Читать книгу Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts - Marco Mansdörfer - Страница 8
A. Einführung: Wirtschaftsstrafrecht im Übergang?
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Im Juni 2006 erschien in der Juristenzeitung anlässlich der Mannesmann-Entscheidung des BGH ein kurzer Kommentar von Alwart mit dem Titel „Wirtschaftsstrafrecht im Übergang“[1]. Darin rügt Alwart als Manko des gegenwärtigen Wirtschaftsstrafrechts, dass der Unwertgehalt vieler im weitesten Sinne wirtschaftskrimineller Handlungen noch ungeklärt sei. Es sei notwendig, eine taugliche Richtschnur für ein nach Grund und Grenzen legitimes Wirtschaftsstrafrecht zu gewinnen. Der Blick der Strafrechtswissenschaft wird als verschwommen charakterisiert, ihr Theoriehorizont als zu eng und die bestehende Praxis als zu breit. Im Anschluss formuliert Alwart einen Arbeitsauftrag an die Strafrechtswissenschaft, der einen Übergang von der Verletzung eines Rechtsguts zur Verletzung einer Handlungsregel beinhaltet[2]. Auf der Verletzung solcher noch näher zu identifizierenden Regeln gründe der materielle Verbrechensbegriff des Wirtschaftsstrafrechts.
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Mit diesem kurzen Kommentar hat Alwart treffend wie kaum ein anderer einige wesentliche Defizite des status quo beschrieben, die auch Anlass für die vorliegende Studie waren[3]: Der Begriff „Wirtschaftsstrafrecht“ ist schillernd. Seine Grenzen sind so unklar wie sein Sinn und sein Zweck. Die rechtlichen Verantwortlichkeiten sind oft nur vage geregelt, für den Bürger, der nach klaren Verhaltensnormen verlangt, resultieren daraus erhebliche Belastungen. Der Theoriehorizont ist zumeist auf Einzelsituationen oder singuläre Phänomene begrenzt. Eine Theorie, die den Gesamtkomplex Wirtschaftsstrafrecht in seinem gesellschaftlichen Kontext zu erfassen versucht, wurde bislang nicht entwickelt.
Liegt das daran, dass es dazu eines Strafrechts bedarf, das gänzlich neuen Regeln folgt und zentrale Begriffe bisheriger Strafrechtsdogmatik samt den sie umrankenden Diskussionen über Bord wirft? Das ist Alwarts Idee vom längst fälligen Übergang vom Rechtsgut zur Handlungsregel wohl implizit. Auch für die vorliegende Arbeit war das eine grundlegende Frage. Sie konnte aber, soviel darf vorweggenommen werden, verneint werden.
Im Verlauf der Studie hat sich die überkommene Straftatlehre an verschiedenen Stellen zwar als korrekturbedürftig, aber doch als voraussetzungsvoll genug erwiesen, um auch wirtschaftsstrafrechtlichem Handeln hinreichend klare Konturen vorzugeben. Der Kern der angesprochenen Defizite wurde nicht in einer Insuffizienz der überkommenen Straftatlehre ausgemacht. Es mangelt vielmehr in weiten Strecken an einer hinreichend präzisen Wahrnehmung des Regelungsgegenstandes Wirtschaft und seiner theoretischen Fundierung. Daraus folgen normativ nicht zu erklärende Abweichungen von den Verantwortlichkeits- und Zurechnungsstrukturen, die im Kernstrafrecht unter hohem Aufwand entwickelt wurden und zwischenzeitlich allgemein anerkannt sind. Auch diese Erkenntnis ist freilich nicht neu. Sie bestätigt allerdings eine zentrale These zum Zustand der Geisteswissenschaften im Alterswerk F. A. von Hayeks: „Nirgends ist die schädliche Wirkung der Teilung in Spezialfächer deutlicher als in den beiden ältesten dieser Disziplinen, der Ökonomie und dem Recht“[4].
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Ziel dieser Untersuchung ist es, dieser Trennung für den Bereich des Wirtschaftsstrafrechts ein Stück weit entgegen zu wirken. Dies soll dadurch geschehen, dass ein theoretisches Modell für die seitens des Staates mit seinem Gewaltmonopol zu etablierende strafrechtliche Rahmenordnung für die sozialen Interaktionen bei wirtschaftlichem Handeln entwickelt wird. Bei der Konkretisierung dieses Modells soll exemplarisch und stärker im Format leicht zugänglicher Besprechungsaufsätze auf einige derzeit drängende Fragen des Wirtschaftsstrafrechts eingegangen werden. Auf diese Weise kann der Ansatz für verschiedene Referenzbereiche konkretisiert werden. Der Leser kann auf diese einzelnen Erörterungen im zweiten Teil der Studie – etwa zu den Themen des Sponsorings, einer Untreue durch die Verletzung von Buchführungspflichten oder Fragen des Wettbewerbs oder Produktstrafrechts – freilich auch direkt zugreifen. Selbst mit dieser Beschränkung können die Ausführungen an verschiedenen Stellen freilich nur thesenartig in die Richtung weisen, in die das Wirtschaftsstrafrecht nach diesem Ansatz weiter auszuformulieren wäre. Manches hiervon wird in der Zukunft nachzuholen sein.
Teil 1 Grundlagen zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts › B. Der Begriff des Wirtschaftsstrafrechts und der individualistische Ausgangspunkt für ein sachangemessenes Verständnis des Wirtschaftsstrafrechts