Читать книгу Frost & Payne - Die mechanischen Kinder Die komplette erste Staffel - Luzia Pfyl - Страница 28
11.
Оглавление»Warum der plötzliche Sinneswandel?«, fragte Payne, während Frost sich aus den Schichten ihres Kleides schälte. Er stand mit dem Rücken zu ihr, linste jedoch ein paar Mal über die Schulter.
»Vier überaus charmante Herren haben mir heute Abend erzählt, dass vor etwa zwanzig Jahren schon einmal Kinder aus der Themse geborgen worden sind, die unseren mechanischen Kindern sehr ähnlich waren. Sie sagten doch, dass der Sergeant etwas von ‚Er ist wieder da’ gesagt hatte, richtig?«
»Richtig. Trotzdem verstehe ich nicht ganz, warum Sie mir auf einmal zustimmen, was diese Sache angeht. Heute Mittag waren Sie noch strikt dagegen.«
»Darum.« Frost stand in Unterhemd und Pluderhosen vor dem Pinkerton. Sie drehte sich um und zog den Ärmel des Hemdes herunter, so dass ihr oberer Rücken entblößt war.
Payne zischte und unterdrückte einen Fluch. »Grundgütiger, Frost. Was ist das?« War das ein Schlüsselloch?
»Sie wollten doch wissen, warum ich jedes Schloss öffnen kann.« Sie bedeckte sich wieder und ging hinüber zum Schrank, wo sie eine schwarze Lederhose, ein schwarzes Hemd und ein marineblaues Korsett herauszog. »Ich habe ein mechanisches Herz.«
»Sie haben was?« Er hatte sich verhört, ganz bestimmt.
»Genau. Allerdings habe ich keine Ahnung, warum. Liegt vielleicht daran, dass ich mich nicht erinnern kann.« Die Worte sprudelten aus ihr heraus, und sie fuhr sich fahrig durch die langen Haare. »Ich habe das Gefühl, dass meine Vergangenheit etwas mit diesen Jugendlichen zu tun hat. Deswegen habe ich mich entschlossen, diesmal auf Sie zu hören. Vielleicht irre ich mich auch, aber etwas nachforschen kann nicht schaden, oder?«
Payne schaute sie schweigend an, während sie sich fertig umzog. Seine Blicke schienen sie nicht zu stören. Hastig band sie ihre Haare zu einem lockeren Knoten und schlang sich einen schwarzen Wollschal um den Hals.
Jetzt war ihm ihr Verhalten vom Mittag auch klar. Heilige Scheiße, die Frau hatte ein mechanisches Herz. Wer hatte ihr das angetan? Und warum?
Die Offenheit, die sie ihm gegenüber hatte walten lassen, war jedoch nur von kurzer Dauer gewesen. Payne bekam nichts mehr aus ihr heraus.
Eine halbe Stunde später gingen sie Whitehall entlang. Rechts von ihnen befand sich die Admirality. Zwei Wachmänner marschierten vor dem breiten Tor auf und ab. Frost und Payne bogen links in die Seitenstraße ab. Ein paar hundert Meter vor ihnen sahen sie durch die Lücke zwischen den Häusern den dichten Verkehr auf dem Victoria Embankment, einer der Hauptverkehrsadern durch London.
Scotland Yard schlief nicht, genauso wenig, wie London jemals schlief. Sie schauten dem Kommen und Gehen eine Weile zu, bevor sie das Yard betraten.
Sofort hörten sie ein Jaulen und Heulen, das von einem Betrunkenen in den Ausnüchterungszellen kam. Ein Polizist schlug mit seinem Stock gegen die Eisengitter und blaffte den Trunkenbold an, still zu sein. Zwei weitere Uniformierte kamen aus einem Flur und eilten an ihnen vorbei. Hinter einem Tresen stand ein müde aussehender Sergeant mit Vollbart. Er übertrug Notizen in ein dickes Buch.
»Haben wir einen Plan?«, raunte Payne Frost zu.
Frost schaute sich um. »Sie lenken den Desk Sergeant da vorne irgendwie ab, während ich das tue, was ich am besten kann: stehlen.«
Payne schnaubte unwillkürlich auf. Die Sache war beinahe komisch. Wer hätte gedacht, dass er eines Tages einer stadtbekannten Diebin dabei helfen würde, Scotland Yard auszurauben?
Sie besprachen flüsternd einige Details und wollten sich gerade trennen, als sie von einer Frau in der blauen Uniform eines Constables angesprochen wurden.
