Читать книгу Diese heiß ersehnten Jahre - Liebesroman - Marie Louise Fischer - Страница 14

Оглавление

Am Nachmittag fuhr Martina nach Essen. Ihre Großmutter feierte 67. Geburtstag.

Immer, wenn Martina das große, um die Jahrhundertwende gebaute Mietshaus betrat, das, abgesehen von den Löchern, die einige Granatsplitter in die Fassade gerissen hatten, vom Krieg verschont geblieben war, überfiel sie ein seltsames Gefühl, eine Mischung von Wehmut und Beklemmung. Hier, in der Wohnung im fünften Stock mit ihren Parkettböden und den hohen, stuckverzierten Decken, hatte sie, nachdem sie und ihre Mutter ausgebombt worden waren, den größten Teil ihrer Kindheit verlebt, hier hatte sie auch die Nachricht empfangen, daß ihr Vater gefallen war.

Sie stieg die endlosen Treppen hinauf und drückte auf den Klingelknopf unter dem Messingschild, auf dem in schwarzen Buchstaben »Alexandra Wülfing« stand. Die Großmutter öffnete selber, eine magere, zierliche Frau, die in keiner Weise dem Großmutterbild vergangener Tage entsprach. Sie trug das Haar hübsch frisiert und braun gefärbt, hatte Lippen und Nägel rot gefärbt und blickte Martina aus lebhaften braunen Vogelaugen an – auch ihr kleiner Kopf mit dem zurückweichenden Kinn und der leicht gekrümmten Nase hatte etwas Vogelhaftes.

»Willkommen, Kind! Die schönen Blumen!«

Martina hatte die Nelken ausgewickelt und drückte einen Kuß auf die harte, nach Puder riechende Wange.

»Aber wo sind die Kinder?«

Martina war auf diese Frage vorbereitet und antwortete rasch: »Ich habe sie diesmal zu Hause gelassen, damit wir in Ruhe miteinander plaudern können.«

»Das ist aber schade! Ich hatte mich so auf sie gefreut!«

Martina zwang sich zu einem Lächeln. »Sei doch ehrlich, Großma! Erst freust du dich immer, aber nach fünf Minuten gehen sie dir auf die Nerven.«

»Das macht nichts. Ich will trotzdem meine kleine Freude haben. Was habe ich denn sonst noch vom Leben?«

»Eine ganze Menge, Großma!« Martina hängte ihren Regenmantel an der Garderobe auf. »Ich sehe, Mutter ist schon da! Ich will ihr gleich . . . «

Frau Wülfing hielt sie am Arm zurück.

»Und wo ist dein Mann?«

»Auch nicht mitgekommen. Ich werde dir gleich erklären . . . «

»Darum möchte ich aber auch gebeten haben! Wenn ihr euch schon das Jahr über nicht um mich kümmert . . . «

»Das ist nicht wahr, Großma!«

» . . . dann will ich euch wenigstens an meinem Festtag um mich haben!«

»Das verstehe ich ja, Großma. Aber du wirst dich mit dem Verlust deines Schwiegerenkels, oder wie man das nennt, abfinden müssen.« Martina hatte nicht so mit der Tür ins Haus platzen wollen, aber jetzt hielt sie es für das beste, die Eröffnung rasch hinter sich zu bringen.

»Ist ihm etwas passiert?!« Die alte Dame war nicht etwa erschrocken; ihre Vogelaugen funkelten vor Neugier.

»Ich lasse mich von ihm scheiden. Das ist ihm passiert!«

»Oh, ihr habt euch gezankt?«

»So würde ich es nicht nennen, Großma. Es ist ernst.«

»Also habe ich doch recht gehabt!« Die alte Dame triumphierte.

»Wer hat immer gesagt, Martina, dieser Prolet paßt nicht zu dir?!«

»Gesagt hast du es, Großma, aber ein Prolet ist er dennoch nicht. Er ist . . . «

Sie redete weiter, versuchte die Sachlage klarzustellen, aber Frau Wülfing hörte ihr schon nicht mehr zu. Mit klopfenden Absätzen eilte sie den Gang entlang und öffnete die letzte Tür links, die zum Wohnzimmer führte.

