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Anfang Juni 2007, ein hübscher Garten voller schwangerer Frauen, für die es kein Zurück mehr gibt

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Es ist ein bedeutender, aber auch ein wenig angsteinflößender Tag. Nicht mein Stichtag – um den mache ich mir gar keine Gedanken –, sondern der Frauennachmittag meines Geburtsvorbereitungskurses.


Wir sind alle in etwa der 36. Woche, unsere Babys sind nahezu voll ausgetragen (haben also das Kürbisstadium erreicht). Heute dürfen wir werdenden Mütter all die Fragen stellen, die wir nicht vor den eigenen oder fremden Partnern stellen möchten. Es stellt sich heraus, dass es um starken wässrigen Ausfluss geht (unangenehm, aber okay), Schleimpfropfen im Muttermund (oh GOTT), blutiges oder mit Kindspech behaftetes Fruchtwasser (weder gut noch okay), Schmerzen (pssssst), Hämorrhoiden (iiih!) und den ersten Stuhlgang nach der Geburt (offensichtlich ein großes „Ding“ in Form eines Meilensteins und ein massives „Ding“ in etwa der Form eines Baumstamms). Nichts als die nackte Wahrheit. Ich würde mir am liebsten die Ohren zuhalten.

Der Gemeindesaal, in dem wir uns normalerweise treffen, ist belegt, also sitzen wir im Garten einer der werdenden Mütter. Ich starre in den hübsch angelegten Teich, während um mich herum Geburtsverletzungen und seltene postnatale Albträume diskutiert werden: Nähte, Wochenbettdepression und Wochenbettpsychose.

All das klingt schrecklich und ist mir ebenso unangenehm, wie die Hand oder der Fuß, die da gerade gegen meinen Muttermund boxen. Ich stöhne kurz auf.

Die Situation fühlt sich surreal an. Ich fühle mich, als würden wir nur so tun, als wären wir erwachsen. Wir reden immer noch darüber, welche Hausschuhe wir während der Wehen tragen wollen, während die meisten von uns wahrscheinlich viel lieber andere Dinge wissen wollen: „Müssen wir bei der Geburt wirklich kacken? Wie sehr? Und kann man das verhindern?“

Unsere Kursleiterin sagt uns, dass wir ein Sieb kaufen müssen, wenn wir eine Wassergeburt wünschen. Das klingt nicht gerade gut. Ich überlege zu fragen, wie man die Hebamme dazu bewegen kann, einem einen Einlauf zu geben, wie dies früher üblich war, um das Ganze zu vereinfachen.

Ich habe tatsächlich eine Frage, aber ich traue mich nicht, sie zu stellen. Ich habe von einer jungen Mutter, an deren Lippen ich jetzt hänge wie an denen einer Wissenden, ganz nebenbei etwas über Dammschnitte aufgeschnappt. Ein Dammschnitt ist ein Schnitt, mit dessen Hilfe der Eingang zur Vagina (beziehungsweise der Ausgang für das Baby) ein wenig vergrößert wird. Genau wie Einläufe waren Dammschnitte in den 1970er- und 1980er-Jahren gang und gäbe, während sie heute nur noch erfolgen, wenn Instrumente bei der Geburt verwendet werden müssen oder das Baby sehr groß ist. Bei meiner Freundin klang es so, als wäre der Schnitt mit einer Schere gemacht worden. Bei dem Gedanken möchte ich am liebsten meine Beine zusammenpressen, aber mein hüpfballgroßer Bauch ist leider im Weg. Ich nehme all meinen Mut zusammen und stelle die Frage in einem Rutsch, in der wahnsinnigen Hoffnung, dass Einhörner auf magische Weise dafür sorgen, dass völlig naht- und schmerzfrei große Öffnungen entstehen.


„Ja, wir verwenden Scheren“, sagt die Kursleiterin, die auch als Hebamme arbeitet. „Was haben Sie denn gedacht, was wir nehmen?“

Ich denke nur: „Ach du Scheiße.“

Wenn ich ehrlich bin, bin ich ein wenig verängstigt und finde das Ganze extrem peinlich. Es fühlt sich an, als würden wir das Schicksal herausfordern, indem wir über all diese Schwierigkeiten und Probleme reden, und ich bin nicht die Einzige, die beim Wort „Damm“ (mehr dazu in Kapitel 6) und der Empfehlung, ihn mit Mandelöl geschmeidig und dehnbarer zu machen, eher gequält lächelt. Es erscheint mir auch nicht unbedingt sinnvoll, mir jetzt noch etwas über die Risiken anzuhören, nachdem ich aus der Nummer ohnehin nicht mehr rauskomme.