»Hey, Sie, Amerikaner!«
Payne drehte sich verwundert um und sah sich einer kleinen, zierlichen Inderin gegenüber.
»Sie waren doch wegen der Zeugenbefragung letzte Woche hier – Sie wissen schon, wegen den beiden … Leichen, die am Ufer der Themse gefunden worden sind?«
Frost zupfte an seinem Ärmel. »Sie haben was? Das haben Sie mir gar nicht erzählt.«
»Es war nur eine kurze Befragung, nichts weiter«, gab er zurück und wandte sich dann wieder der Frau zu. »Sind Sie mit dem Fall betraut?«
Die Constable nickte, schüttelte dann aber gleich darauf den Kopf. »Ich darf nicht darüber sprechen.«
»Sie sind mit dem Fall betraut.« Payne lächelte zufrieden. Vielleicht brauchten sie doch nicht das Yard zu bestehlen. Er beugte sich verschwörerisch vor. »Ich war Pinkerton in New York. Sie können mir vertrauen.«
Die Constable schien mit sich zu ringen, dann schaute sie sich rasch im Raum um. Sie winkte Payne und Frost in eine ruhigere Ecke. »Das muss aber alles unter uns bleiben, verstanden?«
»Aber natürlich.«
Frost schaltete sich ein. »Stimmt es, dass es vor 20 Jahren schon einmal einen solchen Fall gegeben hat?«
»Woher wissen Sie das?«
Paynes Grinsen wurde breiter. Diese Constable war wohl ein Frischling. »Es gibt Leute, die damals schon hier gelebt haben. Man erinnert sich an solche Sachen.«
»Oh, da haben Sie wohl recht.« Sie wirkte etwas zerknirscht. »Ja, es stimmt. Inspektor Jones und ich haben die alten Akten gesehen. Gleiches Muster.«
Payne fing Frosts vielsagenden Blick auf. »Haben Sie schon einen Verdächtigen? Neue Hinweise?«, fragte er.
»Dr. Taylor vermutet, es ist ein Arzt«, sprudelte es aus ihr heraus. »Sehr professionelle Arbeit – mal abgesehen davon, dass die Opfer sterben.«
Wieder zupfte Frost an Paynes Ärmel. »Fragen Sie sie, ob wir eine Kopie bekommen«, wisperte sie.
»Sie wird uns bestimmt keine Kopie geben«, raunte er. »Sie mag zwar naiv sein, aber nicht dumm.«
»Ich bin was nicht?«
»Manju!«
Die junge Constable zuckte zusammen und beeilte sich dann, einem großgewachsenen Mann mittleren Alters entgegenzugehen. »Inspektor, ich dachte, Sie seien bereits nach Hause gegangen!«
»Mit wem haben Sie da gesprochen?« Er sah nicht gerade freundlich aus.
»Der Mann ist einer der Zeugen der ersten Befragung, Inspektor.« Die Constable namens Manju winkte nun Payne und Frost, damit sie nähertreten sollten.
Inspektor Jones musterte Payne. »Waren Sie nicht vor ein paar Monaten schon hier? Was war es, Kindesentführung?«
»Meine Tochter, ja«, gab Payne zähneknirschend zu. Die Leute hier hatten verdammt gute Gedächtnisse. »Ich nehme an, Sie wissen immer noch nichts über sie?«
»Dafür bin ich nicht zuständig«, brummte der Inspektor. »Gehen Sie nach Hause, Sir, Madam. Wir tun unsere Arbeit, so gut es geht.«
»Das war nicht sonderlich befriedigend«, murrte Frost, als sie auf den Stufen vor dem Yard standen. »Der Kerl hat uns regelrecht rauskomplimentiert.«
»Inspektor Jones und Constable Manju«, meinte Payne, während er sich eine Zigarette drehte. »Jetzt wissen wir wenigstens die Namen derjenigen, die für den Fall zuständig sind. Und wir haben die Bestätigung, dass es tatsächlich schon einmal passiert ist. Das ist befriedigend genug, finde ich.«
Frost murmelte etwas und wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht. Sie sah müde aus. »Wie verliefen eigentlich Ihre Erkundigungen bei den Waffenhändlern?«
Jetzt war es an Payne zu murren. »Niemand hat in seinem Leben auch nur eine ähnliche Waffe gesehen. Sackgasse.«
»Schwarzmarkt ebenso.«
»Damit bleibt nur eine Option übrig.« Payne zündete die Zigarette an und zog den Rauch tief ein. »Die Waffe wurde nicht gestohlen, um sie zu verkaufen. Geld spielt hier keine Rolle. Wir haben es mit einer oder mehreren Personen zu tun, die vermutlich ein Attentat planen.«
Frost stimmte zu. »Wir sollten uns Dr. Baxter noch einmal vornehmen. Aber erst morgen früh. Wir haben noch 24 Stunden Zeit.«
Sie trafen Finnley Baxter vor der Fabrik in Southwark. Er sah aus, als wäre er gerade erst aus dem Bett gefallen. Seine blonden Haare standen in alle Richtungen ab, und am Kinn klebte ein Pflaster. Offensichtlich hatte er sich in Eile rasiert.
