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Reiseführer Sergej aus Kaliningrad, Russland
ОглавлениеWer einen besonders kundigen Reiseführer für das ganze Gebiet (Oblast) Kaliningrad sucht, der ist mit Sergej Belantschuk bestens bedient. Mit Sergej verbindet mich nicht nur unser fast gleiches Alter und die Nähe der Geburtsorte (Beelitz bei Potsdam bzw. Berlin-Steglitz), sondern auch die Tatsache, dass wir beide unseren Arztberuf irgendwann gegen eine neue Herausforderung eintauschten. Leider hat Sergej am einzigen für mich verbleibenden Abend nur wenig Zeit („Ich bin etwas müde, war gerade 10 Stunden lang mit einer Gruppe unterwegs auf Exkursion“), redet sich dann aber doch langsam warm und ist kaum zu stoppen.
„Diese Russophobie bei Euch ist doch lächerlich. Eure Medien machen Putin für alles verantwortlich, was in der Welt passiert. Wenn irgendwo ein Blitz einschlägt oder jemand stolpert und sich etwas bricht, ist immer Putin Schuld.“ Sergej ist natürlich nicht einseitig informiert, er schaut auch häufig deutsches oder polnisches Fernsehen. „Die Informationen schwingen wie ein Pendel hin und her, die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte.“
Die politische Eiszeit berührt auch Sergejs Tätigkeit als Reiseführer. „In den 90er Jahren gab es noch ein Tragflächenboot von Elbing nach Kaliningrad, da kamen viele Polen. Jetzt sind es viel weniger“. Meine Frage, ob es denen vielleicht zu unsicher in Kaliningrad sei, lässt Sergej offensichtlich an meinem Verstand zweifeln. „Unsicher..., in Polen ist es doch viel unsicherer als bei uns. Lass dort mal so ein teures Auto wie das dort vorne einfach so auf der Straße stehen. Das steht da nicht lange. Hier bei uns gibt es so gut wie keine Diebstähle, auch keine Überfälle. Nein, Kaliningrad ist viel sicherer als Polen. Nur einmal, da hat sich ein Amerikaner eine blutige Nase geholt, der hatte mit Fremden viel Wodka getrunken. Nun, dann hat er Schläge bekommen von irgendwelchen Typen, vielleicht, weil er Amerikaner war.“
Mit Polen gibt es aber keine Probleme, mit Litauern sowieso nicht, die ja alle Russisch sprechen und mit dem Auto kommen und somit keine Kundschaft für Sergej sind. Sergej macht auch Touren nach Litauen und Polen. Dabei fällt auf, dass es in der letzten Zeit gerade an der Grenze zu Polen viele Schikanen gibt.
„Neulich an der Grenze nach Goldap, als nur unser Auto dort war, hat es mehr als anderthalb Stunden gedauert. Früher konnte man Scherze machen, ich spreche ja akzentfrei polnisch. Auf die Frage, warum ich so gut Polnisch spräche, habe ich geantwortet, dass ich natürlich ein russischer Spion bin, und alle haben gelacht. Diese Zeiten sind vorbei. Na, statt der Polen kommen jetzt mehr Russen, viele von weit her, Magadan, Wladiwostok, und und und.“
Sergej glaubt nicht, dass sich die Lage zwischen Russland und dem Westen in der nächsten Zeit entspannen wird. Auch nicht angesichts der nahenden Fußball-Weltmeisterschaft. „Deswegen erst recht nicht, was war denn 1980? Da haben die Amerikaner – und mit ihnen fast der ganze Westen - die Olympiade in Moskau boykottiert. Das kann bei der WM auch so kommen.“ Da frage ich mich doch, ob die US-Amerikaner die WM etwa aus politischen Gründen boykottieren und dabei unter anderem von den Italienern und Holländern unterstützt werden?
Wenn es nach ihm ginge sollte Kaliningrad die WM allerdings sowieso lieber absagen. „Eine Schnapsidee, das neue Stadion mitten auf eine Insel im Pregel zu bauen. Das Ding wird absaufen und wir haben ein neues Haus der Räte, Nr. 2. Brauchen tut das Stadion auch keiner, es wird auch nach der WM noch sehr viel Geld kosten. Da werden Milliarden versenkt, während in Afrika Tausende von Kindern verhungern.“ Nein, auf den Stadionneubau ist Sergej wirklich nicht gut zu sprechen. „Wenigstens kommt jetzt der neue Flughafen, das wurde auch höchste Zeit.“
Wir verabreden uns schließlich zu einem guten Abendessen mit Wodka, wenn ich das nächste Mal nach Kaliningrad komme, und dann rauscht Sergej mit seinem Kleinbus davon (nicht, ohne mir vorher noch zu versprechen, dass er mir die Adresse seines Bruders in Wladiwostok mailen wird, „für alle Fälle, sicher ist sicher“).