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Kapitel 4

Ab nach Hause

Der folgende Tag, Juli 2007, ein Wohnzimmer voller Blumen und Geschenke

Heute stellen wir unseren kleinen Sohn unseren Lieblingsmenschen vor. Ich habe immer noch ein Schwangerschaftsoutfit an, aber ich lächle für die Kameras und wir bewundern seine perfekten kleinen Füße. Er ist rosig und zart und etwas von seinem Glanz fällt auch auf uns ab.

Meine Eltern, gerade erst 50 geworden, bringen einen ihrer alten Freunde von der Uni mit. Er hat mich im Krankenhaus besucht, als ich 1977 geboren wurde, und es fühlt sich an wie eine Art von Familienzusammenführung. Meine Schwestern küssen ihren neugeborenen Neffen, der jedes Mal seine Augen schließt und unmutig die Lippen schürzt, während meine Mutter nach meinen Nähten fragt. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt davon anfangen soll, inmitten von so viel Liebe und Glück. Ich gebe kleine Bruchstücke der ganzen Katastrophe zum Besten, beschränke mich aber größtenteils darauf zu sagen, ich sei noch ein wenig „wund“, entschlossen, das Beste aus den Dingen zu machen, die bereits gut laufen.

Ich muss das Stillen nicht lernen, weil mein Sohn das für mich erledigt. Das Glücksgefühl beginnt mit dem Milcheinschuss. Er findet zielsicher meine Brust und beginnt sofort, kräftig zu saugen. Meine Mutter zuckt kurz zusammen, als sie sieht, wie gierig er mich attackiert und gesteht mir, dass ich genauso war. Das hatte die Hebamme damals sogar schriftlich festgehalten.

Meine Stiche verheilen gut, mein Bauch bildet sich zurück. Das einzige Problem ist, dass ich mir dauernd in die Hose mache. Man versichert mir mehrmals, das sei normal. Die Familie ist wieder weg und wir sind kurz davor, einen Strich unter die Krankenhausgeschichte zu ziehen, als etwas Schreckliches passiert.

Ich stille meinen Sohn in der Küche, inmitten von abgekochtem Wasser und Olivenöl, womit wir ihn Empfehlungen zufolge beim Windelwechseln säubern sollen, anstatt Babytücher zu verwenden. Urplötzlich verspüre ich den starken Drang zu pressen. Es fühlt sich merkwürdig an und schmerzhaft. Ich habe Angst, meinen Sohn fallen zu lassen. Ich gebe ein animalisches Geräusch von mir, wie in der Krankenhaustoilette, und dann beginnen all diese Blutklumpen aus mir herauszufallen.

Der Wochenfluss (die periodenähnliche Blutung nach der Geburt) war schon recht heftig, aber das hier sind große ölige Klumpen, die mir aus der Hand glitschen wie Innereien. Ich krieche nach oben ins Badezimmer und versuche, sie irgendwie aufzufangen. Trotzdem bekommt der Teppich Blut ab.

Ich denke komischerweise vor allem daran – an meinen ruinierten Treppenabsatz.

Wir rufen auf der Entbindungsstation an. Diesmal sind sie ausgesprochen nett zu mir. Ich soll die Klumpen anhand von Gegenständen einordnen. Nein, nicht so groß wie ein Essteller, eher wie ein Apfel, etwas größer, aber flacher, nicht so glatt.

„Sieht ein bisschen aus wie sonnengetrocknete Tomaten“, bemühe ich mich, die Form zu erklären. Vor allem aber fühle ich mich ziemlich elend.

Mein Sohn und ich werden wieder ins Krankenhaus aufgenommen. Wir bekommen Patientenarmbänder mit dem gleichen Namen. Da wir ihn noch nicht beim Standesamt angemeldet haben, existiert er offiziell noch gar nicht. Wir sind immer noch eins. Sie sagen mir, ich solle schlafen, aber ich bin wieder auf dieser Station mit der furchtbaren Toilette und den Frauen, die die ganze Nacht über jammern und schreien. Diesmal habe ich zumindest mein eigenes Zimmer, meine „Privatsphäre“. Stündlich wird der Raum von Ärzten, Hebammen und Auszubildenden bevölkert, die schauen, wie viel Blut sich in meiner Binde befindet und sie wiegen. Sie prüfen, ob noch mehr Plazentastücke in mir stecken. Es gibt Visiten, bei denen die Horden dem behandelnden Arzt lauschen. Bei einer zeigt man meinem Mann einen Blutklumpen, der am Spekulum hängengeblieben ist. Ich würde am liebsten davonlaufen, aber ich hänge an einem Infusionsschlauch.

„Wenigstens liegt mein Baby jetzt in einem Babybett, anstatt halb aus mir herauszuhängen“, denke ich.

Sie entlassen uns nach Hause, mit der Auflage, dass wir sofort wiederkommen sollen, wenn das noch einmal passiert. In diesem Fall sollen wir außerdem möglichst einige der Blutklumpen mitbringen.

