Читать книгу Frost & Payne - Die mechanischen Kinder Die komplette erste Staffel - Luzia Pfyl - Страница 33

2.

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Staubpartikel tanzten in den Lichtstrahlen, die durch die halb geschlossenen Jalousien in die leeren Unterrichtsräume und Büros fielen. Frost ging hinter Payne den halbdunklen Flur hinab. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, ihre Handflächen in den Handschuhen waren schweißnass. Eine Stimme in ihrem Kopf wiederholte zum vielleicht hundertsten Mal, was für eine dumme Idee das war. Sie hätten auf Inspektor Flannagan hören sollen. Doch sie konnten nun nicht mehr zurück, und weil es ihre eigene dumme Idee gewesen war, konnte sie schlecht einen Rückzieher machen.

Ein paar Meter vor ihnen polterte es. Payne hob die Hand, damit Frost stehen blieb, und legte den Zeigefinger an die Lippen. Sie nickte. Auf Zehenspitzen schlichen sie langsam voran.

Jetzt hörten sie jemanden reden. Es klang gehetzt und nervös. »Sei still, verdammt!«, schnarrte eine zweite Stimme. Schritte auf den Holzdielen. »Lass mich nachdenken.«

»Die werden uns nicht gehen lassen, Joe«, sagte die erste, nervöse Stimme. »Wir hätten die Lady einfach ignorieren sollen.«

»Die Lady hat unsere Gesichter gesehen, du Dummkopf. Aber ich weiß, wie wir hier rauskommen, keine Sorge. Die werden sich noch wundern.«

Das war nicht gut. Einer der beiden war ein Nervenbündel, während der andere fatalistisch und zu allem bereit schien. Das war eine explosive Mischung – und vor allem für Cecilia sehr gefährlich.

Frost suchte Paynes Blick. »Was nun?«, wisperte sie.

»Wir rufen ganz laut Überraschung.« Ein grimmiges Grinsen erschien in Paynes Gesicht. Anscheinend gehörte auch zum Pinkerton ein wenig leichtsinniger Fatalismus. Das gefiel ihr. Vielleicht war es genau das, was sie gerade brauchten.

Vorsichtig und so geräuschlos wie möglich schlichen sie den Gang entlang weiter, bis sie das Büro erreichten, in dem sich die Bombenleger verschanzt hatten. Es befand sich an der Vorderfront des Hauses, und die verdeckten Fenster schauten hinaus auf den Platz. Die Tür stand halb offen. Payne reckte den Hals, um einen schnellen Blick hineinzuwerfen.

»Einmal Fenster, einmal Kamin«, flüsterte er lautlos. Frost verstand und nickte. Einer der Kerle stand beim Fenster, der andere vor dem Kamin.

Payne zählte stumm mit den Fingern von drei rückwärts, doch als er bei der Eins ankam, dröhnte von draußen die mit einem Megafon verstärkte Stimme von Inspektor Flannagan herein. Payne schloss frustriert die Augen.

»Das Haus ist umstellt«, rief der Inspektor. »Ihr habt keine Chance zu entkommen. Ich wiederhole noch einmal, das Haus ist umstellt. Lasst die Frau gehen.«

»Und das nennt er unter Kontrolle haben?«, zischte Payne.

»Wir tauschen die Frau gegen den Astronomer Royal!«, brüllte der Bombenleger, der das Sagen hatte, durch das hochgeschobene Fenster. Er stand mit dem Rücken zur Wand und linste durch die Sprossen des Rollos vor der Scheibe. Frost konnte für einen Moment sein Profil erkennen. Er war jung, vielleicht Anfang zwanzig, und hatte kinnlange, fettige Haare. In der Hand hielt er eine Pistole.

»Was wollen wir denn mit Sir Christie?«

»Sei still, Tanner. Das wird sie eine Weile ablenken. Ich brauche nicht mehr lange.«

Frost und Payne schauten sich wieder an und kamen wortlos überein, dass sie nicht warten wollten, bis der gute Joe mit dem, was er vorhatte, fertig war. Wieder hob Payne drei Finger und zählte stumm zurück.

Auf das Kommando hin trat er die Tür ein und stürmte in den Raum. Frost hielt sich dicht hinter ihm und nahm den Bombenleger am Fenster ins Visier ihres Revolvers. Sie hörte die beiden Männer vor Überraschung aufschreien und das Klicken von Kolben, doch sie behielt Bombenleger-Joe fest im Blick.

»Beweg deinen kleinen Finger, und ich puste dir die Birne weg«, sagte sie nachdrücklich.

»Wer zum Teufel seid ihr?«, verlangte Joe zu wissen. »Die Copper?«

»Mr. Payne, gehören wir zur Polizei?«

»Ich glaube nicht, Miss Frost.« Sie konnte sein Grinsen hören. »Hallo, Cecilia.«

»Das heißt, wir können mit euch machen, was wir wollen.« Frost legte den Kopf schief und ließ ihren Blick langsam an Joe hinuntergleiten. »Ich könnte dir auch etwas anderes wegpusten.«

»Du Jezebel!«, fauchte der Bombenleger. Schweiß stand auf seiner Stirn, er bebte am ganzen Körper vor Anspannung und Zorn. Frost ließ die biblischen Verwünschungen, die folgten, an sich abprallen. Religiöse Fanatiker waren immer so dramatisch.

