Читать книгу Frost & Payne - Die mechanischen Kinder Die komplette erste Staffel - Luzia Pfyl - Страница 26

9.

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Selbst zu ihren besten Tagen in der Organisation hatte Frost es vermieden, in die Opiumhöhlen hinter den Docks zu gehen. Sie verabscheute die Droge. Sie machte aus anständigen Menschen wandelnde Leichen. Frost hatte schon viele abstürzen sehen. Junge Gentlemen mit viel zu viel Geld, die nicht wussten, was sie mit sich anstellen sollten; gestandene Geschäftsmänner, die sich durch den Rausch verführen ließen; tugendhafte Ehefrauen, die aus ihren goldenen Käfigen ausbrechen wollten.

Das Tragische an der Sache war, dass es ohne Madame Yueh keine Opiumhöhlen in England gegeben hätte. Die Engländer waren, im Gegensatz zu den Franzosen, bis zu den Opiumkriegen mit China nie wirklich der Droge verfallen gewesen. Madame Yueh hatte ihr Imperium vor Jahrzehnten jedoch nach London ausgelagert und dafür gesorgt, dass die steifen Engländer auf den Geschmack gekommen waren.

Hier im chinesischen Viertel hingen überall Lampions, über Türeingängen und an langen Seilen zwischen die Häuser gespannt. Ihre kleinen Aetherflammen in den roten Laternen tauchten die Gassen in warmes Licht. Frost blieb vor einem der Häuser stehen und klopfte an die Tür. Nur ein unscheinbares Zeichen am Rahmen deutete auf das, was sich hinter der Fassade befand.

Ein untersetzter Mann in traditioneller Kleidung öffnete ihr. Frost grüßte ihn auf Chinesisch. Der Raum, in dem sie stand, war einmal eine alte Teestube gewesen, doch der Staub auf den Regalen und den wenigen Tischen machte klar, dass hier schon lange kein Tee mehr serviert wurde. Zur Tarnung, falls die Polizei doch einmal auftauchen sollte, hatte man jedoch alles stehen lassen.

Der Mann führte Frost hinter den Tresen und dann durch einen Vorhang, der die Teestube von der eigentlichen Opiumhöhle abtrennte. Ein Gemisch aus Räucherware und dem beinahe Übelkeit erregenden süß-erdigen Duft des Opiums schlug ihr entgegen. Das Licht war gedimmt, an der Decke hingen traditionelle Öllampen, und auf den Tischchen brannten die kleinen Lampen, die für das Rauchen gebraucht wurden. Die Wände waren mit roten Stoffbahnen verhängt, um Zugluft zu vermeiden. Trennwände aus Holz und Stoff unterteilten den Raum in gemütliche Nischen, in denen jeweils Betten oder Diwans standen.

Frost presste die Lippen zusammen und kämpfte gegen das aufsteigende Unwohlsein an. Die wenigen Male, die sie mit Michael Opium geraucht hatte, hatte sie kotzend und elend verbracht. Viele erstmalige Konsumenten litten unter diesen Symptomen, aber die meisten ließen sich davon nicht abhalten.

Sie ging langsam den Mittelgang entlang und spähte in jede Nische. Die Konsumenten lagen auf den Betten oder den Diwans, rauchten eine Pfeife nach der anderen. Nur wenige schauten Frost an, als sie vorbeiging. In einigen der Nischen knieten Angestellte vor einem niedrigen Tisch, auf dem sich ein Tablett mit verschiedenen Instrumenten befand. Sie bereiteten das Opium soweit vor, dass man es rauchen konnte.

Frost sprach einen der Angestellten, der gerade mit einem frischen Tablett aus einem Hinterzimmer kam, auf Chinesisch an und fragte nach Michael. Der junge Mann schüttelte den Kopf und schaute sie misstrauisch an, bevor er ihr antwortete.

»Lóngtóu ist nicht hier, Miss. Er befindet sich auf der Golden Dragon.«

Die Golden Dragon war eines von drei Schiffen, die reiche Geschäftsmänner und Mitglieder des Königshauses für private Feiern mieten konnten. Frost nickte und wandte sich zum Gehen. Sie musste wieder an die frische Luft, oder sie konnte nicht garantieren, dass sie das Mittagessen bei sich behielt. »Danke.«

»Sie werden aber nicht eingelassen werden, Madam«, rief ihr der Angestellte nach. »Es ist privat.«

Frost lächelte schal. »Man wird mich einlassen.«

Hoffte sie zumindest.