Gegen Ende der Stunde bemüht sich die Kursleiterin, uns Beckenbodenübungen ans Herz zu legen und zeigt uns, wie man sie durchführt. Ich lächle selbstzufrieden. Ich kann beim Pinkeln mittendrin stoppen und den Urin einhalten, also muss ich mir darum wohl keine Gedanken machen. (Erst später finde ich heraus, dass das Anhalten des Strahls, um zu testen, wie viel Kontrolle man hat, aufgrund von Infektionsrisiken nicht mehr empfohlen wird, also bitte nicht zu Hause nachmachen!)

In jedem Fall möchte ich nicht über das Zusammenpressen nachdenken, sondern viel lieber im Park sitzen und Eis essen.

Aber die Kursleiterin lässt nicht locker. Wir sollen uns einen Aufzug vorstellen, der Stockwerk für Stockwerk nach oben fährt, und das Ganze in unserem Inneren nachstellen. Jetzt. Alle um mich herum bekommen einen versonnenen Blick. Ich werde diesen Blick, diese Mischung aus Konzentration und Überraschung, erst beim Töpfchentraining meines ersten Sohnes wieder erleben und in Panik verfallen, dass er gleich auf den Boden kackt.

Es ist die einzige Gelegenheit, an die ich mich erinnere, dass während der Schwangerschaft einmal das Wort Inkontinenz gefallen ist, abgesehen von den ominösen Einlagen, die mir für die Krankenhaustasche empfohlen werden. Ich versuche es mit dem Aufzug, habe den Dreh aber irgendwie nicht raus. Also lege ich den Gedanken beiseite und freue mich auf die nächste Woche. Es wird unsere letzte Stunde sein, und wir werden lernen, in welche Positionen wir uns am besten bei der Geburt begeben.

Später werde ich ziemlich gut bei den Kegel-Übungen, nachdem mir eine Physiotherapeutin gesagt hat, ich solle mir vorstellen, dass ich einen nicht weit genug eingeführten Tampon verschieben will, ohne meine Finger zu verwenden. BINGO! Aber da weiß ich auch schon, was eine Geburt bedeuten kann und wie zutreffend Metaphern sein können.

Nach der Geburt war mein Körper die denkbar beste Metapher für das Mutterwerden – der Beweis, dass es eine Verwüstung gegeben hatte, die dauerhaft und allgegenwärtig war: meine Vagina, mein persönlicher Raum, meine Bücherregale, mein Esszimmer, meine Brüste, nichts wurde ausgespart. Alles wurde durch ein magisches Wesen, das sich seinen Weg nach draußen bahnte, gedehnt und neu geformt. Wie konnte ich nur so schlecht darüber informiert sein, was mir bevorstand?

Ich habe nicht erwartet, dass eine Geburt so schrecklich sein konnte. Tatsächlich habe ich mein Leben lang die Tatsache ignoriert, dass Geburten verrückt, grauenhaft, ermüdend und schier endlos sein können. Auch wenn ich nicht so naiv war zu glauben, dass sie leicht oder toll sind oder wunderbar bestärkend, war ich doch in keiner Weise auf die hüftsprengende Explosion gefasst, die meinen Körper und mein Selbstbild zerstörte. Oder das epische Aufräumen nach der Veranstaltung. Man denkt ja immer, Frauen könnten mit jedem Schlamassel umgehen. Ich bin da wohl eher die sprichwörtliche Ausnahme.

Meine ausgeprägtesten Vorstellungen von einer Geburt zog ich aus denen, die ich selbst „miterlebt“ hatte – im Fernsehen oder in Romanen und Gedichten –, obwohl ich mir selbst da schon die Rosinen herauspickte. Während meiner Schwangerschaft war ich nahezu süchtig nach Geburten im Fernsehen. Die reale und fiktionale Ankunft eines neuen Lebens in einfach erzählten Geschichten. Beginnend mit einem hoffnungsvollen Bauchansatz und endend mit einem Baby. Die meisten waren entweder romantisch verklärt oder hoch dramatisch und ließen die banalen Details ebenso aus wie all das, was auf die Geburt folgte.