»Tut mir leid«, stieß er hervor, als er über den Vorplatz auf sie zueilte. Er war zehn Minuten zu spät. »Ich dachte, ich nehme die Tube, das geht am schnellsten, doch dann ist am hintersten Wagen eine Achse gebrochen, und wir mussten durch den Tunnel zurück zur nächsten Station und …«
»Sie sind ja jetzt da«, unterbrach ihn Payne. Frost musste schmunzeln. Baxter zeigte die Symptomatik eines verrückten Wissenschaftlers. Beinahe schade, dass er momentan zu ihren Hauptverdächtigen gehörte, denn er war sehr sympathisch.
Sie räusperte sich. »Dr. Baxter, wir haben noch ein paar Fragen an sie.«
»Was immer Sie möchten, Miss Frost. Ich habe nichts zu verbergen.«
»Gut, dann haben Sie sicher nichts dagegen, wenn ich Sie frage, was Sie so oft in den chinesischen Glücksspielhallen machen?«
Baxter erbleichte und schluckte hart. Er lockerte den Schal und fing an, leicht zu schwitzen. »Hat das etwas mit dem Diebstahl zu tun?«
»Ich fürchte, ja. Sehen Sie, wenn Sie nämlich Spielschulden haben, wie ich vermute, käme Ihnen der Verkauf der Waffe sehr gelegen. Habe ich recht?« Frost legte den Kopf leicht schief und musterte das Gesicht des Wissenschaftlers.
Baxter starrte auf den Boden und fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut. Frost wollte dies jedoch nicht als Schuldeingeständnis deuten – noch nicht. »Ich habe Spielschulden, das stimmt«, gab er leise zu. Dann schaute er auf und wurde energisch. »Aber ich würde niemals eine meiner Waffen deswegen stehlen und verkaufen, das müssen Sie mir glauben. Ich habe alle Prototypen mit dem neuen System eigenhändig entwickelt, sie sind wie meine Kinder.« Beinahe flehend schaute er zwischen Frost und Payne hin und her.
Frost warf dem Pinkerton einen Blick zu. Dieser fixierte Baxter mit starren Augen, dann nickte er Frost zu. »Ich glaube ihm.«
Sie war noch nicht ganz überzeugt. Allerdings war Baxter wohl wirklich einfach ein verrückter Wissenschaftler. Er nannte die Waffen seine Kinder. Welcher normale Bürger tat das? »Okay, ich glaube Ihnen.« Zudem vertraute sie auf das Urteil des Pinkertons. Er hatte mehr Erfahrung im Verhören von Leuten als sie.
Alle nervöse Anspannung fiel mit einem Mal von Baxter ab, und er sackte in sich zusammen. »Sie müssen wissen, dass ich seit dem Diebstahl das Labor kaum mehr verlassen habe. Für den Fall, dass die Diebe zurückkommen, verstehen Sie?«
Frost hob die Augenbrauen. Das erklärte Baxters derangiertes Aussehen.
»Wir können es uns nicht leisten, die Präsentation für den Duke zu streichen. Wenn ihm die Waffen gefallen, hoffen wir nämlich auf einen Großauftrag von der Marine.«
Frost nickte. »Der Duke of Edinburgh ist Admiral der royalen Flotte und ein großer Waffennarr«, erklärte sie Payne, der sich, das sagte einem sein ratloser Gesichtsausdruck, nicht mit den englischen Adelstiteln auskannte. »Wann findet die Präsentation genau statt?«
»Morgen Nachmittag um halb zwei«, sagte Baxter. »Lord Greyson wird anwesend sein sowie die Entourage des Dukes. Die ersten Vorbereitungen dafür werden in den Inner Temple Gardens bereits vorangetrieben.«
Lärm aus der Halle hinter ihnen unterbrach den Wissenschaftler. Dann wurde es mit einem Male still.
