Читать книгу Empfehlungen für die weitere Entwicklung der Wissenschaftlichen Informationsversorgung des Landes NRW - Manfred Thaller - Страница 24
2.4.5. NRW 2025: Open Access als Selbstverständlichkeit
ОглавлениеProjektionen über die Zukunft der Open Access Veröffentlichungsformen sind vermutlich von allen mit der Informationstechnik verbunden Zukunftsprojektionen die schwierigsten. Dies liegt einerseits darin, dass die Aussagen zu diesem Bereich am stärksten von weltanschaulichen Grundpositionen gekennzeichnet sind. So ergab sich in einem der Interviews auf denen diese Studie zum Teil beruht, die merkwürdige Situation, dass vom Gesprächspartner die Grundannahme, technische Trends seien für fünfzehn Jahre einigermaßen plausibel vorhersehbar, zwar beinahe in Minutenabständen angegriffen wurde; als die Interviewerin dann die Frage stellte, wieweit der Gesprächspartner glaube, dass sich Open Access im Jahre 2025 durchgesetzt haben werde, führte dies zum Vorwurf fachlicher Inkompetenz, „Denn dass Open Access der Weg der Zukunft ist, das glauben wir nicht, das wissen wir!“
Abgesehen von diesen emotionalen Überlagerungen, die eine nüchterne Bewertung erschweren, ist die Open Access Diskussion allerdings vor allem dadurch erschwert, dass viele Diskussionsbeiträge davon ausgehen, dass „die Verlage“, bzw. deren Politik, eine unveränderliche Größe sei. Dies stimmt so sicher nicht.
Festzuhalten ist ferner, dass auf eher ideellem Niveau operierende Argumentationen, wodurch Open Access Informationsmonopole im Sinne einer Kontrolle potentiell orthodoxer und doktrinärer Wissenschaftsschulen unterlaufen könne, u.E. nach blauäugig sind: Jedes Publikationsmodell, das einen Qualitätssicherungsprozess vorsieht, kann durch ranghohe Beteiligte, die die eigenen Lehrmeinungen als nicht hinterfragenswert betrachten, zerstört werden. Dass Kuhns Satz, wissenschaftliche Paradigmen würden nicht widerlegt,24 ihre Vertreter stürben schließlich aus, sich auf eine völlig prä-globalisierte Verlags- und Wissenschaftslandschaft bezieht, wird gerne vergessen.
Trotzdem kann auf viel pragmatischerer Ebene nicht übersehen werden, dass ein Geschäftsmodell, in dem Verlage mit Steuermitteln erarbeitete Forschungsresultate publizieren, die mit weiteren Steuermitteln wieder erworben werden, im Interesse des Steuerzahlers keineswegs selbstverständlich sein darf und nur dann hinzunehmen ist, wenn es nachweislich insgesamt zu effektiver Mittelverwendung führt. Die Politik der deutschen Wissenschaftsorganisationen, die Empfänger öffentlicher Forschungsgelder zu verpflichten, ihre Ergebnisse mindestens auch frei verfügbar zu publizieren, ist u.E. daher unstreitig vollinhaltlich zu begrüßen. Der Eindruck, dass Informationen in der Sicht wissenschaftlicher Großverlage des 21. Jahrhunderts zu einem spekulativen Profitobjekt geworden sind, wie andere Rohstoffe auch, ist auch für Gutwillige kaum zu vermeiden. Dagegen muss die Wissenschaft zur Gegenwehr in der Lage sein, bildungsbürgerlich-romantische Begriffe vom aus der Liebe am Objekt motivierten Verleger dürfen diese Gegenwehr in der Welt global agierender Großverlage nicht behindern.