Erst im Jahr 2012, als die TV-Serie Call the Midwife – Ruf des Lebens radikale Ehrlichkeit ins britische Sonntagabendprogramm brachte, sah ich Bilder, die erahnen ließen, dass sowohl die Geburtserfahrung als auch der Schwangerschaftsbauch selbst nach Verlassen des Kreißsaals noch Spuren hinterließen. Die Geschichten, inspiriert von den Memoiren einer Hebamme, erforschen die schönen und schrecklichen Seiten der Geburt als Teil des gesamten Lebens einer Frau – von gefährlichen illegalen Abtreibungen und Blutvergiftungen bis hin zu Inkontinenz, Geburtstraumata, Adoption, Prolaps, Verbluten, Schlaganfällen bei der Geburt und Depressionen.

Ich will nicht unfair sein. Die Serie behandelt auch weniger dramatische und wichtige Situationen nach der Geburt und zeigte uns jede Woche neue Frauen. Einsame Mütter, glückliche Mütter, erleichterte Mütter, knapp mit dem Leben davongekommene Mütter, traumatisierte Mütter, gramgebeugte Mütter, bestärkte Mütter. Nette Frauen, böse Frauen, glückliche Frauen. Vor allem aber zeigten die Geschichten eines: Eine Geburt verändert alles, also ist es nahezu unmöglich, das frühere Leben einfach weiterzuführen, als wäre nichts geschehen. Diese Lektion hätte ich gerne schon gelernt, bevor ich zum ersten Mal schwanger wurde.

Die Landschaft der Fiktion bietet uns verschiedene Versionen unserer selbst, Vorstellungen davon, wie wir sein könnten oder sollten (oder auch nicht). Sie haben nichts mit dem echten Leben zu tun, und dennoch setzen sich diese Vorstellungen in uns fest, geben uns Hoffnung und unterhalten uns, fördern aber auch ein träumerisches Anhaften an ein Leben, das wir in Wirklichkeit nicht leben können.

Während meiner Schwangerschaft gab es auf einem Sender eine Babystunde, die ich andächtig verfolgte. Und als bei Abby aus der Serie Emergency Room frühzeitig die Wehen einsetzten, heulte ich auf dem Sofa wie ein Schlosshund, bis mein Mann mir anbot (mich anflehte?) den Fernseher auszuschalten.

„Neeiiiiiiin“, jaulte ich und bekam prompt Schluckauf. „Wenn Du den Fernseher ausschaltest (hicks), werde ich niemals (kurzer Schauer) erfahren (tiefer Atemzug), wie (tiefer erschaudernder Atemzug) es ausgegangen ist!“

Die Charaktere von Emergency Room haben mich durch meine Zeit als Mädchen und Frau begleitet, mich bei Beziehungsschmerz getröstet und mein Singledasein versüßt. Auch beim ersten Zusammenziehen, meiner Hochzeit und nun meiner ersten Schwangerschaft sind sie meine treuen Begleiter.

Es gibt Untersuchungen dazu, inwieweit die traumatische Natur von Geburten in Film und Fernsehen sich auf die Angst vor der Geburt bei werdenden Müttern auswirkt.1 Bei mir trat, glaube ich, trotz Abbys schrecklicher Geburtserfahrung die gegenteilige Wirkung ein. Meine geheimen Fantasien rankten sich nämlich eher um die Erfahrung von Daphne aus der australischen Serie Nachbarn, die ihr Baby vollständig bekleidet am Straßenrand bekam. Sobald Geburten begannen, wirklich angsteinflößend auszusehen, schaltete ich einfach innerlich ab und konzentrierte mich auf die nächste Episode, in der alles wieder gut war.