Allerdings mussten sie sich langsam etwas einfallen lassen. Sie konnten sich nicht ewig mit gezogenen Waffen gegenüberstehen und sich Beleidigungen zurufen. Frost hoffte, dass Payne eine Idee hatte. Sie hingegen hatte keine, außer, dem Kerl ins Knie zu schießen.

Eine Bewegung im Augenwinkel nahm ihr die Entscheidung ab: Das Nervenbündel namens Tanner war nicht ganz so sehr Nervenbündel, wie sie geglaubt hatte. Mit einem Schrei sprang er Payne an. Ein Schuss löste sich aus Paynes Revolver und schlug in die Stuckdecke ein. Feiner weißer Putz rieselte auf die zwei Männer herab, die sich nun ineinander verkeilten.

Cecilia schrie auf und duckte sich zur Seite. Sie saß mit auf dem Rücken gefesselten Händen an der Wand neben dem Kamin.

Die wenigen Sekunden, die Frost abgelenkt war, waren alles, was Bombenleger-Joe benötigte. Blitzschnell und mit eiserner Hand schlug er ihr die Pistole aus der Hand und versetzte ihr einen harten Hieb gegen das Brustbein. Frost taumelte nach hinten und verlor das Gleichgewicht. Schmerzhaft prallte sie mit dem Ellbogen und der rechten Schulter voran auf den Boden.

Payne streckte Tanner mit einem gezielten Faustschlag gegen das Kinn zu Boden. Aber Bombenleger-Joe hatte nicht die Absicht, sich auf Payne zu stürzen. Stattdessen beugte er sich über eine kleine Kiste, die auf dem Boden zwischen ihnen stand. Frost war sie zwar aufgefallen, doch sie hatte sich nicht weiter darum gekümmert. Zwei Fanatiker mit Schusswaffen waren dringender gewesen. Ein Fehler, wie sich nun herausstellte.

»Jackson, sie haben eine zweite Bombe«, sagte Cecilia mit Nachdruck. Ihre Stimme bebte, doch Frost glaubte, dass es mehr Zorn denn Angst war; jedenfalls ihren Augen nach zu urteilen.

Joe lachte und drückte auf einen Knopf. Ein leises Ticken war zu hören. Payne starrte wie gelähmt auf den Inhalt des Kistchens, unfähig, sich zu bewegen oder einen klaren Gedanken zu fassen.

Frost rappelte sich auf. Eine zweite Bombe, wie konnten diese Idioten es wagen?! Sie war wütend. Der Tag war bereits mies gewesen, doch nun war er vollends im Arsch.

Schwungvoll holte sie weit aus und donnerte Joe die Pistole auf den Hinterkopf. Mit einem überraschten Seufzer sackte er bewusstlos neben der Kiste zusammen. Ein blutiges Rinnsal breitete sich wie ein grotesker Heiligenschein um seinen Kopf herum aus.

»Payne. Payne, was ist?« Frost atmete schwer, als sie hinüber zu Cecilia eilte und sie von den Fesseln befreite. Sie mussten hier raus, die Bombe konnte jeden Moment hochgehen. »Payne!«

Der Pinkerton starrte immer noch auf die Bombe. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Frost wollte ihm gerade einen Klaps geben, damit er aus seiner Trance erwachte, als er sich bückte und die Kiste hochhob.

»Was soll der Scheiß, sind Sie wahnsinnig?«, rief sie aus.

»Jackson, was hast du vor?« Diesmal mischte sich Angst in Cecilias Stimme.

Payne blieb ihnen die Antwort schuldig. Mit der Kiste fest an sich gepresst stürmte er los, raus aus dem halbdunklen Büro und raus aus dem Observatorium, direkt auf die Polizisten zu, die auf dem Platz davor standen. »Aus dem Weg!«, hörten sie ihn rufen. »Bombe!«

Frost und Cecilia waren mit zwei Sätzen am Fenster und schrien hinaus. Frost sah, wie Payne über den Platz sprintete, direkt auf das zerstörte Planetarium zu. Die Polizisten stoben auseinander.

»Ich kann nicht hinsehen!« Cecilia vergrub das Gesicht in ihren Händen und warf sich an Frosts Brust. Frost presste sie an sich und hielt den Atem an. Payne verschwand zwischen den rauchenden Ruinen.

Die Explosion war so heftig, dass die Scheiben barsten. Frost konnte gerade noch den Kopf wegdrehen und Cecilia mit ihrem Körper schützen, als die Wucht der Detonation das Observatorium traf. Das ganze Gebäude schien zu beben.

»Alles in Ordnung?«, fragte sie, als es vorbei war. Ihre Ohren klingelten, und sie musste husten. Ein Schwall Staub und Putz rieselte auf sie herab. Als sie sich aufrichtete, fielen klirrend Scherben auf den Boden.