»Stellt euch vor, Kinder«, hörte Martina sie rufen, »die Kleine will sich scheiden lassen!«

Martina nahm sich Zeit. Es war ihr ganz lieb, daß die erste Aufregung schon verebbt sein würde, bevor sie ihrer Mutter und ihrem Stiefvater entgegentrat. Prüfend musterte sie sich im Garderobenspiegel. Sie trug ein Wollkleid, rot mit weiten Fledermausärmeln, dazu einen breitrandigen schwarzen Hut, ein Aufzug, der ihr etwas Dramatisches gab. Das Gesicht hatte sie sich sehr sorgfältig zurechtgemacht. Vielleicht hätte sie etwas mehr Make-up auflegen sollen, stellte sie kritisch fest, aber andererseits paßte die Blässe ganz gut zu ihrer Situation.

»Ich hab’s ihnen gesagt!« Die Großmutter kam, die Nelken noch immer in der Hand, aus dem Wohnzimmer getrippelt.

»Bitte erzähl nichts, bevor ich wieder zurück bin! Ich will nur rasch diese Blumen ins Wasser . . . «

»Aber das kann doch ich tun, Großma!«

»Nein, nein, nichts da! Du weißt ja nicht, welche Vase paßt! Geh nur hinein. Ich komme gleich nach.«

Martina klemmte sich ihre schwarze Handtasche fester unter den Arm und machte sich auf den Weg durch den langen Gang. Das Wohnzimmer war genauso, wie sie es in Erinnerung gehabt hatte, vollgestopft mit schwarzen, reichgeschnitzten Möbeln, schweren Sesseln und Brokatdecken. Nur das Radio und ein Beistelltisch waren modern, das heißt, sie entstammten den fünfziger Jahren.

»Tag, ihr Lieben«, grüßte sie mit gespielter Unbefangenheit. Ihre Mutter, eine Frau mit einem runden, schlaffen Gesicht, kleinem verzogenem Mund und übergroßen grauen Augen, deren Blick sie selber für »seelenvoll« hielt – andere, weniger wohlmeinende Menschen nannten ihn »basedowsch« –, saß auf dem mit rotem Brokat bezogenen Sofa. Daneben ihr zweiter Mann, Kurt Handschuhmacher, kurzbeinig, glatzköpfig und kompakt. Martina hatte nie herausbekommen, warum ihre anspruchsvolle und empfindliche Mutter ihn genommen hatte: Weil er als Generalvertreter einer Limonadenfirma sehr gut verdiente, weil sie endlich von der Vormundschaft ihrer Mutter loskommen oder weil sie ihrer Tochter nicht nachstehen wollte? Daß es sich um Liebe oder auch nur um echte Zuneigung – jedenfalls von ihrer Seite aus – handeln könnte, hatte sie sich nie vorstellen können.

Kurt Handschuhmacher unternahm den Versuch, sich aus dem tiefen Polster des Sofas zu erheben, was ihm mit seinen kurzen Beinen nicht gleich gelang.

»Ach, bleib doch sitzen«, sagte Martina rasch, umkreiste das Sofa – vor den beiden stand der runde, schon gedeckte Kaffeetisch –, beugte sich von hinten zu ihrer Mutter und gab ihr einen Kuß. »Gut siehst du aus, Mutti!«

»Findest du? Aber ich fühle mich gar nicht wohl. Seit einiger Zeit habe ich so ein Zittern. Doktor Riemenschneider sagt . . . «

Martina, abgestumpft von ständig neuen Krankheitsgeschichten, hörte gar nicht hin.

Freundschaftlich legte sie ihrem Stiefvater die Hand auf die Schulter. »Wie geht’s, Kurt?«

»Nicht schlecht, nein, wirklich nicht schlecht«, erklärte Kurt Handschuhmacher in einem Ton, als müsse er sich für eine gute Gesundheit entschuldigen.

Martina stellte rasch drei Gedecke zusammen und räumte sie auf das Büfett. Sie fand es bezeichnend, daß ihre Mutter es nicht einmal für nötig hielt, sich nach Claudia und Stefan zu erkundigen.

