Читать книгу Empfehlungen für die weitere Entwicklung der Wissenschaftlichen Informationsversorgung des Landes NRW - Manfred Thaller - Страница 14

2.3. Restrukturierung der Informationsversorgung zwischen den Hochschulen

Оглавление

In unseren bisherigen Überlegungen gingen wir von der einzelnen Hochschule aus. Diese Perspektive ist naheliegend, da dies der eingeführten Vorstellung von Hochschulen als voneinander unabhängigen Einrichtungen entspricht. Die Hochschul-Perspektive ist ferner besonders jetzt naheliegend, da das Hochschulfreiheitsgesetz in NRW in den letzten Jahren als deutlicher Ausdruck des politischen Willens zur Verstärkung der Autonomie der Hochschulen verstanden wurde.

Aus Sicht des Steuerzahlers und aus Sicht einer übergeordneten Landespolitik finanziert das Land NRW jedoch nicht einzelne Hochschulen, sondern ein staatliches Hochschulsystem. Dass dieser Begriff in der deutschen Hochschuldiskussion nicht stärker betont wird, scheint uns darauf zurück zu führen, dass er auf Grund der überragenden Bedeutung staatlicher Hochschulen in Deutschland redundant erschien: Das System staatlich finanzierter Hochschulen und das der Hochschulen insgesamt waren lange Zeit fast deckungsgleich. Das mag den Blick darauf verstellen, dass die Kooperation zwischen den staatlichen Hochschulen keineswegs einen Bruch mit dem Wettbewerbsgedanken impliziert. Der gemeinsame Betrieb von Infrastruktureinrichtungen für das gesamte öffentliche Hochschulsystem ist daher etwa in den USA, bei denen der Betrieb der staatlichen Hochschulen mit dem der privaten im Wettbewerb steht, selbstverständlich: So ist die gemeinsam betriebene California Digital Library11 ein von den einzelnen Campus der als Ganzes verstandenen University of California – die auch ein von den einzelnen Campus unabhängiges Präsidium kennt – sehr wichtiges Element der modernen amerikanischen Bibliothekslandschaft.

Aus Sicht des Steuerzahlers in NRW ist die geringe Bedeutung, die dem System staatlicher Hochschulen als System eingeräumt wird, mit unmittelbaren Nachteilen verbunden, wenn Probleme gelöst werden müssen, bei denen ein koordiniertes Zusammenwirken mehrerer Hochschulen wirtschaftlich notwendig ist. Unabhängig von abstrakten Fragen der Autonomie einzelner Hochschulen sind die von den Hochschulen des Landes Baden-Württemberg gekauften Arbeitsplatzrechner objektiv billiger, als die von den Hochschulen des Landes NRW gekauften, weil das zuständige Ministerium im Lande Baden-Württemberg eine Möglichkeit gefunden hat, die Beschaffungspolitik – und damit die Marktmacht der Hochschulen in der Marktwirtschaft – zu bündeln.

Zu diesen allgemeinen Fragen der Ausnutzung einer möglichen Marktposition kommen im Bereich der Informationsversorgung noch spezifische Gründe, die eine wesentlich engere Kooperation zwischen den Hochschulen nahelegen. Die Hochschullandschaft des Landes NRW fällt dadurch auf, dass an vielen Standorten mehrere Hochschulen existieren. Auch vor den letzten Gründungen von Fachhochschulen, die die Zahl extrem kleiner Einrichtungen nochmals vermehrt hat, waren die Größenunterschiede zwischen diesen Einrichtungen beträchtlich. Andererseits ist festzuhalten, dass in weiten Teilen des Landes – deutlich über das Ruhrgebiet hinaus – die einzelnen Standorte oft extrem nahe aneinander liegen.

In dieser Situation sind einige technische Feststellungen zu treffen:

1. Die Bereitstellung einer allgemeinen inhaltsagnostischen IT-Infrastruktur für eine Hochschule, aber auch die allgemeineren Komponenten der darauf aufbauenden Einrichtungen, wie etwa eines Bibliotheksverwaltungssystems, setzen eine gewisse Mindestgröße voraus. Jede derartige Problemlösung erfordert ein Qualifikationsbündel, das in der Regel nur durch eine Mindestanzahl von Mitarbeitern realisiert werden kann. Andererseits kann der tatsächliche Betreuungsbedarf einer kleinen Einrichtung jedoch so niedrig sein, dass diese Mitarbeiter in Wirklichkeit keineswegs ausgelastet sind. Sowohl die Vorstellung in einem Bereich gut qualifizierte Mitarbeiter zeitfüllend in einem anderen Bereich, für den sie nicht ausgebildet sind, zu beschäftigen, als auch die Vorstellung an einer kleinen Einrichtung wichtige Funktionen nicht zu besetzen, liegen zwar nahe, führen aber bestenfalls zur Ineffizienz, in der Regel wohl dazu, dass manche Aufgaben einfach nicht wahrgenommen werden. Bei zunehmender Komplexität der notwendigen Basisdienstleistungen wird dieses Problem von Einrichtungen unterkritischer Größe noch zunehmen.

2. Die Identifikation einer gemeinsamen IT-Infrastruktur, auf der die einzelnen Sparten der informationsverarbeitenden Einrichtungen einer Hochschule aufsetzen, legt natürlich nahe, auf der Basis des erwähnten Cloud Computing Paradigmas diesen Bereich sukzessive per Outsourcing gänzlich aus den Hochschulen zu entfernen. Da dies auf jeden Fall ein längerer Prozess wäre, würde er das eben beschriebene Problem aber potentiell noch verschärfen: Werden einzelne Dienste sukzessive ausgelagert, so sinkt zunächst die Auslastung der Fachmitarbeiter; es wäre aber unrealistisch anzunehmen, dass sie unmittelbar überflüssig würden, da verschiedene Probleme der Einbindung zugekaufter Ressourcen in die von den Anwendern betriebenen Informationssysteme verbleiben.

