Читать книгу Empfehlungen für die weitere Entwicklung der Wissenschaftlichen Informationsversorgung des Landes NRW - Manfred Thaller - Страница 8

2.1.3. Trend III: Bereitstellungsmedium

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Fragt man heute nach der Bedeutung digitaler Angebote im Bereich wissenschaftlicher Publikationen, wird stets darauf verwiesen, dass dies stark von der Disziplin abhänge. Dabei wird meist prognostiziert, dass es in den jetzt weniger technologie-affinen Fächern, insbesondere den Geisteswissenschaften noch lange dauern werde, bis die Bereitstellung von Information in digitalen Zeitschriften und insbesondere Medien herausragende Bedeutung gewinnen werde.

Dass die digitalen Informationsmedien in den Natur- und Ingenieurwissenschaften, bei denen ältere Zeitschriften und Nachschlagewerke sehr rasch obsolet werden, schon sehr fortgeschritten ist, ist unübersehbar. Bei den dieser Studie u.a. zu Grunde liegenden Besuchen ausländischer Bibliotheken fiel auf, dass beispielsweise in der Bibliothek der technischen Universität Dänemarks3 Printmedien de facto verschwunden sind.

Diese in der hochschulinternen Diskussion vorgenommene Kontrastierung zwischen den Naturwissenschaften einer- und den Geisteswissenschaften andererseits, übersieht unseres Erachtens nach jedoch eine ganze Reihe von Trends, oder bewertet sie systematisch unter.

Beim Besuch gerade international bekannter öffentlicher Bibliotheken, auch und besonders des Auslandes, fällt auf, dass dort die digitalen Angebote für die Öffentlichkeit mittlerweile sehr viel stärker wahrgenommen werden, als die Printmedien. Das typische Bild einer öffentlichen Bibliothek des Auslandes zeigt eng besetzte Bildschirmarbeitsplätze und Bücherregale, zwischen denen Leere herrscht. Dies hat unzweifelhaft damit zu tun, dass nach unserem Eindruck die öffentlichen Bibliotheken des Auslandes mittlerweile in sehr hohem Maße eher als soziale Einrichtungen, denn als Bibliotheken im bisherigen Sinne wahrgenommen werden (Vgl. Kapitel 6 und 12) es zeigt aber doch auch, dass die digitale Vermittlung von Information auch im privaten Bereich, bei dem die rasche Vermittlung keineswegs den Stellenwert hat, wie in den Naturwissenschaften, mittlerweile mindestens genauso wichtig ist, wie die über Printmedien – und in manchen Ländern diese überholt zu haben scheint.

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Initiative von Google zur systematischen Digitalisierung älterer Literatur mittlerweile ein Ausmaß erreicht hat, das nicht mehr vernachlässigt werden kann. Bei Hochrechnung der derzeitigen Trends, die sich auf Bibliotheken stützten, die zwischen sich nahezu die gesamte gedruckte Überlieferung abdecken, ist es unzweifelhaft, dass die Printmedien vor 1900 bis zum Jahre 2020 vollständig in digitalisierter Form vorliegen werden, abzüglich von Inselbeständen, bei denen betreuende Fachbibliothekare im Interesse der Erhaltung der eigenen Funktion die Digitalisierung verhindern werden. Es ist relativ schwer vorstellbar, dass der Widerstand der Verlage angesichts dieser Situation die Digitalisierung der Bestände zwischen 1900 und heute auf Dauer verhindern kann. Wofür es deutliche Anzeichen gibt: Der Verlag de Gruyter ist nachhaltig in die Bereitstellung von eBooks eingestiegen.4 Wichtiger aber noch, der Verlag stellt in Eigeninitiative das gesamte Verlagsprogramm rückwirkend in digitalisierter Form zur Verfügung:

„De Gruyter macht mehr als 50.000 hochwertige Titel aus über 260 Jahren Verlagsgeschichte verfügbar. Die Titel sind sowohl elektronisch (nur für Bibliotheken und Institutionen) als auch als Hardcover Reprint erhältlich. Falls eine Retrodigitalisierung notwendig ist, ist der gewünschte Titel in maximal 10 Wochen lieferbar“.5

Dies scheint uns vor allem deshalb signifikant, da de Gruyter zweifellos einer der Verlage ist, der von der öffentlichen Mehrfachsubventionierung hochwertiger geisteswissenschaftlicher Literatur in der Bundesrepublik mit am meisten profitiert hat. (Also dem System aus Steuermitteln erstellte wissenschaftliche Ergebnisse mit aus Steuermitteln stammenden Druckkostenzuschüssen zu publizieren, um die entstehenden ungemein hochpreisigen Publikationen anschließend ganz überwiegend durch aus Steuermitteln getragene wissenschaftliche Bibliotheken erwerben zu lassen.) Dass selbst hier die Bedeutung der digitalen Bereitstellung erkannt wird, halten wir für eines der wichtigsten Anzeichen der letzten Jahre für die Durchsetzung der digitalen Bereitstellung von Publikationen.