Open Access Publikationen sind aber eben kein Wert an sich. Auch wenn kommerzielle Verlage zu Publikationsmodellen zurück finden, bei denen Kosten entstehen, die der Tatsache, dass die Verbreitung von Information im digitalen Zeitalter in jedem Bereich außer in dem der wissenschaftlichen Verlagspublikation drastisch billiger wird, Rechnung trügen, so entfiele damit noch nicht automatisch die Geschäftsgrundlage für alle Formen des Open Access. Da es aber andererseits keinen Grund gibt, warum in einer Informationsgesellschaft, in der alle möglichen Formen technischer Dienstleistungen im Wege des Outsourcing vergeben werden, ausgerechnet die Produktion – beziehungsweise der Vertrieb – wissenschaftlicher Publikationen grundsätzlich davon ausgenommen sein sollten, fielen jedenfalls wesentliche Teile dieser Geschäftsgrundlage weg. Eine Pay per View Variante, bei der die Bezahlung nicht vor Lektüre eines Zeitschriftenaufsatzes, sondern erst dann erfolgen muss, wenn der Wunsch entsteht, ihn dauerhaft – als Download oder Printout – zu erwerben, entspräche beispielsweise dem Modus, dass das Durchblättern einer gedruckten Zeitschrift für den einzelnen Forscher kostenfrei ist, Kosten aber immer dann anfallen, wenn ein Aufsatz kopiert wird, sehr genau. Zusammen mit einer zeitnahen Moving Wall Lösung wären also prinzipiell durchaus kommerzielle Angebote denkbar, die die wissenschaftliche Informationsversorgung deutlich verbilligen könnten – und Tendenzen in diese Richtung scheinen sich abzuzeichnen. Eine Vertreterin einer Wissenschaftsorganisation vertrat während der vorbereitenden Interviews sogar die Meinung, dass eine Durchsetzung einer geeigneten Pay per View Variante den systematischen Bestandsaufbau der Bibliotheken weitgehend überflüssig machen könnte nach einem „just in time“ Prinzip wissenschaftlicher Informationsversorgung.
1 Für alle in Fussnoten genannten URLs gilt: Diese wurden zuletzt am 06. Juli 2011 aufgerufen.
2 Vgl. Peter Mell & Tim Grance: The NIST Definition of Cloud Computing, Version 15/2009. NIST bietet die Definition als nicht technisch versioniertes Word Dokument an.
3 Technical University of Denmark (DTU). Vgl. Kapitel 12.1.
4 Vgl. de Gruyter – eBook Überblick, URL: http://www.degruyter.de/cont/glob/ ebooks/ebookUeberblick.cfm.
5 Vgl. de Gruyter Homepage – e-dition, URL: http://www.degruyter.de/cont/glob/ebooks.cfm.
6 Vgl. Tim Berners-Lee et al: The Semantic Web, 2001.
7 Tim Berners-Lee: Information Management: A Proposal, 1989.
8 Lee Feigenbaum et al: The Semantic Web in Action, 2009.
9 Vgl. Deutsches Bibliotheksinstitut: Regeln für den Schlagwortkatalog (RSWK), 1998. Kolloquial meist aufgelöst als „Regeln für die Systematische Katalogisierung“.
10 In dieser Darstellung unterscheiden wir bei der Datensicherung zwischen folgenden Systemarten: a) Backupsysteme, die der Sicherung von Daten zu einem arbiträren Zeitpunkt dienen, b) Archivsysteme, die in einen wohldefiniesichern, jedoch davon ausgehen, dass die Daten ggf. in ein gleichartiges System wieder eingespielt werden können und c) Langzeitarchivsystemen die in der Lage sind Daten auch über Technologiebrüche hinweg in andere Systemkontexte zu sichern.
11 Vgl. Kapitel 12.7.
12 Vgl. http://www.dvisa-nrw.de/
13 Landesregierung Nordrhein-Westfalen: Pflichtexemplargesetz, 18. Mai 1993.
14 Vgl. DFG: Vorschläge, 1998.
15 Vgl. Krauß-Leichert (Hg.): Teaching Library, 2008.
16 Vgl. die im Kapitel 5.2.2. im untersten Abschnitt zitierten Kosten.
17 Zur grundsätzlichen Obsoleszenz der technischen Basis der derzeitigen Verbundsysteme s. zuletzt DFG: Positionspapier zur Weiterentwicklung der Bibliotheksverbünde als Teil einer überregionalen Informationsinfrastruktur, 2011, Januar 2011, verabschiedet durch den Senat der DFG am 02.02.2011, hier S. 6, Abschnitt 1.1.
18 MIWF: Hochschulfreiheitsgesetz (HFG), 2006, §2.
19 MIK: Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit, Bekanntmachung der Neufassung (Gesetz über Kommunale Gemeinschaftsarbeit – GKG –), 1979, §4.
20 Vgl. http://www.surf.nl.
21 http://www.personalausweisportal.de/DE/Der-Neue-Ausweis/der-neue-ausweis_node.html.
22 Vgl. auch DFG: Positionspapier zur Weiterentwicklung der Bibliotheksverbünde als Teil einer überregionalen Informationsinfrastruktur, 2011, Januar 2011, verabschiedet durch den Senat der DFG am 02.02.2011, hier: S. 11, Abschnitt 2.2 Ende.
23 Zitat einer Gesprächspartnerin aus dem Bereich eLearning.
24 Kuhn, T. S.: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 1976, S. 90.