3. Schließlich besteht die Vorstellung, dass die Gesellschaft und Wirtschaft der nächsten fünfzehn Jahre von der Informationstechnologie geprägt sein werden. Hierdurch wird gleichzeitig der Wunsch gefördert, dass die Hochschulen jene Gebiete besonders beeinflussen, die die Zukunft der von ihnen Auszubildenden prägen. Daraus folgt der Bedarf, dass die Hochschulen – und zwar wesentlich stärker als bisher – nicht nur als Konsumenten von Informationsdienstleistungen auftreten mögen, sondern die Entwicklung der Informationstechnologien aktiv beeinflussen und prägen. Die Erfüllung dieses Bedarfs kann nur gelingen, wenn die von ihnen verwendete IT-Infrastruktur so nahe an den universitären Endnutzern verwaltet wird, dass die Einbindung neuer und innovativer Informationstechnologien, die aus der Arbeit der Hochschulen entstehen, möglichst erleichtert wird.

Diese drei Voraussetzungen werden u.E. nach am besten durch eine Struktur gefördert, in der die gemeinsame IT-Infrastruktur, auf der die Informationsdienstleistungen der Hochschulen aufbauen, sukzessive von einem institutions- auf ein standortorientiertes Modell umgestellt werden. Als „Standort“ verstehen wir dabei einen regionalen Einzugsbereich dessen Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen räumlich so nahe beieinander liegen, dass eine persönliche Konsultation zwischen Infrastrukturmitarbeiter und Endkunde an einer dieser Hochschulen innerhalb ein und desselben Tages ohne aufwändige Terminabsprachen oder Reiseplanungen möglich ist. Nach diesem Modell, das die Grundkonzeption „Wettbewerb durch effektivere Nutzung öffentlicher Infrastruktur“ praktisch umsetzt, sollten also z.B. Universität und Fachhochschule eines zentralen Ortes – ggf. zusammen mit den spezialisierten Kunst- o.ä. Hochschulen desselben Ortes – und die entsprechenden Einrichtungen des unmittelbaren Umlandes durch eine gemeinsame Einrichtung bedient werden. Diese Einrichtung deckt in der Anfangsphase z.B. die gemeinsame Wartung der Netze der genannten Einrichtungen ab, alsoe stellt Ihre eMail und die Backup-Dienste sicher und übernimmt später zusätzliche Aufgaben gemeinsamer Infrastruktur, bis hin zur Bereitstellung weitgehend virtualisierter Hardwareleistung. Ob und wann diese aus dem unmittelbaren Kontext der einzelnen Einrichtungen gelösten Infrastruktureinrichtungen dann ihrerseits Dienstleistungen eines Cloud-Anbieters in Anspruch nehmen und an die von ihnen bedienten Einrichtungen weitergeben, kann später entschieden werden.

Dies scheint uns insbesondere auch wegen der oben postulierten Notwendigkeit wichtig, Informationsinfrastrukturen der Hochschulen in Zukunft hoch verfügbar zu betreiben. Ohne hier die insgesamt aufwändigen Vorkehrungen für die Hochverfügbarkeit von Systemen im Einzelnen diskutieren zu wollen, ist eine der offensichtlicheren Vorkehrungen für die Hochverfügbarkeit die, die verantwortlichen Teile der Infrastruktur zu doppeln, also in die Lage zu kommen, bei Ausfall eines Rechnersystems ein im Standby betriebenes zweites als Ersatz zuschalten zu können, was etwa im Bereich kommunaler Rechenzentren, die aus gutem Grund in der Regel nicht von einzelnen Kommunen, sondern von Gruppen von Kommunen betrieben werden, durchaus üblich ist.

An sämtlichen Hochschulen des Landes die Hardwareausstattung der Rechenzentren zu doppeln, wäre offensichtlich nicht finanzierbar und in dieser Form auch nicht notwendig: Fällt ein forschungsorientiertes System – etwa ein Hochleistungscluster – vorübergehend aus, so ist dies zwar unerfreulich, betrifft aber keinen Teil der Infrastruktur, dessen Hochverfügbarkeit systemkritisch ist. Die Doppelung müsste also jene Teile der Infrastruktur für die Informationsversorgung betreffen, die wir im Abschnitt 2.2. als Basisinformationsinfrastruktur, unterschieden von den Anforderungen wissenschaftlichen Rechnens, identifiziert haben.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass es kurzsichtig wäre, dies als eine Schwächung kleinerer Einrichtungen anzusehen. Abgesehen davon, dass wir im Abschnitt 2.3.2 Kooperationsmodelle aufzeigen, die der Gefahr einer Dominanz größerer Einrichtungen über kleinerer, für die sie Leistungen miterbringen, begegnen, halten wir gerade für die kleineren Hochschulen dies Modell für vorteilhaft: Erlaubt es den Studenten und Studentinnen doch, Hochschule ausschließlich auf Grund des Angebotes an Studiengängen und Betreuungsqualität zu wählen, und nicht auf der Basis der finanziellen Möglichkeit einer Hochschule für die Bereitstellung von Informationsinfrastrukturen. Dieses Argument wird in den Szenarien im Abschnitt 2.6 weiter ausgeführt.

Je größer die Erwartungen an die Mindestausstattung mit informationstechnischen Infrastrukturen wird, desto mehr wird es gerade für die kleineren Einrichtungen heißen: Kooperieren oder Kollabieren.

Empfehlungen für die weitere Entwicklung der Wissenschaftlichen Informationsversorgung des Landes NRW

Подняться наверх