmend auch ihnen, in die Öffentlichkeit zu treten, ohne eine erneute Ausgrenzung fürchten zu müssen.

Und dann kommst Du dahin an einem schönen Sommertag

Подняться наверх