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Warschau, Polen

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Polen ist also Russlands westlichster Nachbar. Laut Wikipedia haben Polen und die Russische Föderation, wie Russland seit 1991 heißt, eine 206 Kilometer lange gemeinsame Landesgrenze, die fast in ganzer Länge seit Ende des zweiten Weltkrieges das alte Ostpreußen recht willkürlich trennt. Stalin zog 1945 einfach eine fast gerade Linie auf einer Karte Ostpreußens, dieses in einen nördlichen Teil, die heutige russische Exklave Kaliningrad, und einen südlichen Teil, die heutige nordpolnische Woiwodschaft Warminsko-Mazurskie (Ermland und Masuren), aufteilend.

Warschau

Besagter Eurocity Berlin-Warschau trifft (wenn es nicht zu außerplanmäßigen Verspätungen kommt) fünfeinhalb Stunden nach seiner Abfahrt aus Berlin auf dem Bahnhof Warszawa-Centralna ein. Warschau, da denkt ein fast 60-jähriger Deutscher vor allem an Dreierlei: an das Warschauer Ghetto, den Warschauer Aufstand und an den Warschauer Pakt (oder auch Warschauer Vertrag).

Heute ist Warschau eine attraktive Großstadt mit wohl deutlich mehr Wolkenkratzern als Berlin (was freilich keine Kunst ist, welche Großstadt hat das nicht?), aber auch einer – wieder aufgebauten – Altstadt, die das Prädikat UNESCO-Weltkulturerbe hoch verdient hat. Wäre das hier ein Reiseführer, dann müsste jetzt eine Aufzählung der vielen Sehenswürdigkeiten Warschaus folgen. Aber, um das mal gleich am Anfang klarzustellen, damit will ich mich nun wirklich nicht aufhalten. Natürlich wird die geneigte Leserschaft viele, viele Sehenswürdigkeiten, die ich auf dieser Reise besichtige, näher beschrieben bekommen. Doch für die Darstellung der unzähligen touristischen Attraktionen sei auf die klassischen Reiseführer und das Internet verwiesen.

Warschau also, an einem sonnigen, aber recht kühlen 2. Mai. Die Stadt ist mit unzähligen polnischen Fahnen und Wimpeln geschmückt, Feiertag. Die Menschen zieht es, wie auch mich, hinaus in die Parks. Der Eintritt in die Alte Orangerie im Lazienki Park ist heute frei, entsprechend lang ist die Warteschlange. Neugierig vorbei stolzierende Pfauen verkürzen die Wartezeit, aber die Sonne scheint ja, was sich noch als besonders angenehm erweist, als ich später die Liegestühle hinter dem Belvedere entdecke. Prima, so kann es weitergehen.

Ein langer Spaziergang (na, ich habe ja Zeit und bin gut zu Fuß) führt mich am Botanischen Garten und am Chopin-Denkmal vorbei zurück in die Innenstadt, immer die mit vielen Cafés, Restaurants und Kneipen gesegnete Nowy Swiat entlang zur Stare Miasta, der Altstadt. Nach einem Blick zum Marktplatz kehre ich zurück zum Schlossplatz mit der Säule und den Hundertschaften chinesischer Touristen (nein, die langen Stäbe werden von meinen asiatischen Mitbesuchern Warschaus nicht zum Freikämpfen der Wegstrecke, sondern zum Montieren der Kameras für die Milliarden von Selfies genutzt, die offenbar von den Zuhausegebliebenen schon mit Spannung erwartet werden, oh, jetzt schweife ich aber ab).

An der Säule also wende ich mich nach links und überquere die Weichsel, recht zugiger Wind, aber schöner Blick nach rechts zum Stadion, das für die Fußball-Europameisterschaft 2012 neu errichtet wurde und nach links zum vor dem Zoo befindlichen sandigen Weichselstrand, der herrlich in der Sonne gelegen gerade recht kommt, um dort windgeschützt Pause zu machen und die beeindruckende Kulisse der Altstadt am anderen Weichselufer zu bestaunen.

Jetzt noch ein kurzer Spaziergang durch den Park und dann bin ich auch schon in der Galeria Wilenska, einem modernen Einkaufszentrum im Stadtteil Praga. Hier bin ich in der zweiten Etage vor einem Kebab-Stand mit Krzysiek verabredet, der auch punktgenau auftaucht.

Krzysiek, Jahrgang 1992, kommt direkt von seiner Arbeit im Ingenieurbüro, in dem er schon angestellt ist, obwohl seine Masterarbeit noch nicht fertiggestellt ist. Wie alle jungen Männer hat Krzysiek erst einmal Hunger und lädt mich zum Kebab ein. Meine Versuche, die Rechnung zu übernehmen, scheitern kläglich. Zwar war ich es, der über den Freund eines Freundes… um das Treffen gebeten hat, aber schließlich sind wir ja in Polen, unmöglich also, dass ich das Essen zahle. Gut gestärkt ziehen wir weiter in eine Kneipe, und bei Bier aus der Flasche geht unser Gespräch in die zweite Runde: nach der Aufwärm- und Vorstellungsphase kommen wir nun zum Thema Polen und Russen, dem Anlass unseres Treffens.

Ich erzähle Krzysiek, dass ich am Vortage im Museum des Warschauer Aufstandes etwas überrascht war, wie schlecht die Sowjetarmee dort dabei wegkommt, wenn es um die Darstellung ihrer Rolle beim Warschauer Aufstand geht. Immerhin stand ja diese Armee schon im Juli 1944 in Praga, als die polnische Heimatarmee den offenen Aufstand gegen die deutschen Besatzer anstrebte.