Die Golden Dragon lag am Ufer der Themse vertäut. Es war das prächtigste der drei Party-Schiffe, über vierzig Meter lang und ein massives Konstrukt aus Holz und Stahl. Das Boot war einem Drachen nachempfunden, wobei der Bug ein massiver Drachenkopf war, der aussah, als wolle er halb London verschlingen, und das Heck schlängelte sich zu einer beschuppten Schwanzspitze. Auf dem Hauptdeck befanden sich drei doppelstöckige Pagoden, deren geschwungene goldene Dächer dem Boot seinen Namen gaben. Die Reling war roten Drachenschuppen nachempfunden, die filigranen Schnitzereien an den Pagoden, vor den Fenstern und an den Wänden waren ebenfalls rot bemalt.

Klassische Laternen und Lampions, gefüllt mit Aether, ließen das Gold und die Drachenaugen funkeln. Obwohl es mitten am Nachmittag war, ließ die dicke Smogschicht über London kaum Sonnenlicht durch.

Der Clou des Schiffes war jedoch, dass es sich nachts, wenn die Partys in vollem Gange waren, aus dem Wasser erhob und in ein Luftschiff verwandelte. Segel, die einer klassischen Dschunke nachempfunden waren, wurden ausgefahren, und eine Anlage aus Dampf- und Aethermaschinen ließ das Schiff durch die Luft schweben.

Frost raffte ihre Röcke und betrat die Reling. Sofort traten zwei modern gekleidete Männer aus den Schatten der mittleren Pagode und stellten sich ihr in den Weg. Frost blieb stehen. Beide Männer waren Schränke, breitschultrig und bullig. Leibwächter. Und bestimmt auch bewaffnet.

»Geschlossene Gesellschaft«, sagte der eine und hob das Kinn, um seiner Aussage Nachdruck zu verleihen.

»Michael Cho hat sicher nichts dagegen, wenn ich kurz Hallo sage«, meinte sie betont fröhlich und machte einen weiteren Schritt auf der Reling. Sofort gingen die beiden Wachmänner in aggressive Abwehrhaltung. Frost blieb stehen.

»Sie haben keinen Zutritt, Schlüsselmacherin«, sagte der andere. Frost hörte den Spott in seiner Stimme und legte den Kopf schief.

»Ich möchte mit lóngtóu Cho sprechen«, sagte sie fest. »Er wird mich empfangen.«

»Sie sind eine Außenseiterin. Sie haben hier nichts mehr zu suchen.«

Frost ballte die Fäuste. Es hatte also begonnen. Anscheinend waren die drei Monate Schonzeit um, nun, da sie sich letzte Woche offen gegen die Dragons gestellt hatte. »Ich will nur mit Michael sprechen, das ist alles. Fünf Minuten.« Die Gesichter der Männer blieben eisig. »Sagt ihm, dass ich hier bin.« Beinahe hätte sie ein Bitte angehängt, biss sich jedoch im letzten Moment auf die Zunge.

Zu ihrer Überraschung zog einer der Männer seine Waffe und zielte auf sie. »Es wird Zeit, dass Sie verschwinden, Schlüsselmacherin. Sie gehören nicht mehr zu uns.«

Frost schluckte hart und machte einen Schritt rückwärts. Was nun? Sie wusste nicht, wann Michael in sein Haus zurückkehrte. Sie zweifelte daran, dass man sie da einlassen würde, aber sie konnte auch nicht hier draußen auf ihn warten. Die Zeit drängte. Sie musste Michael befragen und herausfinden, ob die Waffe auf dem Schwarzmarkt aufgetaucht war.

»Was soll das hier? Tian, runter mit der Waffe, sofort!« Michael stand auf einmal im Eingang der Pagode und sah seinen Leibwächter scharf an. Dieser murmelte eine halbherzige Entschuldigung und trat zur Seite. »Lydia, was tust du hier?«

»Ich wollte dich sprechen.«

»Hat das nicht Zeit bis morgen? Ich bin in einer wichtigen Besprechung.«

»Leider nein.« Frost war erleichtert, als er nachgab und sie auf das Schiff winkte.

