Читать книгу Empfehlungen für die weitere Entwicklung der Wissenschaftlichen Informationsversorgung des Landes NRW - Manfred Thaller - Страница 23

2.4.4. NRW 2025: eLearning als Selbstverständlichkeit

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Die Beurteilung der zukünftigen Möglichkeiten von eLearning innerhalb der Lehre der Hochschulen und daraus folgend, der Notwendigkeit der Unterstützung von eLearning durch spezielle Einrichtungen der hier zu diskutierenden Infrastrukturen, wird dadurch etwas schwierig, als derzeit mindestens vier Konzepte von eLearning gebräuchlich sind.

1. Einerseits wird die prinzipielle Bereitstellung digitaler Ressourcen, die der Lehre dienen – seien es digitale Lehrbuchsammlungen, seien es Beamer, die den Overheadprojektor im Seminarraum ersetzen – als Unterstützung des eLearning verstanden.

2. Andererseits wird eLearning als Label für die Organisation der Kommunikation innerhalb der Lehre verstanden: Koordination des Mailaustausches zwischen Lehrenden und Studierenden, Bereitstellung von Seminarunterlagen, Seminarpapieren und entstehenden Arbeiten im Internet, Diskussionen über die Themen zwischen den Studierenden einer-, den Studierenden mit den Lehrenden andererseits, ergänzt durch die Möglichkeit gemeinsam an Dokumenten zu arbeiten.

3. Die Verwendung von automatischen Systemen zur Unterstützung der Studierenden einerseits, der Lehrenden andererseits: Hier denken wir an Vokabeltrainer, Lückenergänzungssysteme in Texten und Ähnliches auf Seite der Studierenden, Systeme bei der automatischen Korrektur etwa von Multiple Choice Klausuren auf Seite der Lehrenden.

4. Schließlich gibt es den Bereich der autonomen Lehrsysteme, seien es MMOGs, Serious Games oder eine der vielen anderen Varianten.

Unsere Beurteilung der Unterstützung des eLearning durch dedizierte Einrichtungen wird auf diesen vier Ebenen durch folgende Überlegungen begründet:

(ad1) Die Bereitstellung digitaler Inhalte für die Lehre ist von der grundsätzlichen Verfügbarmachung digitaler Ressourcen innerhalb der informationstechnischen Gesamtstruktur nur schwer zu unterscheiden. Expliziter Bedarf für eine Förderung des eLearning in diesem Bereich kann nur entstehen, wenn die informationstechnische Infrastruktur einer Hochschule insgesamt schwere Defizite aufweist.

(ad2) Die Vorstellung, dass eLearning vor allem durch die systematische Unterstützung der Kommunikationsprozesse zwischen Lehrenden und Lernenden geprägt werde, stellt wohl die derzeitige Mehrheitsmeinung an den Hochschulen dar. Bei Betrachtung des Leistungsumfanges der augenblicklich im Vordergrund stehenden Systeme, vornehmlich ILIAS und Moodle, ist es aber bereits jetzt relativ schwierig zu erkennen, worin der spezifische Mehrwert dieser Systeme gegenüber der kompetenten Verwendung von Wiki-Systemen, Blogs oder anderen Plattformen aus dem Bereich der sozialen Software – u.a. Google, Facebook – eigentlich besteht. Und mit dem rapiden Ausbau der Funktionalität dieser Systeme ist es schwer vorstellbar, warum sich dieser Abstand in Zukunft vergrößern sollte. Die Organisation gruppenbasierter Kommunikation und die gegenseitige Bereitstellung digitaler Ressourcen definieren die sozialen Netzwerke.

Dennoch scheint uns aus heutiger Sicht die Notwendigkeit der systematischen Förderung des Einsatzes dieser Werkzeuge an den Hochschulen durch geeignete Stabsstellen unbestreitbar: Dies ist jedoch nicht der technischen Komplexität dieser Anwendungen geschuldet, sondern der Tatsache, dass wir davon ausgehen, dass Hochschullehrer mindestens der Geburtsjahrgänge 1960 und früher, in manchen Fächern wohl noch 1970 und früher, im Sinne des funktionalen Analphabetismus funktional computer-illiterat sind. Dies heißt nicht, dass die Fähigkeit zur elektronischen Kommunikation nicht bestünde: Aber so wie es für einen funktionalen Analphabeten eines bewussten Aufwandes bedarf, Buchstaben zu Sätzen und deren Informationsgehalt zusammen zu setzen, während eine voll literate Person den Inhalt der in einem öffentlichen Verkehrsmittel neben ihr gelesenen Zeitung unbewusst und unabsichtlich mit rezipiert, sind für einen voll computer-illiteraten Hochschullehrer die Möglichkeiten allgemeiner Softwaresysteme für die Kommunikation und die Bereitstellung von Information ohne bewusste Anstrengung zugänglich, für einen funktional computer-illiteraten nicht.