Ich denke: „Echt jetzt?“ Aber als es dann tatsächlich noch einmal passiert, sammle ich alles brav ein und packe es in einen Plastikbehälter.

Schon wieder bin ich auf der Entbindungsstation. Ich fühle mich irgendwie betrogen. Eigentlich sollte ich jetzt Besuche genießen und Spaß haben. Ich möchte allen stolz meinen Sohn zeigen, anstatt mit einer Kanüle im Krankenhaus zu liegen.

Als es zum dritten Mal passiert, wächst eine neue Angst in mir heran. Kann es vielleicht sein, dass ich mich einfach nur anstelle? Niemand hat damit gerechnet, dass es noch einmal dazu kommt, weshalb ich keinen Eingriff mit Ausschabung hatte. Ich habe keine Ahnung – sterbe ich jetzt oder bin ich eine Versagerin? Oder mache ich einen Aufstand wegen etwas, das ganz natürlich ist und allen Frauen so geht?

Ich zeige die neuerlichen Klumpen meiner Mutter und meiner Schwester im Teenageralter, die gerade zu Besuch sind. Meine Mutter, die vier Kinder zur Welt gebracht hat, sagt, wir müssen ins Krankenhaus. Und zwar SOFORT.

Meine Schwester fügt hinzu: „Und zeig mir nie wieder so etwas Ekliges!“

Ich lehne den Krankenwagen ab, den die Hebamme schicken will, weil sich das blöd anfühlt. Ich weiß nicht, ob es Erschöpfung ist oder die erneute Rückkehr ins Krankenhaus, aber ich bin so fertig bei dem Gedanken an weitere Nächte in der Klinik, dass der sympathische Arzt mit einem Blick auf mich meint, ich könne zu Hause auf meine Blutergebnisse warten.

Als wir nach Hause kommen, stehle ich mich davon, in die Toilette, mein letzter Zufluchtsort. Mein Intimbereich ist jetzt seit Tagen auf dem Präsentierteller, da ist nicht mehr viel zu retten, aber ich muss jetzt einfach einmal kurz alleine sein.

Mein Mann bricht mir das Herz mit seinen Bemühungen, so etwas wie Alltag und Normalität zu schaffen. Er hat den ganzen Binden- und Einlagenkram in einen Korb gepackt und auf dem Fensterbrett platziert, und nach der letzten großen Blutung hat er Wände und Boden gewischt. Alles duftet nach Liebe und Meister Propper.

Es sind seit der Dusche nach der Geburt die ersten Minuten, die ich alleine in einem Raum verbringe, ohne dass jemand meinen Körper antatscht. Alleinsein ist wunderbar. Mir tut alles weh, aber heute habe ich gesiegt. Wir sind der Station entkommen. Wir sind zu Hause. Unten weint das Baby. Ich habe ein schlechtes Gewissen, bleibe aber in meinem Versteck. Die Schreie nehmen an Intensität zu.

Mein Mann kommt und klopft an die Tür. Er will mir nicht immer hinterherlaufen, aber wir sind Anfänger und unser Sohn denkt gar nicht daran, seinen Unmut darüber zu verbergen, dass er so inkompetente, unsichere Kandidaten wie uns als Eltern hat.

Ein erneutes Klopfen an der Tür. Er weiß, dass ich Angst habe, aber das Baby schreit sich mittlerweile die Seele aus dem Leib.

Ich lasse beide hinein und mein Sohn stürzt sich als echtes Säugetier auf meine Brust, während ich noch auf der Toilette sitze. Er schließt die Augen und saugt und gibt kleine, angestrengte Seufzer von sich, während sich sein Bäuchlein füllt. Tränen kleben wie Juwelen an seinen Wangen. Ich schaue zu meinem Mann hoch. Wir haben es geschafft, wir konnten ihn trösten. So unperfekt die Situation auch ist, sie ist dennoch eine Art Sieg. Vielleicht können wir uns langsam vom Geburtsdrama verabschieden und die Sümpfe der Scham hinter uns lassen.

Ich schaue hoch. Aus dem Augenwinkel kann ich gerade noch einen blutigen Handabdruck auf dem Türrahmen erkennen.

Ende Juli 2007, Warten auf das OK der Hebammen

Ich bleibe noch wochenlang Patientin. Dem Baby geht es zum Glück gut. Es schreit kräftig und ist kerngesund in diesen wunderbaren Sommerwochen. Die ambulante Hebammenversorgung findet immer noch jeden zweiten Tag statt, obwohl sie die Geschichte sicher langsam leid sind. Ich habe keine Ahnung, wie es anderen Müttern drei Wochen nach einer Spontangeburt geht, aber ich schaffe es immer noch nicht in den ersten Stock, ohne dass ein warmer Schwall Pipi in meiner Hose landet.

Ich versuche mit den Hebammen darüber zu sprechen, dass mit meinem lädierten Intimbereich irgendetwas nicht stimmt und sich alles komisch anfühlt, aber sie versichern mir, dass die Inkontinenz sich bald geben wird. Sie scheinen vor allem extrem beeindruckt davon zu sein, dass wir noch nicht komplett zusammengebrochen sind, und halten das alles wahrscheinlich für Nachwirkungen des Schocks.