„Ja, vielleicht ist das ja auch nicht meine eigene Meinung, sondern die meiner Lehrer. Es gab immer zwei oder mehr Meinungen. Also, als die Russen näher kamen, hatten viele Polen die Idee, dass wir zuerst selber etwas machen müssen, einen Aufstand, sonst können wir nicht unser Land befreien. Ja, wir müssen die großen Städte selber befreien, und wenn dann die Russen kommen, könnten wir sagen: hier, das ist unser Land, geht weiter nach Deutschland, wir sind schon frei! Der russische General oder so, der hat dann aber verboten, dass wir uns selber befreien, es gab keine Hilfe, nur Behinderungen durch die Russen. Ich habe auch die Meinung, dass – wenn diese russische Armee nicht gewartet, sondern uns geholfen hätte - dann wäre Warschau nicht komplett zerstört worden.“

Dieser Groll gegen die Russen ist auch im Museum überall greifbar, auch wenn es ja schließlich die Deutschen waren, die den Warschauer Aufstand nicht nur niedergeschlagen, sondern die ganze Stadt völlig zerstört haben (wovon man sich im Museum mit einem 3D-Film - ein Flug über die Ruinenlandschaft Warschaus - ein verstörendes Bild machen kann).

Mit dem Ende des zweiten Weltkrieges hatte sich die Lage Polens mal wieder gründlich verändert. Polen war natürlich ein eigener Staat und nicht völlig von der Landkarte verschwunden wie nach der dritten polnischen Teilung 1795, als Warschau nach Moskau und St. Petersburg zur drittgrößten „russischen“ Stadt wurde, aber „viele Polen, ich auch, sind der Ansicht, dass damals der eine Besatzer durch den nächsten Besatzer ersetzt wurde“, so Krzysiek.

„Nach den 90er Jahren haben wir uns gefreut, dass wir jetzt frei sind. Vorher war das nicht so. Aber ich kann nicht so viel dazu sagen, ich bin ja erst danach geboren. Ich habe aber viel gelesen. Und das war zwar eine polnische Regierung, aber die war von Russland bestimmt.“ Als ich einwerfe, dass Polen ja in der Geschichte immer wieder von Deutschen von der einen und Russen von der anderen Seite angegriffen und nach etlichen Teilungen sogar als Staat verschwunden war, gibt mir Krzysiek zwar Recht, verweist aber sogleich darauf, dass „in Polen aber auch viele Leute an die Zeiten denken, als Polen sehr groß war, an Zeiten, als Polen vielleicht das größte Land in Europa war. Auch jetzt gibt es ein paar Leute, die immer nur sagen, dass wir dahin zurück kommen müssen, das ist aber verrückt.“

Krzysiek ist angesichts der Brüsseler Bürokratie eher skeptisch, was die EU angeht und kritisiert die zu großen Einflüsse Deutschlands in der EU und die der USA in der NATO: „Wir müssen mit den anderen kleinen Ländern wie Ungarn zusammen arbeiten und auch mit den USA ist das Verhältnis nicht so einfach. Donald Trump will, dass wir 2% unseres Bruttoinlandsproduktes für Rüstung ausgeben, aber das ist zu viel. Wir brauchen nicht so viele Soldaten, auch nicht mehr Amerikaner. Jetzt sind viel mehr amerikanische Soldaten gekommen, aber mir ist das egal. Als der Konflikt mit der Ukraine war, habe ich gedacht, dass es nicht gut für Polen ist, dass Russland die Ukraine begraben wollte. Nun, viele Polen sagen, dass die Ukrainer damals, im zweiten Weltkrieg, die schlimmsten waren. Aber für mich persönlich ist das anders. Die Ukraine ist ein großes Land und ich meine, ein Teil davon ist wie Polen und ein Teil wie Russland.“

Krzysiek hat jedenfalls keine Angst davor, dass die Russen kommen könnten. „Wenn ich über Kaliningrad nachdenke, habe ich keine Assoziationen mit Russland. Viele Polen denken sogar, dass wir keine richtige Grenze mit Russland haben, nur zum Gebiet Kaliningrad, aber da haben wir auch unsere Nachbarn auf der anderen Seite. Es gibt atomare Waffen in Kaliningrad, aber was können wir machen, wenn die jemand benutzt? Nichts! Ich denke andererseits auch nicht, dass die NATO Kaliningrad angreifen will, aber ich kann da auch nicht sicher sein. In den Medien erfahren wir vielleicht nicht die ganze Wahrheit. Das habe ich auch gemerkt, als ich bei einem Studententreffen in Deutschland war, da waren auch Russen, Ukrainer und viele andere Ausländer, auch aus China. Alle schauen ihre eigenen TV-Sender, aber alle bekommen andere Informationen. Alle wussten, dass da russische Soldaten auf der Krim waren, nur die Russin hatte in den russischen Nachrichten nichts davon gehört.“

Auf meine Frage, ob er nicht auch mal nach Kaliningrad reisen und Russen treffen möchte, antwortet Krzysiek eher ausweichend: „Ja, ich habe immer Lust, irgendwo hin zu fahren, aber das Problem ist immer Geld und Zeit. Aber ich bin offen für Kaliningrad. Ich habe auch Familie in Augustow, das ist ganz in der Nähe von der Grenze, und ich war auch in einem kleinen Städtchen direkt an der Grenze, dort kannst du rüber laufen und merkst nicht, dass Du im Kaliningrader Gebiet bist.“ Ach ja, wenn es so einfach wäre. Einfach so über die Grenze. Zeit also, sich der Grenze zu nähern.

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