Schließlich ist unübersehbar, dass in den letzten beiden Jahren die Bereitstellung von eBooks auf dedizierten Lesegeräten in erheblichem Maße zugenommen hat. Obwohl diese Geräte nach wie vor offensichtliche Schwächen haben, scheint ihre Verwendung deutlich zuzunehmen (Verkaufszahlen potentieller Statussymbole scheinen uns im derzeitigen Stadium dieser Technologie weniger wichtig).

Trotzdem erscheint uns die Technologie der dedizierten eBook-Lesegeräte an sich nur ein – und keinesfalls der wichtigste – Aspekt des allgemeinen Trends. Ihrer Natur nach höchst allgemeine Geräte – deren Markt dem für PCs oder Videoplayer entspricht – werden fast mit Sicherheit nur als unterschiedliche Realisierungen einer gemeinsamen Basistechnologie ihr Potential ausschöpfen können. Die derzeitige Phase miteinander konkurrierender Plattformen für wechselseitig inkompatible eBook-Formate entspricht offensichtlich der Phase der zweiten Hälfte der 1980er Jahre bei der Etablierung von Standards für die Arbeitsplatzrechner. Eine Marktbereinigung steht also noch bevor.

Diese Technologie steht aber auch deshalb nicht im Zentrum unserer Überlegungen, weil unserem Erachten nach sehr scharf zwischen dem bevorzugten Medium für die Informationsbereitstellung und dem für die Informationsaufnahme zu unterscheiden ist.

Die Digitalisierung der Texte ist ein wichtiger Faktor für die weitere Entwicklung der Vertriebswege von Textpublikationen – und die Aussicht, bei einer Reise in einem einige hundert Gramm schweren Medium den Inhalt von einigen hundert für das augenblickliche Forschungsprojekt relevanten wissenschaftlichen Texte mit sich zu führen, hat offensichtlich das Potential den wissenschaftlichen Arbeitsprozess ebenso stark zu beeinflussen, wie die ständige Verbindung des mitgeführten Laptops mit den Internet. Nichtsdestoweniger haben wir erhebliche Zweifel, wieweit papiergebundene Information in den nächsten fünfzehn Jahren durch nicht-papiergebundene bei der Verwendung durch Benutzer oder Benutzerin vollständig ersetzt werden kann.

Der Grund dafür liegt in der Konfiguration typischer Arbeitsplätze. Beim Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten sind Verfasser oder Verfasserin üblicherweise von einer Vielzahl von Texten umgeben. Der Arbeitsplatzrechner, in dem der eigene Text geschrieben wird, steht dabei meist in der Mitte und ist von mehr oder minder zahlreichen sekundären Texten umgeben, aus denen die verwendeten Informationen übernommen werden, etwa folgendermaßen:


Abbildung 1: Blickachsen zwischen einzelnen Informationsträgern

Das bedeutet, dass die sekundären Materialien, aus denen die Informationen entnommen werden, die in das neu zu produzierende Dokument integriert werden, im Idealfall so ausgerichtet werden, dass die Dokumente jeweils parallel zur Blickrichtung des Arbeitenden liegen (der seinen Kopf, ohne die Körperposition zu ändern, dem jeweils benötigten Stück zuwendet). Im Idealfall: Dass viele Dokumente nicht in der Idealposition liegen können, weil man versuchen muss, sie so zu arrangieren, dass eine Vielzahl davon gleichzeitig möglichst vollständig aufgedeckt ist, trifft zu; dass es eine Reihe von Disziplinen gibt, bei denen Informationen direkt am Bildschirm integriert werden müssen, weil sie schlecht oder gar nicht ausdruckbar sind (z.B. Simulationen von Prozessen, von denen für naturwissenschaftliche Studien Zahlenwerte abgelesen werden, oder Proto-Datenbanken, die in manchen geisteswissenschaftlichen Disziplinen den Zettelkasten ersetzt haben), ebenfalls.

Grundsätzlich stellt dieses Szenario dem Versuch, Informationen ausschließlich aus nicht-papiergebundenen Medien für die eigene Arbeit abzulesen, aber ein zweistufiges Hindernis entgegen.