»Gehst du immer noch in diese . . . in deine Kosmetikschule?« fragte Frau Handschuhmacher und ließ wieder einmal durchblicken, daß sie Martinas Vorhaben für nichts als einen Spleen hielt, dessen Sinnlosigkeit sie früher oder später selber erkennen würde.

»Ich stehe kurz vor dem Abschluß.« Martina war froh, das sagen zu können.

»Ach, wahrhaftig?«

»Hast du schon Pläne für die Zukunft?« fragte Kurt Handschuhmacher. Er war nur dem Namen nach ihr Stiefvater, hatte niemals erzieherische Gewalt über sie ausgeübt, da ihre Mutter ihn erst geheiratet hatte, als sie selber schon aus dem Haus war.

»Ich will mich selbständig machen.«

»Von was denn?« fragte ihre Mutter. »Du reflektierst doch hoffentlich nicht darauf, daß Kurt dir . . . «

»Nein. Sei ganz beruhigt, Mutti. Ich rechne in keiner Weise mit der Unterstützung meiner Familie.« Sie nahm im Sessel neben ihrer Mutter Platz.

»Das ist sehr klug von dir.« Die alte Frau Wülfing war hereingekommen und hatte ihre letzten Worte aufgefangen; sie stellte die heiße Kaffeekanne auf den Tisch. »Du bist schließlich ein erwachsener Mensch.«

»Danke, Großma.« Martina tat, als nähme sie die Bemerkung als Kompliment.

»Bitte, greift zu«, mahnte die Großmutter, »laßt euch nicht bedienen.« Sie wies auf die hübsch dekorierte Schwarzwälder Kirschtorte auf der Mitte des Tisches. »Natürlich habe ich sie nicht selbst gebacken. Das wäre eine reichlich unproduktive Arbeit, wo es in Essen so großartige Konditoreien gibt.«

»Richtig, Großma«, sagte Martina. »Kaufst du immer noch in der Limbecker Straße?« Sie tat ihrer Mutter, die sich zierte, und Kurt Handschuhmacher, der dankend annahm, je ein Stück mit der silbernen Tortenschaufel auf den Teller und bediente sich selber.

Die alte Frau Wülfing schenkte Kaffee ein, und eine Weile waren alle damit beschäftigt, sich Sahne und Zucker zu reichen, umzurühren und zu probieren. Gabeln und Löffel klirrten.

Dann nahm Kurt Handschuhmacher, der langsam, aber gründlich dachte, das angeschnittene Thema wieder auf. »Vielleicht könntest du einen Kredit bekommen?«

»Du willst doch wohl nicht für sie bürgen?« fragte seine Frau sofort. »Denk an deinen sogenannten Freund . . . «

»Reg dich nicht auf, Mutti«, sagte Martina, »du scheinst eine geradezu panische Angst zu haben, daß ich was von euch wollen könnte. Aber daran habe ich keinen Augenblick gedacht, jedenfalls nicht in finanzieller Hinsicht. Allerdings wäre es mir eine große Beruhigung zu wissen, daß du oder Großma die Kinder . . . nur vorübergehend . . . «

»Ausgeschlossen!« Jetzt war es Kurt Handschuhmacher, der energisch wurde – Martina hatte den Eindruck, daß seine Frau ihn unter dem Tisch angestoßen hatte. »Dazu ist der Gesundheitszustand deiner Mutter viel zu labil. Ihre Nerven . . . «

»Und was mich betrifft«, erklärte die alte Frau Wülfing mit Nachdruck, »so erfreue ich mich zwar, zum Glück, bester Gesundheit . . . vielleicht, weil ich mich nicht soviel mit ihr beschäftige wie du, meine liebe Hertha, aber ich denke gar nicht daran, mit zwei ungezogenen Bälgern . . . «

»So solltest du Stefan und Claudia wirklich nicht nennen!« protestierte Martina.

»Ich nenne sie, wie ich will! Und wenn sie die am besten erzogenen und unproblematischsten Kinder der Welt wären, würde ich sie nicht haben wollen. Ich bin froh, daß ich endlich tun und lassen kann, was ich will: aufstehen, wann es mir beliebt, essen, wenn ich Appetit habe, schlafen gehen, wenn ich müde bin, nach Hause kommen, wann ich Lust habe. Deine Kinder, liebe Martina, würden mir schrecklich im Wege sein.«

»Ich verstehe auch gar nicht«, sagte Martinas Mutter, während sie ein Stück Torte auf dem Kuchengäbelchen balancierte, »warum du dich scheiden lassen mußt.« Ohne eine Antwort abzuwarten, steckte sie den Bissen in den Mund.

