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Worte versus Erfahrungen

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Was eine christliche Gemeinschaft am dringendsten braucht, sind Menschen, die wissen, dass sie von Gott geliebt sind. Nur: Wie kommt man zu diesem Wissen?

In der westlichen Welt leben wir in einem Spannungsfeld zwischen zwei Magneten. Der eine ist eine starke kognitive Tradition. Hier kommt besonders der akademische Einfluss zum Tragen, der über Jahrhunderte die Vorstellung genährt hat, dass wir uns Wissen und Verhalten antrainieren, indem uns Gedanken aus Büchern, Vorlesungen und durch andere verbale Botschaften vermittelt werden. Wir glauben, eine Botschaft müsse nur oft genug wiederholt werden, damit wir sie uns zu Herzen nehmen und in unser Alltagsleben integrieren.

Stimmt das? Wenn dem so wäre, müsste ein Großteil der westlichen Christen mittlerweile der tiefen Überzeugung sein, dass sie von Gott geliebt sind, und aus dieser Überzeugung heraus leben. Das dürfte jedenfalls in diesem Teil der Welt die am häufigsten verkündete Botschaft in den Predigten und Liedern der letzten fünfzig Jahre sein. »Gott liebt uns, in seinen Augen ist jeder Mensch wertvoll.« Das Problem mit dieser Botschaft ist nicht, dass sie nicht wahr ist. Das Problem ist vielmehr, dass wir sie nicht in dieser Form annehmen können.

Wenn ein Kind im Kindergarten unruhig ist, andere Kinder angreift und nicht auf die Erzieher hört, liegt das nicht daran, dass dieses Kind ausgerechnet an dem Tag nicht da war, als besprochen wurde, wie man Konflikte im Kindergarten löst, und deshalb nicht weiß, wie es sich verhalten soll. Es liegt eher daran, dass im Leben dieses Kindes Dinge vorgefallen sind, die eine innere Unsicherheit geschaffen haben, die nun dafür sorgt, dass es ständig sein Umfeld testet und herausfordert: »Erträgst du mich? Ist hier jemand, der mich versteht?« Dem Verhalten liegt eine Erfahrung zugrunde, durch die alle Beziehungen gefiltert und interpretiert werden.

Erfahrungen werden nur sehr geringfügig von Gedanken und Worten beeinflusst. Das Naivste und Wirkungsloseste, was ein Prediger sagen kann, ist ein Satz wie: »Es ist so einfach mit Gottes Liebe. Sie ist ein Geschenk an uns und jeder von uns kann sie annehmen.«

Viel einfacher wäre es, wenn der Prediger stattdessen sagen würde: »So, nun ziehen wir Schuhe und Strümpfe aus und gehen barfuß durch den Schnee zehn Runden um die Kirche.« Jeder wüsste direkt, was zu tun ist. Aber wie nimmt man Liebe an, die man vielleicht noch nie erfahren hat? Besonders dann, wenn man während der gesamten Kindheit auf die harte Tour lernen musste, dass es einen eigentlich gar nicht hätte geben sollen, man immer im Weg ist, ein seltsamer Außenseiter, den niemand versteht. Das Wort stößt auf jahrzehntelange Erfahrung, die unendlich viel schwerer wiegt.

Der andere Magnet in unserer Gesellschaft ist die Jagd nach dem gefühlsmäßigen Kick. Konsum, Medien, Vergnügen, Werbung, Zusammenleben, Restaurants und immer mehr auch die Politik werden von emotionalen Reiz-Reaktionen getrieben. In dieser Strömung wird die Botschaft von Gottes Liebe eher zu einer Einladung oder eher noch einer Bedingung: Öffne dein Inneres und fühle mit deinem ganzen Wesen, wie Gott dich liebt. Lobpreis und andere Musik sind zusammen mit visuellen Effekten und Stimmlagen genau darauf ausgerichtet, dass wir spüren können, wie sehr wir heute Abend geliebt werden.

Dies hat zwei mögliche Folgen:

1. Sie kommen für einen Moment in eine Wohlfühl-Stimmung, die am nächsten Morgen im Büro wie weggeblasen ist.

2. Das Gefühl will sich einfach nicht einstellen. Stattdessen werden Sie (in unterschiedlichem Ausmaß) von Frust gegenüber Gott, der Situation und sich selbst erfüllt.