Einerseits besteht der große Vorzug der derzeitigen Generation der Lesegeräte darin, dass es möglich ist, viele, ja sehr viele, Bücher mittels eines Displays mit sich führen zu können. Der Versuch, diese Texte gleichzeitig im Blick zu behalten würde jedoch erfordern, dass eine größere Anzahl derartiger Geräte parallel im Einsatz wäre – was zumindest kurzfristig weniger wahrscheinlich ist. Langfristig wird sich dies wohl dadurch lösen, dass der Arbeitsplatz der Zukunft zur Gänze mit einer hochauflösenden Präsentationsoberfläche bedeckt ist, auf der die relevanten Seiten dann mit einer an das jetzige iPhone angelehnten Verschiebelogik „übereinander“ oder nebeneinander positioniert werden können. Dies erwarten wir aber frühestens zum Ende der hier diskutierten Planungsperiode: Wie aus dem oben stehenden Blickachsenargument ablesbar, wäre es dazu notwendig, die Seiten stufenlos rotieren zu können. Zumindest bei Rasterbildern führt aber jede nicht orthogonale Rotation zu einer sofortigen Verschlechterung der Bildqualität, wegen der Notwendigkeit zusätzliche Bildpunkte zu interpolieren, was erst bei einem Umstieg auf sehr deutlich höhere Auflösungen nicht mehr bemerkbar ist. Dass die Endgeräte gleichzeitig eine massive Zunahme der Größe der Projektionsfläche und eine massive Erhöhung der Auflösung erleben werden, ist für uns derzeit nicht erkennbar.

Wir weisen allerdings darauf hin, dass diese Frage für die weitere Entwicklung der Informationsversorgung relativ wenig Relevanz hat: Entscheidend ist nicht, ob die jetzt in gedruckten Publikationen beim Endverbraucher ankommende Information gedruckt oder bei ihm auf dem Bildschirm dargestellt wird. Tendenzen hin zur immer stärkeren Verschmelzung von Druck- und Kopierausstattung machen es sehr wahrscheinlich, dass die Kosten des Ausdrucks auch großer Textmengen, bis hin zur dezentralen Erstellung gebundener Texte als Print-on-Demand, nochmals deutlich abnehmen werden. Ob die Information auf Papier oder am Bildschirm konsumiert wird, sollte dem Endnutzer überlassen bleiben: Aufgabe der Informationsversorgung – und damit alleinig relevant für deren Planung – ist, dafür zu sorgen, dass sie bei ihm ankommt. Und dass dies noch in wesentlich höherem Maße als heute digital geschehen wird, ist eindeutig absehbar.

Ein interessantes Ergebnis der Interviews mit Informationseinrichtungen in der ersten Phase dieser Studie ist der – allerdings bei unstrukturierten, freien Interviews nicht quantitativ präzise festmachbare – Eindruck, dass auf die Frage, welche Bedeutung Print- vs. Nonprint-Medien im Jahre 2025 nach Ansicht der Interviewpartner haben würden, Personen die diese Entwicklung mit Unruhe oder negativ zu bewerten schienen, tendenziell einen höheren Nonprint-Anteil annahmen, als Personen die dieser Entwicklung eher positiv gegenüberstanden.

Unseres Erachtens besteht die primäre Aufgabe der bibliothekarischen Komponenten der Informationsversorgung der Hochschulen im Jahre 2025 also in der Bereitstellung digital transportierter Informationsobjekte.

Einwände von Seiten hierarchisch hochstehender Angehöriger der Universitäten, die die Bedeutung der Haptik des Mediums für seine Rezeption und Interpretation betonen, sollten nicht ernst genommen werden: Sie beruhen üblicherweise auf Arbeitssituationen, wo die Informationsversorgung de facto durch studentische Hilfskräfte durchgeführt wird, ein direkter Kontakt mit dem praktischen Ablauf der Informationsversorgung also nur bedingt gegeben ist. Insoweit erinnert die Diskussion frappierend an die Debatten der 1980er Jahre über den Wert der Textverarbeitung in der Wissenschaft, bei dem die retardierenden Argumente – auf intellektuell durchaus hohem Niveau – üblicherweise von hierarchisch hochstehenden Angehörigen der Universitäten vorgebracht wurden, bei denen druckreife Typoskripte in frühen Karrierephasen durch Ehefrauen und in späteren durch Sekretariate angefertigt wurden.

Zusammenfassende These: Während auch das Büro des Jahres 2025 nicht papierlos sein wird, wird die auf dem Papier stehende Information nahezu ausschließlich digital in das Büro transportiert. Einrichtungen, die die Informationsbereitstellung an einem von einem anderen Präsentationsmedium abgeleiteten Paradigma ausrichten werden als liebenswerte, aber nicht alltagstaugliche, Relikte wahrgenommen.

Empfehlungen für die weitere Entwicklung der Wissenschaftlichen Informationsversorgung des Landes NRW

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