»Erst hast du es nicht verstanden, warum ich Helmut geheiratet habe . . . «

»Eben. Das eine ist so unnötig wie das andere.«

»Ich habe dich immer vor diesem Problem gewarnt«, erklärte die alte Frau Wülfing genüßlich. »Er paßt nicht zu dir, und er paßt nicht in unsere Familie . . . «

»Wenn du wenigstens dein Abitur gemacht hättest!« klagte die Mutter. »Armes Kind, jetzt stehst du da, ohne Beruf . . . «

»Solltest du vergessen haben, daß ich mitten in der Ausbildung zur Kosmetikerin stecke?«

»Kosmetikerin! Das ist schon was!«

»Jedenfalls ein Beruf, mit dem ich mich selbst ernähren kann.« Jetzt wurde Martina hitzig. »Etwas, das dir in deinem ganzen Leben nicht gelungen ist.«

»Wozu auch? Schließlich bin ich eine Frau!«

»Du solltest bedenken«, sagte ihr Mann, »daß die Handlungsfähigkeit deiner Mutter durch ihre schwache Gesundheit immer sehr beschränkt war.«

Martina funkelte ihn an. »Verlaß dich nicht zu sehr darauf, Kurt! Sie ist zäh! Zäh genug, dich zu überleben!«

»Bitte, zankt euch nicht«, mischte sich die alte Frau Wülfing ein. »Das gehört sich nicht, an meinem Geburtstag schon gar nicht. Erzähl uns lieber, Martina, wie es zu dieser Scheidung gekommen ist.«

Als Martina schwieg, antwortete sie sich selber: »Er hat eine andere kennengelernt! Kränk dich nicht darüber, so etwas soll vorkommen. Aber daß er sich deswegen gleich scheiden lassen muß. Konntest du ihm das nicht ausreden?«

Martina betupfte sich die Lippen mit der Serviette und nahm einen Schluck Kaffee, bevor sie sprach. »Du siehst die Dinge falsch, Großma. Ich bin es, die die Scheidung will.«

»Aber warum?« fragte ihre Mutter. »Er verdient doch ganz gut. Und dann seine Pension . . . «

»Weil ich mich mit ihm gelangweilt habe, wenn ihr es genau wissen wollt. Und ich sehe nicht ein, warum ich mich mein ganzes Leben langweilen soll, nur um später an eine Pension zu kommen.«

Alle blickten sie an, die Großmutter mit leichter Belustigung, die Mutter entsetzt und Kurt Handschuhmacher nachdenklich, als bemühe er sich, diese Mitteilung ganz ernsthaft zu verarbeiten. »Ich erwarte nicht, daß ihr es versteht«, sagte Martina, »sondern nur, daß ihr es zur Kenntnis nehmt. Ich für mein Teil habe begriffen, daß ich weder seelische noch praktische Unterstützung von euch erwarten kann. Damit, finde ich, sollte das Thema erledigt sein.«

Als immer noch niemand sich äußerte, sagte sie: »Ich nehme mir noch ein Stück Torte, sie ist wirklich großartig. So gut hättest du die gar nicht backen können, Großma.«

Anfang März bekam Martina in ihrer Scheidungssache einen Sühnetermin beim Amtsgericht Dinslaken. Sie nahm ihn nicht wahr, sondern ließ sich von ihrem Anwalt entschuldigen. Tatsächlich steckte sie bis über die Ohren in Arbeit. Die theoretischen und praktischen Prüfungen in der Kosmetikschule hatten gerade begonnen. Sie dauerten eine volle Woche. Für Martina, der das Lernen schwerer gefallen war als mancher jüngeren Kollegin – sie hatte ihren Kopf lange Jahre überhaupt nicht anzustrengen brauchen –, war es eine schreckliche Zeit. Nachts konnte sie nicht mehr schlafen und tags brachte sie kaum einen Bissen herunter. Die Prüfungsangst hatte sie wie ein Fieber erfaßt.

