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Grenzen abstecken
ОглавлениеGrenzen sind, wie gesagt, die Konturen des Ichs. Als Jesus vom Geist in die Wüste geführt wird, greift der Teufel seine tiefste Identität an (vgl. Matthäus 4,1-11). Wieder und wieder kommt der heimtückische Satz: »Wenn du Gottes Sohn bist …« Wie alles, was der Teufel tut, zielen auch seine Worte in verschiedene Richtungen (Diabolos bedeutet »Durcheinanderbringer«). Auf der einen Seite ist da ein heimliches Infragestellen: »Wenn du nun wirklich Gottes Sohn bist …« Auf der anderen Seite die schillernde Option, diese Identität für spannendere Projekte einzusetzen: »Du könntest …«
Jeder Gemeindemitarbeiter kann sich in dieser Situation wiedererkennen. Auf der einen Seite die tiefen Zweifel an sich selbst und der Beziehung zu Gott. Auf der anderen Seite die nagende Versuchung, Position und Einfluss mehr zur Befriedigung eigener Bedürfnisse als der anderer zu nutzen.
Jesus könnte mit dem Teufel darüber diskutieren. Er könnte sich einer eleganten Argumentation hingeben und mit seiner blendenden Intelligenz und theologischen Kenntnis den Teufel in seine Schranken weisen. Stattdessen zitiert er schlicht und ergreifend eine Bibelstelle aus dem 5. Buch Mose. Jedes Mal. Wie unkreativ! Wie langweilig! Wie traditionell!
Wie effektiv! Seine Absicht ist ganz einfach: seine Grenzen abzustecken. Oder anders gesagt: der zu sein, der er ist. Jesus braucht dem Teufel nichts zu beweisen. Er konzentriert sich allein darauf, die Identität zu bewahren, die in seiner Taufe bestätigt wurde: Er ist der geliebte Sohn des Vaters.
Ausgehend von dieser Identität begegnet er den Versuchungen in drei entscheidenden Feldern, die jede Führungsperson kennt: 1. Wovon lebe ich? 2. Was soll ich tun? 3. Wessen Ehre suche ich? Versorgung. Dienst. Zielsetzung.
In jedem Punkt versucht der Teufel, Jesus auf seine Seite und das Spielfeld der Welt zu locken. Natürlich beginnt er, als Jesus hungrig ist, und appelliert an die persönlichen Bedürfnisse: »Du könntest diese Steine in Brot verwandeln.« Vielleicht hat er auch andere spannende Dinge vorgeschlagen, die Jesus hätte hervorzaubern können. Die Logik ist einfach und nur schwer zu widerlegen: Du bist hungrig. Du bist mächtig. Was hindert dich …?
Als er Jesus mit sich hoch auf die Tempelmauer nimmt, folgt er der gleichen Logik: Alle würden es sehen, wenn er sich hinunterstürzen und die Engel ihn auffangen und retten würden. Was für ein Durchbruch! Du willst doch, dass die Menschen sehen, wer du bist!
Schließlich geht er zum Äußersten und nimmt Jesus vom Jordan, einem der tiefsten Punkte der Erde, mit auf einen »sehr hohen Berg«. Er lockt Jesus, statt aus Gottes Perspektive (vom tiefsten Punkt, den Kleinsten und Ärmsten) vom Aussichtspunkt des Teufels auf die Erde zu schauen (von Macht, Reichtum und Hochmut).
Hier folgt das vielleicht Heimtückischste – er will Anbetung als Mittel zum Erreichen eigener Ziele benutzen: »All das will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.« Wenn Geistlichkeit und Anbetung zu Mitteln werden, mit denen wir unsere eigenen Ziele erreichen wollen, egal, ob es sich nun um persönlichen Erfolg, Gemeindewachstum, heilende oder politische Ziele handelt – dann haben wir schon die Grenze überschritten und bewegen uns auf dem Niveau des Teufels. Der Fluch der Instrumentalisierung, die sein Atem ist, verwandelt alles Lebendige in Dinge, alle Beziehungen in Mittel, Gottes Schöpfung in Asche.