Auch sonst fühle ich mich nicht ganz so sicher auf den Beinen. Mein kleiner Sohn hat noch nie länger als zwei Stunden durchgeschlafen, und wenn er schläft, scheint er sicherstellen zu wollen, dass ich auf jeden Fall wach bin. Alle versichern mir, dass es nach so einer schrecklichen Geburt normal sei, verunsichert und ein wenig weggetreten zu sein und nah am Wasser gebaut zu haben. Ich bin mir da nicht so sicher. Ich fange an, mir mein Leben in meinem Kopf zu erzählen, als ob ich in der realen Welt gar nicht existieren würde …

Anfang August 2007, Küche, abends, im Radio läuft „Here comes the sun“

Das Lied schwebt durch die Luft, es ist wie ein Film. Du erinnerst dich, wie du es während der Wehen gesungen hast, im netten Teil der ganzen Geschichte, als dein Mann wieder da war. Ein kitschiges Pärchen vor einem Abgrund, dessen Untiefen es nicht kennt. Singend versuchen wir, unser Baby herauszulocken.

Ist es wirklich so gewesen? Oder hast du es nur geträumt? Du fragst deinen Mann, ob er sich erinnern kann. Er nimmt dein Gesicht in seine Hände und sagt: „Natürlich kann ich das.“

Vielleicht gibt es noch Hoffnung. Es fühlt sich an wie ein guter Moment, der alles verändern könnte.

Und dann kommt sie. Eine Flutwelle an Traurigkeit. Sie trifft dich ähnlich, wie es wohl Tsunamis tun: Eine Wand aus Wasser, die in dich hineinkracht und dich nach unten reißt, aber nicht mehr an die Oberfläche kommen lässt. Du verlierst beinahe den Boden unter den Füßen. Du weißt jetzt, du weißt einfach, dass Witze und gute Momente keine Chance haben gegen dieses Gefühl des Weltuntergangs. Und auch wenn du deinen Mann liebst und dein Baby all deine Erwartungen übertrifft, kommst du nicht mehr dagegen an, du kannst nicht mehr kämpfen.

In deinem Kopf tobt ein Krieg und du kannst nicht einmal mehr den kleinen Finger heben. Du bist nicht du selbst, du steckst fest, glaubst zu ersticken. Du stehst auf einem Magneten und hast eine Tonne Blei gegessen. Es zieht dich nach unten. Es ist ein körperliches Gefühl, und du weißt, dass es nur noch stärker werden wird, wenn du versuchst, dagegen anzugehen. Du wirst unter dem Gewicht zusammenbrechen und in zwei Teile gespalten. Du kannst diese Situation, dieses Leiden nicht für immer für dich behalten. Für den Moment hältst du die Klappe und hoffst, dass dir nichts herausrutschen wird, denn darüber zu sprechen, wird es nicht besser machen.

Aber es ist bereits größer als du. Du stehst in der Küche und machst dir in die Hose wie ein Kind. Irgendetwas beim Weinen, entweder die körperliche Auswirkung oder das Gefühl, stößt etwas an, und du kannst erst aufhören, wenn du leergeweint bist.

Die Erkenntnis, dass du dich irgendwann irgendjemandem anvertrauen musst, gestehen musst, dass du es nicht mehr schaffst, ist kaum zu ertragen. Du versuchst deinem Mann zu erklären, warum du plötzlich ein verschrecktes, zitterndes, heulendes Bündel Elend bist. Du hörst dir selbst zu, wie du an der Oberfläche kratzt und versuchst, es verständlich zu machen. Aber im Grunde quält dich ständig die Angst, dass sie dich mitnehmen und wegsperren werden. Man wird dich ausradieren und vergessen wie alle Verrückten, und du wirst in deinem eigenen Dreck sitzend protestieren, dass du ganz normal bist.

Als du das erzählst, nimmt er dich in den Arm und sagt dir, dass er das nicht zulassen wird. Er sagt, er liebt dich und hasst dich nicht. Er weiß, dass du seit Wochen kaum geschlafen hast, und obwohl es ihm kaum anders geht, wird er die heutige Nacht übernehmen. Er bringt dich ins Bett und wechselt deine Klamotten. Als er dich abwäscht, nennt er deine Socken „Schühchen“. Nur ein kleiner Versprecher eines jungen übermüdeten Vaters, der neuerdings Worte benutzt wie Windeln und Säugling. Aber du fragst dich, ob er bereits befürchtet, dass er demnächst auch dich rundum versorgen wird müssen.

So oder so, der Wahnsinn und die Inkontinenz verschmelzen, Körper und Geist sind in Auflösung begriffen. Und selbst im verwirrten Zustand des Halbschlafs beginnst du dich zu fragen: Ist die Inkontinenz eine Begleiterscheinung dieses Zustands der Auflösung oder ist sie die Ursache?

Ich bin nicht ganz dicht

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