Auch im Inneren des Bootes hatte man nicht an Protz gespart. Auf den mit dunklem Holz vertäfelten Wänden hingen rote Stoffbahnen mit traditionellen Ornamenten in schwarz. Die Trennwände bestanden aus feinsten Schnitzereien, die mit Blattgold veredelt waren. In regelmäßigen Abständen standen Büsten, Statuen und Drachen aus geschnitzter Jade entlang der Wände. Frost wusste nicht, wo sie zuerst hinschauen sollte. Seit sie das letzte Mal hier gewesen war, hatte man neu dekoriert und dabei nicht mit Geld gespart.

»Setz dich«, sagte Michael und deutete auf ein dickes Sitzkissen am Boden. Auf dem runden Tisch standen Teeschalen und Teller mit Snacks. »Dir ist hoffentlich bewusst, dass du mich aus einem wichtigen Gespräch geholt hast. Die Männer, die da hinten sitzen«, er deutete über die Schulter, »sind nicht gerade erfreut darüber«.

»Du bist ein lóngtóu, Michael, die sollten dir gehorchen. Es sei denn, es sitzen andere lóngtóu dort hinten.« Frost nahm eine Handvoll gesalzene Nüsse und ließ sie sich in den Mund fallen.

Michael seufzte beinahe unmerklich. »Zwei«, gab er zu, »und leider sind nicht alle der Meinung, dass ich es würdig bin, lóngtóu zu sein. Mein Vater ist zu früh gestorben.« Er schaute sie mit seinen schwarzen Augen an. »Also, bist du privat oder geschäftlich hier?«

»Geschäftlich«, sagte Frost und konnte die Enttäuschung in seinen Augen sofort sehen. Seine Körpersprache veränderte sich ebenfalls, er lehnte sich zurück und vergrößerte damit den körperlichen Abstand zwischen ihnen. Ein kalter Knoten bildete sich in ihrem Magen, doch sie ignorierte ihn. Stattdessen griff sie in ihre Umhängetasche und holte die drei Fotos heraus. »Ich habe den Auftrag, diese gestohlene Waffe wiederzubeschaffen und habe dafür nur noch zwei Tage Zeit. Du kennst den Schwarzmarkt in- und auswendig. Kannst du mir sagen, ob sie seit Montag aufgetaucht ist?«

Michael nahm das Bild und pfiff leise durch die Zähne. »Lass mich raten, ein Prototyp. Es muss einer sein, denn so eine Waffe habe ich noch nie gesehen. Aether?«

»Fusionstechnologie mit Elektrizität«, erwiderte Frost. »Kann ziemlich viel Ärger machen. Und, ist dir eine solche Waffe auf dem Markt bekannt?«

Michael schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Aber ich kenne ein paar Leute, die dafür eine sehr hohe Summe bezahlen würden.«

Frost verbarg ihre Enttäuschung, in dem sie sich ein paar Nüsse genehmigte. Sie schob Michael die anderen beiden Fotos hin. »Und wie sieht es mit diesen Männern aus? Hast du sie schon einmal gesehen?« Es waren die Fotos aus den Akten von Baxter und Sanderson.

»Der hier sieht wie ein verrückter Wissenschaftler aus«, meinte Michael und zeigte auf Baxters Bild, womit er unwissentlich recht hatte. Man musste in der Tat ein wenig verrückt sein, um eine solche Waffe zu entwickeln. »Ich glaube, ich habe ihn einige Male in einer der Glücksspielhallen gesehen.«

Das bestätigte damit auch Sandersons Vermutung, dass Dr. Baxter Geldprobleme plagten. Wenn er dem Glücksspiel verfallen war und hohe Schulden gemacht hatte, würde ihm der Verkauf der Waffe dabei helfen, aus dem Schlamassel zu kommen. Leider katapultierte ihn das an die erste Stelle ihrer Verdächtigenliste.

»Und der hier? Sein Name ist Eric Sanderson.«

Michael schüttelte den Kopf. »Tut mir leid.«

Frost nahm die Bilder wieder an sich und verstaute sie in der Tasche. Sie schob ihre Röcke zur Seite, damit sie aufstehen konnte, doch Michael packte ihr Handgelenk.

