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Kaliningrad, Russland

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Es gibt viele gute Gründe dafür, nach Kaliningrad zu reisen. Ein besonders empfehlenswerter Anlass wäre es, in der dortigen Sprachschule einen Russisch-Kursus zu belegen. In Kleinstgruppen wird man hier von exzellenten Lehrerinnen je nach Sprachniveau unterrichtet und hat viel Spaß dabei, das kann ich nach drei mehrwöchigen Kursen in den letzten beiden Jahren garantieren. Und auch wenn danach, mit einigem Training daheim, die Russischkenntnisse eines Spätlerners (der vorher nicht viel mehr als „spassiwo“, also „danke“, sagen konnte) noch nicht von null auf hundert reichen: mit null auf fünfzig verursacht man zwar mitunter einen Stau auf der Gesprächsautobahn, kommt aber im täglichen Stadtgespräch schon ganz gut zurecht.

Immerhin gelingt es mir schon, mit Hilfe des an der Bushaltestelle sitzenden freundlichen Michael, seines Zeichens schwerer Alkoholiker, wie er sogleich offen erklärt, das etwas versteckt liegende Haus meiner Lehrerin Marina zu finden, die mich, natürlich, zum Abendessen eingeladen hat. Michael hat die nicht ganz leicht auszusprechende Adresse auf Anhieb verstanden und bringt mich die etwa 500 Meter bis an den Gartenzaun, wo mich Marina schon erwartet.

Bisher hielten sich meine Erlebnisse mit russischen Alkoholikern ja sehr in Grenzen, Michael jedenfalls ist ein sehr angenehmer, höflicher Mensch, der mich mit einem einladenden „Bittä schöön!“ auffordert, doch vor ihm die Pfütze zu umgehen, die fast die ganze Breite der unbefestigten Straße einnimmt. Bis wir bei Marina ankommen, erfahre ich, dass Michael sein Haus (wie fast alle Häuser dieser Straße ein altes deutsches Haus mit Giebeldach) an dem wir gerade vorbeikommen, leider verkaufen musste, seine Frau ist auch schon lange weg, mit den Kindern hat er nur noch selten Kontakt. „Na ja, der Alkohol... wie?... Du bist Arzt?, kann ich nicht was machen gegen Alkoholismus? Mein Arzt sagt immer nur, dass ich nicht so viel saufen soll. Da gehe ich jetzt nicht mehr hin. So, da sind wir schon, war mir ein Vergnügen, mit einem so gut Russisch sprechenden Deutschen spazieren zu gehen.“

So ein Schmeichler, dieser alte Trunkenbold! Der nette Kerl reicht mir die nicht ganz hygienisch reine Hand und will die meine (die ich dann doch gleich mal waschen werde) gar nicht mehr loslassen, bis Marina mich umarmt und ins Haus bittet. Michael muss aber draußen bleiben.

Es ist ein herrlicher Abend. Wer Marina schon einmal erlebt hat, kann erahnen, dass sie nicht nur eine ehemalige Universitätsdozentin für russische Sprache und Literatur ist, sondern auch eine hervorragende Köchin. Und so kommt, was kommen muss: der Tisch scheint sich unter den vielen Tellern und Schüsseln mit Spezialitäten aus Kirgistan (da stammen Marina und ihr Mann Anatoli her) und nach eigenen Marina-Rezepten bereiteten Speisen bedrohlich zu biegen. Müßig zu erwähnen, dass es natürlich ganz ausgezeichnet schmeckt, besonders die kirgisischen Teigtaschen (die mit Kürbiscreme gefüllten vegetarischen genauso wie die mit Schweinefleisch gefüllten), aber auch die Sommer-Borschtsch-Suppe, die – anders als das winterliche Pendant, nicht mit roten Beeten sondern Weißkohl bereitet wird und somit auch nicht rot, sondern eher grün-gelb ist.

Zur Gesellschaft haben Marina, Anatoli und Sohn Alex sowie die derzeit bei ihnen als Gast wohnende Amerikanerin Lisa noch die Italo-Schweizerin Fabienne geladen. Lingua franca ist Russisch, eine echte Herausforderung, zumal Lisa und Fabienne schon deutlich länger und besser Russisch sprechen als ich. Na, hin und wieder muss ich dann doch auf Englisch ausweichen, als ich mein Projekt in und um Russland herum erläutere.

„Und wer soll das Buch dann lesen?“ Alex glaubt nicht recht, dass solch ein Buch in Deutschland viele Leser finden wird, angesichts der politischen Lage. An der angespannten politischen Lage sind natürlich die Amerikaner Schuld, das höre ich jetzt nicht zum ersten Mal in Kaliningrad. Immer wieder wurde mir hier während meiner bisherigen Aufenthalte von vielen Kaliningradern erklärt, dass die Amerikaner bestimmen, was Europa, also Merkel, zu machen hat.

Erst vormittags sagte noch Ruslan, mit dem ich mir das noch im Bau befindliche neue Fußballstadion und später im alten Stadion die Zweitligapartie Baltika Kaliningrad gegen Kuban Krasnodar anschaute, dass es doch ein Unding sei, dass die NSA das Telefon von Merkel abgehört hat. Aber Merkel könne sich nicht dagegen wehren. „Umso wichtiger, dass wir einfache Menschen uns gut verstehen“, so Ruslan, „von den Politikern ist nicht viel zu erwarten, da geht es vor allem um Macht und Geld.“

Er als Geschäftsmann ist wirklich schlecht auf die Politik zu sprechen, hatte er in den späten 90er Jahren schon sein Büro in Berlin bezugsfertig (Holzhandel), als die russische Seite den Vertrag platzen ließ. Jetzt macht er in Immobilien, doch die Versuche, Deutschen einen Wohnungskauf in Kaliningrad schmackhaft zu machen, laufen eher schleppend: „Die politische Großwetterlage ist gerade nicht besonders günstig“, meint Ruslan.

Beim Abendessen bemüht sich Marina nach Kräften, dem Gespräch stets dann eine Wende zu geben, wenn es um Politik geht. Als Sprachwissenschaftlerin ist ihr nur allzu sehr bewusst, wie unzulänglich Sprache ist, besonders natürlich, wenn man händeringend nach den möglicherweise richtigen Vokabeln sucht. Dann könnte es ja schnell zu mehr oder weniger lustigen Missverständnissen kommen - dann doch lieber über Puschkin oder Tschechow reden. So sind wir uns schließlich einig, dass vor allem der kulturelle Austausch gepflegt werden muss, und es ist nicht zuletzt die Amerikanerin Lisa, die gerade die kulturellen Errungenschaften Europas sehr zu schätzen weiß.

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