Aus dieser Einschätzung heraus ergibt sich die Empfehlung, an den Hochschulen den mittelfristigen Schwerpunkt auf die Einrichtung möglichst integrierter allgemeiner Informationsplattformen zu legen. Wir empfehlen darüberhinaus, dedizierte eLearning-Systeme aus dem Kommunikationsunterstützungsparadigma dagegen als transientes Phänomen zu betrachten, dessen Bedeutung mit dem Nachrücken jüngerer Jahrgänge in die Reihen der Hochschullehrerschaft deutlich sinken wird. Die Betreuung dieser transienten Systeme sollte also in die allgemeine Betreuung des im Abschnitt 4.2.1. definierten „Allgemeinen Informationszuganges“ möglichst eng integriert werden, sodass die Beschäftigten sukzessive andere Aufgaben übernehmen können, wenn die Bedeutung der transienten Systeme abnimmt. In vieler Hinsicht führt diese Betonung integrierter allgemeiner Informationsplattformen das Argument für die Existenz spezieller eLearning-Zentren, durch diese entstehe dadurch, dass alle eLearning-relevanten Kenntnisse und Ressourcen an einer Stelle „versammelt bzw. vereint“ würden weiter, geht aber darüber hinaus.

(ad 3 und 4) Dass erhebliches didaktisches Potential in den angeführten Ansätzen enthalten ist, soll in keiner Weise bestritten werden. Wir können jedoch nicht umhin, folgende Beobachtungen zu treffen:

a) Vokabeltrainer und vergleichbare Systeme tauchen in den einschlägigen Diskussionen seit den 1980er Jahren auf. Dass sie sich zwischenzeitlich nicht stärker durchgesetzt haben, legt nach den von uns im Abschnitt 4.1.1. beschriebenen Grundsätzen für die Bewertung technischer Trends nahe, dass ihr Stellenwert sich in den nächsten fünfzehn Jahren nicht gravierend ändern wird – es sei denn, dass sie als von den Hochschulen unabhängige Werkzeuge in das Verlagsangebot eingehen werden, wofür es unbestreitbare Anzeichen im Grundschulbereich gibt. In diesem letzteren Fall wird ihre Besorgung jedoch Bestandteil der grundsätzlichen (bibliothekarischen) Ressourcenbeschaffung sein.

b) MMOGs (Massively Multiplayer Online Games) als didaktische Plattform sind unstreitig relativ neu; die didaktischen Grundsätze bei ihrer Verwendung scheinen uns jedoch direkt auf die ursprünglichen Idee des didaktischen Einsatzes von MUDs (Multi User Dungeons) zurückzugehen, die ebenfalls bereits aus den frühen Internet Tagen stammt.

c) Serious Game sind in wesentlichen Punkten neuer, das Kriterium der „langen Nichtdurchsetzung“ stellt sich bei ihnen daher nicht. Vor allem mit (b) sind sie aber doch hinreichend verwandt, dass wir Zweifel an einer rapiden Durchsetzung haben. Allgemein sind bei unserer Empfehlung „Integration der Unterstützung für die kommunikativen eLearning-Paradigmen in die allgemeinen Hochschulplattformen, Betrachtung darüber hinausgehender eLearning-Ansätze als Forschungsparadigmen“ noch insbesondere zwei Beobachtungen wichtig:

i) Gegenwärtig ist – wohl auch aufgrund weniger glücklicher Erfahrungen mit früheren Förderinitiativen – das eLearning als solches bei vielen Hochschulleitungen diskreditiert. Zitat einer für die eLearning-Unterstützung verantwortlichen Mitarbeiterin:

„Als ich vor anderthalb Jahren anfing, durften wir den Begriff eLearning gegenüber der Hochschulleitung gar nicht verwenden, wenn wir beachtet werden wollten. Wir haben daher zunächst ausschließlich vom ‚Medieneinsatz in der Lehre‘ gesprochen. Mittlerweile vertraut man uns aber soweit, dass wir gelegentlich auch wieder von eLearning sprechen.“23

ii) Sehr auffällig ist auch die Praxis der FernUniversität Hagen: Einerseits ist die Hochschule eine bekannte Anlaufstelle für die Forschung im Bereich eLearning. In der Praxis ist die FernUniversität, die auf Grund der nicht-Präsenz ihrer Studierenden eigentlich für netzbasierte Didaktiken prädestiniert wäre, aber offensichtlich sehr konservativ: So ist der gedruckte Studienbrief nach wie vor mit Abstand das wichtigste Fernlehrmittel. Eine detaillierte Untersuchung der Gründe dafür liegt aber jenseits des Bereichs dieser Studie. Eine naheliegende, empirisch nicht geprüfte, Vermutung wäre, dass Fernstudierende wohl tendenziell älter sind, als die Studierenden der Präsenzuniversitäten, daher weniger netzaffin und dem eLearning weniger zugänglich. Dennoch halten wir die beschriebene Praxis der FernUniversität für ein gewichtiges Argument gegen die Annahme, dass anspruchsvollere eLearning-Ansätze sich rasch durchsetzen werden.

Zusammenfassend legen diese Beobachtungen für uns nahe, dass für eine nicht näher bestimmbare Zukunft die fortgeschritteneren Formen des eLearning eine Aufgabe für die didaktische Forschung, nicht für die Infrastruktureinrichtungen der Hochschulen bleiben.

