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D. Rückblick

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Vergleicht man die StPO des Jahres 2017 mit der Fassung des Vereinheitlichungsgesetzes von 1950, so hat man es mit zwei in ihrer Grundstruktur eng verwandten, aber ansonsten deutlich verschiedenen Gesetzen zu tun.[186] Das heutige Gesetz ist nicht nur erheblich umfangreicher[187] – mehr Paragraphen (669 gegenüber 483), die mitunter auch erheblich länger sind (z.B. die heutigen §§ 100c, 100g, 101 StPO) –, es atmet auch den Geist einer anderen Zeit[188].

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Die Rechtsstellung des Beschuldigten hat sich in mancher Hinsicht und sowohl aufgrund gewachsener Grundrechtssensibilität des Gesetzgebers als auch infolge der immer dichter werdenden Judikatur von BVerfG und EGMR verbessert, es gibt mehr Belehrungs- und Informationspflichten, die Gehör, Einflussnahme und Zugang zu anwaltlichem Beistand erleichtern. Ermächtigungsgrundlagen für Grundrechtseingriffe sind hinsichtlich Voraussetzungen und Verfahren erheblich präzisiert worden, einschließlich vorstrukturierter Abwägungen anhand von Straftatkatalogen nebst einer Fülle intrikater Datenschutzregeln. Diese Entwicklung ist allerdings, als kaum vermeidbare Folge steter Novellengesetzgebung, uneinheitlich verlaufen: Den filigranen Eisblüten rechtsstaatlichen Raffinements, die mitunter bis an die Grenzen der Praktikabilität gehen – man denke an die vorerwähnten §§ 100c, 100g, 101 sowie §§ 131 bis 131c StPO – stehen die lakonischen Relikte des 19. Jahrhunderts gegenüber wie §§ 94 ff., 102 ff. StPO. Auch gibt es altehrwürdige blinde Flecken – so fehlt für die Anwendung unmittelbaren Zwangs bei Durchsuchungen und Festnahmen nach wie vor eine explizite Regelung, auch für die Wahlgegenüberstellung mit dem Beschuldigten. Den Gesetzgeber kümmert eine Beobachtung an drei Tagen (§ 163f StPO) offenbar mehr als ein Schuss ins Knie bei der vorläufigen Festnahme. Von systematischer Stimmigkeit ist der normative Flickenteppich des ersten Buchs der StPO schon lange weit entfernt.

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Dem Ausbau der Subjektstellung stehen Einschränkungen gegenüber, die sich gegen tatsächlichen oder angenommenen „Missbrauch“ von Verfahrensrechten richten (§§ 138a ff., 148 Abs. 2, 257a StPO, §§ 31 ff. EGGVG usw.) oder Beschleunigung erzielen sollen (§§ 222a, 222b, 313, 322a, 336 S. 2, 420 StPO). Ob die Positivierung des Deals in § 257c StPO dem Beschuldigten nützt oder schadet, hängt sehr von der Handhabung im Einzelfall ab; ungeachtet des individuellen Nutzens mag auch der Rechtsstaat Schaden nehmen.

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Nicht nur verfeinertem rechtsstaatlichem Empfinden, sondern vor allem der technischen Entwicklung verdankt sich die stete Vermehrung der Ermittlungsbefugnisse, namentlich die Überwachung mit neuen technischen Mitteln oder neuer technischer Kommunikationsmittel (§§ 100a ff. StPO), die rechtspolitisch gern mit dem martialischen Etikett der „Verbrechensbekämpfung“ versehen wird, das eine Verschmelzung repressiven und präventiven Staatshandelns insinuiert und an ein Wettrüsten erinnert. Die technische Entwicklung hat zugleich Einfluss auf die Qualität der Sachbeweismittel, die günstigstenfalls eine akkuratere Wahrheitsfindung erlauben und den Charakter der Hauptverhandlung verändern.

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Verbesserungen haben auch die Rechtsstellung gefährdeter Zeugen erfahren sowie namentlich die des mutmaßlichen Verletzten („Opfers“), der, auch ohne Anschluss als Nebenkläger, zu einem Akteur avanciert ist, der über eine Reihe prozessualer Befugnisse verfügt (§§ 406d ff. StPO), in denen eine nicht unbedenkliche Tendenz zur Reprivatisierung der Strafjustiz zum Ausdruck kommt.

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Institutionell und gerichtsverfassungsrechtlich hat sich seit 1950 Bedeutsames ereignet: Das inquisitorische Element der gerichtlichen Voruntersuchung ist entfallen und das Ermittlungsverfahren liegt nun allein in der Hand der Staatsanwaltschaft, aber auch der Laieneinfluss ist geschrumpft durch Abschaffung des neunköpfigen Schwurgerichts, das ein großes Schöffengericht war. Hinzu tritt eine Verlagerung der Zuständigkeiten von oben nach unten, von der Strafkammer auf die Amtsgerichte, vom BGH auf die Oberlandesgerichte, unter gleichzeitiger Ausdünnung des Kollegialprinzips z.B. bei den fünfköpfigen Spruchkörpern, die am LG im Regelfall nur noch in Viererbesetzung entscheiden. Spezialstrafkammern sind nun gesetzlich verankert, Schwerpunktstaatsanwaltschaften indes nicht, sieht man vom Generalbundesanwalt einmal ab.

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Diese Änderungen dienen primär der Justizentlastung durch Beschleunigung und Vereinfachung wie viele andere Maßnahmen auch, die mit einem gewandelten, eher „funktionalen“ als prinzipienorientierten Verständnis[189] tradierte Prozessmaximen stromlinienförmiger trimmen, etwa durch die stets erweiterten Unterbrechungsfristen, Verlesungs- und Selbstlesemöglichkeiten und erst recht durch die Verständigung, die im besten Fall eine Hauptverhandlung fast ganz erspart. Die eigentliche Entlastung findet aber außerhalb der Gerichtssäle statt, wo das Gros aller nicht nach § 170 Abs. 2 StPO einstellbaren Fälle erledigt wird durch Strafbefehl oder Einstellung vor allem nach §§ 153, 153a StPO und dies in beträchtlichem Umfang durch die Staatsanwaltschaft allein. Der strenge Anklage- und Verfolgungszwang, an dem §§ 152, 170 StPO verbal festhalten, ist durch die Vielzahl der Ausnahmen längst einem gebundenen Opportunitätsprinzip gewichen.

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Die heutige StPO ist in vielem ein besseres Gesetz als die von 1950, aber auch ein viel unübersichtlicheres und unausgewogeneres. Über 140 Jahre nach ihrer Verabschiedung stellt sich wohl weniger die Frage nach einer Gesamtreform, die ein gänzlich anderes Verfahrenskonzept verfolgt,[190] als nach einer Generalrevision, die die vielen Unwuchten, die durch unablässige Novellengesetzgebung mit ihrer bekanntlich begrenzten Leistungsfähigkeit[191] entstanden sind, behebt. Auch bildet der Gesetzestext die Rechtspraxis mitunter schon längst nicht mehr ab wie bei der Protokollberichtigung oder erweiterten Revision. Freilich wäre dies ein langfristiges Projekt, das in einer Legislaturperiode nicht zu bewältigen ist.

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