»Ist das alles?«

Frost konnte die unausgesprochenen Fragen deutlich heraushören. Bist du wirklich nur deswegen gekommen? Hast du mir nicht noch mehr zu sagen?

Sie zwang sich dazu, ruhig zu bleiben. »Ja, das ist alles.« Aus dem Augenwinkel bemerkte sie eine Bewegung und drehte den Kopf. Zwei ältere Männer standen neben einer der hinteren Trennwände und schauten sie angesäuert an. »Ich halte dich nicht weiter auf. Wir sprechen ein anderes Mal über … die andere Sache«, fügte sie hinzu und stand auf.

Michael erhob sich ebenfalls und schaute sie lange an, dann machte er eine höfliche Verbeugung. »Du weißt, wo du mich findest.«

Frost stieß die Luft zwischen den Zähnen aus, als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Zu ihrer Erleichterung hatte Michael nicht darauf bestanden, sofort eine Antwort von ihr zu erhalten. Seinen Respekt ihr gegenüber rechnete sie ihm hoch an. Auch wenn sie sich seit ihrer gemeinsamen Kindheit unter Madame Yuehs Fittichen kannten, so stand er nun als lóngtóu weit über ihr und hätte sie durchaus zu einer Antwort, wenn nicht gar zu einer Heirat, zwingen können.

Hastig schob sie die Gedanken beiseite und konzentrierte sich wieder auf den Auftrag. Sie wusste nun, dass die Waffe nicht auf dem Schwarzmarkt aufgetaucht war, denn der Organisation entging in der Hinsicht nichts. Als Nächstes musste sie private Waffensammler ins Auge fassen, und Payne konnte die lizenzierten Waffenhändler abklappern. Und dann mussten sie Dr. Baxter in die Mangel nehmen.

Es wurde dunkel über den Dächern von London. Die Zeit rann ihr buchstäblich durch die Finger. Morgen war schon Freitag. Das würde eng werden.

»Ein Feind nach dem anderen«, murmelte sie in Anlehnung an die Borgias vor sich hin, als sie zur nächsten Straßenbahn eilte. Erst musste sie zurück in die Agentur und Payne zu den Händlern schicken, so lange die noch geöffnet hatten. Sie selbst brauchte ein Bad und dann das schickste Kleid, das sie besaß.

Sie wusste genau, wo sie ein paar betuchte Waffensammler finden konnte.

David Cassidy erwachte, weil er höllische Schmerzen hatte. Jede Faser seines Körpers schrie in Qualen. Das Atmen fiel ihm schwer, und sein Kopf fühlte sich heiß an.

»Bleib still liegen.« Die Stimme war ganz nah. »Aufgewacht drei Stunden nach erfolgreich verlaufener Operation. Leichtes Fieber. Objekt Nummer 23 ist nach wie vor vielversprechend. Werde mir zu einem späteren Zeitpunkt seine ursprünglichen Vitalwerte notieren, für spätere Versuchsobjekte.«

»Was haben Sie mit mir gemacht?«, wisperte David und blinzelte in das helle Licht der Lampe, die direkt über ihm hing. Selbst das verursachte ihm Schmerzen. »Ich will nach Hause.«

Der Gedanke an sein Daheim trieb ihm die Tränen in die Augen. Wie lange war er schon fort? Die anderen suchten bestimmt nach ihm.

»Du hast kein Zuhause, Nummer 23, deswegen habe ich dich ausgesucht. Niemand wird dich vermissen.«

David wollte schreien. Wollte dem Verrückten klarmachen, dass er David Cassidy hieß und in Whitechapel wohnte, in der Straße hinter dem Metzger, zusammen mit seiner Mutter und seinen drei Schwestern. Aber seine Kehle war zugeschnürt vor Angst, seine Stimme versagte.

»Hier, schlaf jetzt. Ich will nicht, dass du das Experiment gefährdest.«

»Nein!«, schrie er auf und zerrte an seinen Fesseln, trotz der Schmerzen, die sofort durch seinen Körper schossen und ihm beinahe die Sinne raubten. Doch die Hand mit dem weißen Taschentuch, das stark nach Chloroform roch, war unerbittlich.

Frost & Payne - Die mechanischen Kinder  Die komplette erste Staffel

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