Erst als Jesus diese instrumentalisierende Sicht auf sein geistliches Leben abweist, zieht sich der Teufel zurück: »›Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und nur ihm allein dienen.‹ Da verließ ihn der Teufel.«
Dies sagt viel darüber aus, was Anbetung ist: ein geschütztes Umfeld vor allem, was Instrumentalisierung heißt. Hier können Gott, Menschen und die ganze Schöpfung sicher sein vor aller Kosten-Nutzen-Rechnung, Ergebnisorientierung und jeder Form der Ausbeutung. Ein befreiendes Umfeld für alle müden und gestressten Führungspersonen.
Jesu vierzig Tage in der Wüste sind eine Schule und Vorbereitung für seinen öffentlichen Dienst. Sie sind auch eine Generalprobe vor seinem Tod. Er steht vor exakt der gleichen Verführung, seine Macht für die eigenen Ziele zu nutzen, als er am Kreuz hängt: »Nun, wenn du der Sohn Gottes bist, dann rette dich doch selbst und steig vom Kreuz herab!« (Matthäus 27,40). Jesu stumme Antwort zeugt vom gleichen Geheimnis: Er besiegt den Teufel nicht durch das, was er tut, sondern durch das, was er nicht tut.
Dies war möglicherweise noch nie revolutionärer als in unserer leistungsgeplagten Welt. Über allem, was mit Führung zu tun hat, pfeift die unsichtbare Peitsche: Erweitere deine Kompetenzen! Erhöhe die Statistiken! Zeig Resultate! Du kannst mehr! Reduziere die Defizite! Erweitere dein Netzwerk! Lies mehr Bücher! Es muss mehr in der Gemeinde passieren! Liefere!
Seine Grenzen abzustecken, heißt, den Teufel in seine Schranken zu weisen. Ihn, der sich seit Anbeginn der Zeit weigert, sich in die Schranken zu fügen, die der Schöpfer ihm zugedacht hat. Ihn, der seinen kosmischen Aufstand gegen alles führt, was Grenzen heißt. In unserem Leben heißt das konkret, sich gegen alle Anforderungen, Einflüsse und invadierende Menschen zu schützen, die unsere Kräfte aussaugen und letztlich zu Zynismus und Burn-out führen.
Schon im 17. Jahrhundert schrieb Vincenz von Paul: »Es ist eine List des Teufels, um die guten Seelen zu betrügen, dass er sie antreibt, mehr zu tun, als sie können, damit sie hernach nichts mehr tun können, weil sie zu sehr überladen sind.«
Wovon sollen Sie sich als Leiter nicht ernähren? Welche Aufgaben sollen Sie nicht übernehmen? Welche Form von geistlichem Leben ist für Sie nicht interessant und bereichernd?
Sich davon abzugrenzen ist genauso wichtig, wie zu wissen, was Sie tun sollen. Sonst kann es passieren, dass Ihre Identität von Kräften manipuliert wird, die Sie in eine Richtung ziehen, in die Sie gar nicht wollen. Denken Sie an Herr der Ringe: Frodos Auftrag hängt davon ab, ob er der Versuchung widerstehen kann, die Macht des Rings für seine eigenen Ziele zu missbrauchen.
Dies ist auch eine wichtige Erkenntnis über das Wesen der Kirche. Oft hört man, die Kirche würde nicht von ihren Grenzen, sondern von ihrem Zentrum zusammengehalten. Das klingt ja auch ganz gut. Bis wir durch mehr oder weniger schmerzhafte Erfahrungen begreifen, dass die Identität der Kirche genauso funktioniert wie unsere eigene: Identität wird an den Grenzen deutlich – oder ausradiert. Wie Jesus in der Wüste wird die Kirche erkennbar in der Auseinandersetzung mit allem, was sie nicht ist.