Diese Überlegungen sprechen klar gegen die Schaffung dedizierter eLearning-Einrichtungen. Dies halten wir systematisch für sinnvoll.

Sowohl bei der Diskussion der vorlegten Thesen im April 2010, als auch in nachfolgenden weiterführenden Diskussionen, wurde jedoch mehrmals – ohne Widerspruch anwesender Vertretern von Hochschulbibliotheken – in Anspruch genommen, dass eine getrennte Organisation des eLearning Supports notwendig sei, da hier eine wesentlich engere Betreuung der Lehrenden erforderlich sei, als dies durch die Hochschulbibliotheken zu leisten sei. Einerseits, weil hier die Notwendigkeit der sofortigen Reaktion auch außerhalb der Regelarbeitszeit notwendig sei, die einer Hochschulbibliothek nicht zuzumuten sei, andererseits, weil hier eine direktere Betreuung von Lehrenden erforderlich sei, die ein spezielles Vertrauensverhältnis, etwa durch die Umsetzung innerhalb einer Fakultät, notwendig mache.

Beide Argumente halten wir für systematisch höchst bedenklich: Wenn die angewandten eLearning-Techniken so instabil sind, dass sie die Betreuung ihrer Benutzer rund um die Uhr verlangen, sind sie für den Regelbetrieb eigentlich nicht geeignet. Wenn die Angehörigen einer Universität davon ausgehen, dass Bibliotheksmitarbeiter nach 17 Uhr grundsätzlich nicht erreichbar seien und man daher neue Aufgaben, um keine Ansteckung durch dieses Verhalten zu riskieren, außerhalb der Einrichtungen aufbauen müsse, ist die langfristige Eignung der betreffenden Bibliotheken als infrastruktureller Dienstleister in Frage zu stellen. Ähnliches gilt für die Behauptung eines notwendigen Vertrauensverhältnisses.

Dies sind ernste, strukturelle Probleme, die unseres Erachtens mit belegen, dass eine stärkere Trennung zwischen der Bereitstellung von Informationsressourcen im Hintergrund und der benutzerzentrierten Beratung bei deren Anwendung wichtig und erstrebenswert sind.

Andererseits scheint die beklagenswerte Diagnose konsensfähig und auch unsere Vorstellung, dass die Unterstützung bei der Einführung von eLearning-Verfahren letzten Endes in hohem Maße der gesichtswahrenden Überwindung von Defiziten beim Umgang mit den Informationstechniken bei höherrangigen Hochschulangehörigen dient, legt besondere psychologische Bedingungen natürlich nahe.

Wir leiten daraus für diesen Bereich folgende Gesamtempfehlungen ab:

1. Auch für den eLearning-Bereich gelten die Empfehlungen aus Abschnitt 2.2.2. Jede Fördermaßnahme ist an die Bedingung zu knüpfen, dass die zu fördernde Hochschule Strukturen für die IuK Techniken insgesamt hat, die die Integration von Einzelmaßnahmen in eine Gesamtstrategie der Hochschule gewährleistet. Auch eLearning-Initiativen sind ohne eine solche Gesamtstrategie nicht förderfähig.

2. Grundsätzlich ist zwischen der Förderung von eLearning-Forschung und dem Aufbau von eLearning-Infrastrukturen zu unterscheiden. Von Forschungsprojekten sind keine unmittelbar den Regelbetrieb der Lehre in einer großen Zahl von Fächern betreffenden Einzelergebnisse zu erwarten.

3. Beim Aufbau von eLearning-Infrastrukturen ist auf die Nachhaltigkeit der zu fördernden Initiativen zu achten. Hier hat die Vergangenheit gezeigt, dass Förderungen durch das Land, bei denen 90 % der Kosten übernommen werden, üblicherweise dazu führen, dass die Strukturen nach Abschluss der Förderung kollabieren, unbeschadet von Seiten der Hochschulleitung in den Förderanträgen gemachter Zusagen, die ja grundsätzlich unter dem Haushaltsvorbehalt stehen, also eigentlich bedeutungslos sind. Ohne Einzelheiten hier festlegen zu können, wird empfohlen künftige Förderprogramme so anzulegen, dass bei mindestens zwei zeitlich versetzten Förderrunden in der ersten Förderrunde eine Kostenübernahme für einen deutlich geringeren Prozentsatz übernommen wird, z.B. 40 %, der in der zweiten und allen folgenden Förderrunden kontinuierlich abnimmt.

4. Für eine Übergangsphase bis zum Jahre 2016 können als Träger der eLearning-Förderung Einrichtungen auftreten, die ausschließlich diesem Zweck dienen. Danach sind eLearning-Förderprogramme so aufzulegen, dass nur Hochschulen antragsberechtigt sind, welche über eine eLearning-Infrastruktur verfügen, die eine klare langfristige Verankerung der organisatorischen eLearning-Einrichtungen innerhalb der Gesamtstruktur wissenschaftlicher Informationsversorgung, im Regelfall der Universitätsbibliothek, vorsehen.

Empfehlungen für die weitere Entwicklung der Wissenschaftlichen Informationsversorgung des Landes NRW

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