Wie gesagt: Eine tief gehende Erfahrung kann nicht nur von Worten und Gedanken hervorgerufen werde. Auch nicht von einem zeitweiligen Gefühl. Das Einzige, das eine nachhaltige Wirkung haben kann, ist eine Erfahrung. Dabei ist es wichtig, den Unterschied zwischen Erlebnis und Erfahrung zu kennen. Ein Erlebnis ist kurzfristig, wird meist positiv gesehen und berührt nur die Gefühlswelt. Eine Erfahrung berührt den ganzen Menschen und erstreckt sich über die ganze Bandbreite zwischen Schmerz und Freude und hat eine langfristige Wirkung.

In seinen Geistlichen Übungen führt Ignatius von Loyola uns in Meditationen über Gottes Liebe ein und agiert dabei ganz anders, als wir von anderen Meditationen über Bibelstellen gewohnt sind. Würde Glaube kognitiv funktionieren, wäre es denkbar einfach; man liest ein paar Bibelstellen, in denen steht, dass Gott uns liebt, und dann setzt sich diese Erkenntnis fest. Ignatius beginnt hingegen mit einer Reflexion, die bei näherer Betrachtung jeder selbstverständlich aus seiner eigenen Erfahrung kennt: »Die Liebe muss mehr in die Werke als in die Worte gelegt werden.«6

Von diesem Ausgangspunkt her sind wir aufgefordert, darüber nachzudenken, wie Gott ganz praktisch seine Liebe gezeigt hat. In den Wundern der Schöpfung, in der Geschichte, in Jesus Christus, im eigenen Leben. Ignatius von Loyola folgt hier der gleichen Pädagogik, die auch Paulus in seiner kurzen und improvisierten Predigt in der griechischen Stadt Lystra verfolgte. Dort hatte niemand einen anderen Anhaltspunkt für Gottes Liebe als seine eigenen alltäglichen Erfahrungen: »Doch nie hat es eine Zeit gegeben, in der keine Zeugen für ihn lebten. Immer gab es etwas, das an ihn erinnern sollte; so schenkte er euch Regen und gute Ernten, Nahrung und fröhliche Herzen« (Apostelgeschichte 14,17). Also: Lasst uns den Spuren von Gottes Güte zurück zur Quelle folgen.

Ein irischer Jesuit, Brendan Comerforth, erzählte einmal, wie er einen Mann durch diese Art von Meditation geführt hat. Dieser Mann war unter schwierigen Verhältnissen aufgewachsen, bekam aber dennoch die gleiche Aufgabe wie alle anderen: Geh in deiner Geschichte zurück und versuche, Hinweise darauf zu finden, dass Gott sich zu erkennen gegeben und gezeigt hat, dass er dich liebt.

Am Tag darauf kam der Mann zurück und erklärte ziemlich mürrisch, dass er nie auch nur die kleinste Spur von Gottes Liebe während seiner Jugend entdeckt hatte. Ein unsicherer Mentor hätte vielleicht die Spur gewechselt und dem Mann in dieser Situation eine andere Übung aufgegeben. Aber Brendan wusste, was er tat, und gab dem Mann am nächsten Tag die gleiche Aufgabe.

Da kam der Mann mit Tränen in den Augen zurück und erklärte, er habe es ehrlich versucht, aber in seiner Vergangenheit nichts anderes als Dunkelheit und Beklommenheit sehen können. Nur äußerst widerwillig ließ er sich auf Brendans geduldige Aufforderung ein, die Übung nicht aufzugeben und sie noch einmal zu wiederholen.

Als er am nächsten Tag zurückkehrte, hatte der Mann wieder Tränen in den Augen, diesmal jedoch aus einem anderen Grund. Er erzählte, dass er etwas gesehen habe, was er nie zuvor gesehen hatte. Über die Details schweigt sich die Geschichte aus, aber der Mann hatte gesehen, wie Gott ein ums andere Mal sein Leben berührt hatte, wenn es ihm am dunkelsten erschien. Das hatte er nie zuvor bemerkt.

Und er hätte es auch nie sehen können, wäre er nicht mit offenen Augen zielgerichtet in seine schwärzesten Dunkelheiten gegangen. Nur in der Wahrheit können wir Gott begegnen. Wie bei den Einwohnern von Lystra wartete Gottes Liebe in den persönlichen Erfahrungen des Mannes.

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