»Sie haben die Maschinen abgestellt«, murmelte Baxter und eilte plötzlich davon.
»Dr. Baxter«, rief Frost ihm hinterher, doch er ignorierte sie. Kurz schaute sie zu Payne auf, dann folgten sie ihm.
In der Fabrikhalle war es seltsam still. Die riesigen Maschinen ragten dampfend und rauchend links und rechts in die Höhe. In einer Ecke hatte sich eine Traube Arbeiter versammelt. Baxter eilte direkt darauf zu.
»Was geht hier vor?«, fragte er, als er sie erreichte. »Ist etwas passiert?«
»Treten Sie alle bitte zurück«, rief eine autoritäre Stimme. »Dies ist ein Tatort.«
»Ein Tatort?« Baxters Stimme überschlug sich beinahe.
Frost und Payne blieben neben ihm stehen. »Warum ist es nur so, dass ich dauernd mit Leichen zu tun habe, seit ich Sie kenne, Mr. Payne?«, fragte Frost.
»Und warum ist es so, dass ich ständig mit den gleichen Polizisten zu tun habe, seit ich Sie kenne, Miss Frost?«
Frost ächzte auf, als sie Inspektor Jones und die kleine Inderin Manju erkannte. Ihre Blicke trafen sich.
»Sie schon wieder?«, begrüßte der Inspektor sie und stampfte auf sie zu. »Was tun Sie hier?«
»Wir arbeiten an einem Auftrag, Inspektor«, erwiderte Frost und verschränkte die Arme vor der Brust. »Für Dr. Baxter hier.«
»Stimmt das?«
Baxter nickte. Er sah etwas bleich aus um die Nasenspitze. »Wer ist es?«, fragte er.
Jones konsultierte sein Notizbuch. »Die Arbeiter haben das Opfer als Henry Walker identifiziert.«
»Jetzt wissen wir auch, warum Walker seit dem Diebstahl verschwunden ist«, murmelte Frost zufrieden.
»Was für ein Diebstahl?«
Frost runzelte die Stirn und wollte gerade eine schnippische Antwort geben, die garantiert unter Beamtenbeleidigung geführt wurde, als Constable Manju neben Jones trat.
»Sir, das Yard hat sich zurückgemeldet. Henry Walker war ein bekennender Anarchist.«
»Also doch ein politisches Ziel.« Frost schaute zu Payne auf, der dessen Blick nach zu schließen das selbe dachte.
»Das würde auch erklären, warum die Waffe nirgends aufgetaucht ist seither«, meinte er. »Der Dieb hat sie nicht verkauft, weil er ein Attentat auf den Duke verüben will.«
»Oder Greyson.«
Baxter stöhnte auf und vergrub das Gesicht in den Händen. »Grundgütiger, wo bin ich hier nur reingeraten?«
»Herrgott noch mal, was reden Sie da?«, rief Jones auf einmal aus. »Attentat auf den Duke? Auf welchen Duke genau? Was geht hier vor?!«
Frost tauschte einen Blick mit Payne, dann schaute sie Dr. Baxter fragend an. »Erzählen Sie es ihnen«, sagte er matt.
Sie holte tief Luft und gab dem Inspektor und der Constable die Kurzfassung. Sie berichtete vom Diebstahl des Prototypen, ihren Ermittlungen und der einzigen logischen Schlussfolgerung, dass die Leben des Dukes of Edinburgh und Lord Greysons womöglich in Gefahr waren.
Inspektor Jones hörte schweigend zu. Die Furchen in seiner Stirn wurden immer tiefer. »Sie sollten die Präsentation absagen, Dr. Baxter«, meinte er, als Frost geendet hatte.
»Unmöglich!«, rief Baxter aus und wedelte energisch mit den Händen. »Lord Greyson besteht auf der Präsentation. Außerdem wird der Duke sich nicht von einer solchen Bedrohung abhalten lassen, Greysons neue Waffen auszuprobieren. Er ist zu sehr Militarist.«
»Hm, da mögen Sie recht haben, Doktor. Was sollen wir Ihrer Meinung nach nun tun? Die Sicherheitskräfte verstärken?«
Frost hob die Hand. »Ich hätte da einen Vorschlag.«