Es war nicht so, dass ich noch nie zuvor Geburtsgeschichten gehört hatte, aber die Erzählungen waren eher lückenhaft, vielleicht weil die Menschen automatisch einiges auslassen, um schwangere Frauen (oder alle Frauen) nicht zu verängstigen. Hinzu kommt natürlich, dass Geburten seltsam sein können, man teils unter Medikamenteneinfluss steht und die Zeit sich ziehen kann. Wie erklärt man etwas, das chaotisch, medizinisch, natürlich, emotional, linear, episodenhaft, körperlich, traumgleich, religiös, langweilig, friedlich, beängstigend, leicht und schwierig zugleich ist?

Als ich noch ein Kind war, erzählte meine Mutter mir geschönte Versionen ihrer Geburten, was für mein damaliges Alter ja auch besser geeignet war. Babys flutschten ihrer Aussage nach einfach so raus, ohne größere Probleme, ganz anders als bei den angsteinflößenden Geburten mit Notfällen und Geschrei in TV-Serien wie EastEnders oder Brookside. Ich konnte die Geschichten meiner Mutter auswendig aufsagen. Wie ihr bei mir die Fruchtblase geplatzt war und ich gleich darauf geboren wurde. Wie die Zwillinge am einem frostigkalten Aprilmorgen beinahe im Auto zur Welt gekommen wären. Und wie meine mittlere Schwester wie Supergirl mit ausgestreckter Hand aus ihr herausflog. Ich liebte diese Geschichten, weil sie so aufregend und schön waren. Nach den Details fragte ich nicht und lebte fröhlich mit diesen Familienschnappschüssen, bis ich selbst in den Wehen lag.

Heute wünschte ich, ich hätte mehr gewusst. Vielleicht hat meine Generation frühere Generationen, die nicht mithilfe von Sex and the City oder später Girls gelernt haben, offen über ihre Geschlechtsteile zu reden, ein wenig belächelt. Womöglich haben wir uns sogar für besser gehalten mit all unseren Gesprächen über Orgasmen, G-Punkte (erinnern Sie sich?), Cunnilingus und die Vagina-Monologe. Aber sie, unsere Großmütter und deren Großmütter, waren zumindest klug genug, um vernünftig über Geburten miteinander zu sprechen, und sei es hinter verschlossenen Türen. Nun ja, zumindest diejenigen von ihnen, die sie überlebt hatten.

Sie waren sogar bei Geburten anwesend oder bekamen zumindest die ganze Aufregung mit. Sie waren nicht vollkommen unvorbereitet. Und da war ich: In der einen Minute noch eine Karrierefrau, die kurz davor war, alles zu haben, mit einem prachtvollen Bauch, einem hübschen, aber ein wenig vagen Geburtsplan (ich wollte mich ja nicht aufspielen oder die Expertin raushängen lassen) und der Hoffnung auf eine stinknormale Wassergeburt. In der nächsten Minute: PENG! Kaputt.

Ich kenne einige Frauen, die sich schrecklich von der Welt betrogen fühlten, weil niemand ihnen die Wahrheit gesagt hatte. Meine Wut richtete sich mehr dagegen, dass meine Mutterschaft nicht nur mit Blumensträußen, sondern auch mit zerstörten Körperteilen eingeläutet wurde. Ich hätte mich ausführlich informieren können, aber ich habe die Realität ignoriert und mich lieber an die geschönten Geschichten gehalten, die ich als Kind schon geliebt hatte.

In der Woche, bevor ich meinen Sohn zur Welt brachte, erzählte meine Mutter mir, dass sie während der schlimmsten Momente auf ein Stück Stoff beißen musste, eine Art weiche Trense zwischen den Zähnen. Aber ich wollte zu dem Zeitpunkt schon nichts mehr hören, auch wenn ich später in ihre Fußstapfen treten sollte und so stark auf ein Mundstück eines Sauerstoffschlauchs biss, dass ich mir einen Backenzahn damit ruinierte.

Wenn ich das, was mir widerfahren ist, mit ein wenig Abstand betrachte, stelle ich erstaunt fest, dass mir tatsächlich jemand während der Schwangerschaft ein Beispiel für einen Film lieferte, der die wahren Bilder einer Geburt zeigte, und zwar in Technicolor. Es war eine Freundin von der Arbeit, die gerade entbunden hatte, als ich im fünften Monat war.

Ich bin nicht ganz dicht

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