Cecilia nickte und nahm ihre Hand als Stütze, um aufzustehen. »Jackson«, sagte sie tonlos und rannte los. Frost folgte ihr dichtauf. Ihr Kopf war wie leergefegt, ihr Hirn weigerte sich, klar zu denken. Sie kümmerte sich nicht um die beiden Bombenleger, die bewusstlos auf dem Boden zwischen den Scherben lagen. Sie wollte, nein, musste wissen, was mit Payne war.

Die Polizisten und Feuerwehrmänner standen oder saßen geschockt auf dem Platz und starrten auf das wiederentfachte Inferno. Frost rannte am Inspektor vorbei, der keinen Wank tat.

»Payne!«, schrie sie. Jemand, der Paynes Kleidung trug, saß auf dem Kiesweg gleich hinter dem eisernen Zaun, der einst den Garten des Planetariums umschloss. Rauch stieg ihm aus Haaren und Kleidung auf. Cecilia erreichte den Mann zuerst und fiel weinend vor ihm auf die Knie. Unglaubliche Erleichterung strömte durch Frosts Körper, sie verlangsamte ihre Schritte. Dieser verdammte Pinkerton war am Leben.

Dieser verdammte Pinkerton. Heißer Zorn loderte in ihr auf. Was war nur in seinen Dickschädel gefahren, dass er mit einer verdammten Bombe herumrennen musste?

Bebend blieb sie vor ihm stehen. »Tun. Sie. Das. Nie. Wieder!«, presste sie hervor. Sie hätten sterben können!, wollte sie anfügen, und Sie verdammter Idiot! Doch sie sagte nichts, denn als Payne lächelnd zu ihr aufschaute, verrauchte der Zorn sofort.

»Jackson, du hast mir einen verdammten Schrecken eingejagt«, sagte Cecilia und versuchte krampfhaft, mit dem Weinen aufzuhören. Sie wischte sich mit dem Handrücken über die tränennassen Wangen. »Es hätte gereicht, wenn wir rechtzeitig ins Freie gegangen wären.«

»Aber dann wäre das Observatorium nun zerstört. Du hättest keine Arbeit mehr. Du liebst das Observatorium.« Cecilia fing ob dieser Worte wieder an zu weinen, und Payne strich ihr beruhigend über den Kopf.

»Sie sind ein verdammter Idiot, Payne.« Doch Frost konnte nicht umhin, breit zu grinsen.

Die Wiedersehensfreude herrschte nur kurz, denn die Polizei erwachte aus ihrer Starre. Inspektor Flannagan baute sich vor ihnen auf. »Mr. Payne, Miss Frost, was zum Teufel war das? Sie hatten keine Befugnis, sich in polizeiliche Arbeit einzumischen!«

Payne lächelte und deutete mit der Hand auf das Observatorium. »Die beiden Bombenleger liegen im vordersten Büro rechts. Sie sind bewusstlos. Sie können sie ohne Probleme festnehmen, Inspektor.«

»Sie wussten nicht, dass sie noch eine zweite Bombe hatten«, schaltete sich Frost ein, bevor Inspektor Flannagan etwas erwidern konnte. Mit jedem ihrer Worte wurde sein Gesicht roter. »Wären wir nicht da gewesen, hätten Sie nun den Tod dieser Frau zu beklagen und obendrein zu verantworten, dass Greenwich nicht nur sein Planetarium, sondern auch sein Observatorium verloren hat.«

Der Inspektor schien gleich zu platzen. »Das wird noch ein Nachspiel haben, das garantiere ich Ihnen beiden. Unbefugtes Betreten einer polizeilichen Absperrung, Behinderung von Polizeiarbeit, Beleidigung, Gefährdung von Menschenleben!« Er drehte sich auf dem Absatz um. »Lasst sie nicht aus den Augen«, rief er den umstehenden Polizisten zu. »Legt sie in Ketten, wenn es sein muss. Ich will, dass diese beiden Herrschaften zur Verantwortung gezogen werden. Und holt mir diese beiden Fanatiker da raus!«

Cecilia half ihrem Mann auf die Beine und klopfte dabei den Ruß von seiner angekokelten Kleidung. Payne ächzte, doch auf den ersten Blick schien er unverletzt zu sein. Frost spürte mit einem Mal eine Welle der Erschöpfung über sich hereinbrechen. Die Sonne ging bereits unter. Sie hatte für einen Tag wirklich genug Action und Aufregung gehabt. Erst das knapp verhinderte Attentat auf den Duke of Edinburgh – und nun das. Sie sehnte sich nach einem heißen Bad, einem Glas Whisky und ihrem Bett.

»Frost?«

»Ja?« Sie fing Paynes Blick auf.

»Haben Ihre Freunde bei der chinesischen Mafia gute Anwälte?«

Frost verstand sofort, worauf er hinauswollte, und lächelte. »Die besten der Stadt.«

»Gut, denn ich befürchte, wir werden sie brauchen.«

Frost & Payne - Die mechanischen Kinder  Die komplette erste Staffel

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