Natürlich hatten weder ihr Mann noch ihre Kinder Verständnis für ihre Situation, und das machte es für sie noch schwerer. Claudia und Stefan hatten so etwas noch nie mitgemacht, und Helmut, dessen eigener Aufstieg über zahlreiche Kurse und Prüfungen gegangen war, wollte nicht wahrhaben, daß seine Frau imstande war, etwas auch nur vergleichsweise Ähnliches zu schaffen.

In den praxisbezogenen Fächern – präparative, pflegende und dekorative und regenerierende Kosmetik, Massage, Ganzheitskosmetik und Warenkunde – fühlte Martina sich ziemlich sicher, aber die Prüfungen in Physiologie, Anatomie, Chemie und Physik waren ein Alptraum für sie. Erst gegen Ende der Woche ging es ihr besser. Obwohl keine Einzelnoten bekanntgegeben wurden, entnahm Martina dem Auftreten der Lehrkräfte ihr gegenüber, daß sie gut abgeschnitten hatte. Im Gespräch mit Dr. Opitz, einem freundlichen alten Hautarzt, gelang es ihr sogar, mit ihren Kenntnissen zu glänzen.

Am Samstagvormittag wurden dann in einer kleinen Feierstunde die Diplome verteilt. Martina wäre am liebsten bis zur Decke gesprungen vor Erleichterung; sie hatte mit Auszeichnung bestanden.

Eine kleine Gruppe von Schülerinnen, darunter die besten, blieb nach der offiziellen Feier noch beisammen, um sich im »Café Bierhoff« bei Likör, Kaffee, Torten und Sekt gegenseitig zu ihren Erfolgen zu beglückwünschen und die gewaltige Spannung abzureagieren. Irene Klose und Martina versprachen einander, den Kontakt aufrechtzuerhalten.

Als Martina, noch sehr »aufgedreht«, nach Hause kam, saß ihre Schwiegermutter mit Helmut und den Kindern am gedeckten Tisch, als ob sie dort hingehöre; eine untersetzte Frau, die sich auf ihr mehr als schlicht frisiertes Haar und die abgearbeiteten Hände etwas zugute hielt. »Ich habe schon mal das Essen warmgemacht«, sagte sie vorwurfsvoll. »Deine Leute hatten Hunger.«

»Eine sehr gute Idee!« Martina wollte sich die Laune nicht verderben lassen; sie beugte sich zu ihrer Schwiegermutter, um sie zu küssen.

Anna Stadelmanns Gesicht wich vor ihr zurück. »Du hast doch nicht etwa getrunken?!«

»Doch. Hab’ ich!« Martina lachte und küßte Stefan und Claudia nacheinander. »Ihr könnt mir gratulieren, Kinder – und auch du, Helmut. Ich habe die Prüfung bestanden. Mit Auszeichnung.«

»Wat für ’ne Prüfung?« fragte die Schwiegermutter.

»Die Kosmetikprüfung«, soufflierte Helmut. »Du weißt doch!«

»Kosmetik? Da hast du aber auch was Warmes.«

Martina zog das Dokument aus ihrer Kollegtasche. »Damit kann ich Geld verdienen, Schwiegermutter!«

»Und wofür hast du dat nötig? Du hast einen guten Mann und . . . «

Helmut mischte sich ein. »Wollen wir dieses Thema doch lieber auf später vertagen.«

Martina holte sich Teller und Besteck und setzte sich zu ihrer Familie an den Tisch. Sie versuchte, ein harmloses Gespräch mit der Schwiegermutter in Gang zu bringen. Aber es gelang ihr nicht. Anna Stadelmann blieb abwehrend.

Das war eigentlich immer so gewesen. Martina hatte ihre Schwiegermutter, die so anders war als ihre eigene Mutter, nämlich eine tüchtige, zupackende Frau, von Anfang an sehr geschätzt. Aber es war ihr nicht gelungen, ihre Sympathie, noch weniger ihre Achtung zu erringen. Martina wußte, daß es nicht ihre Schuld war. Anna Stadelmann hatte sich für ihren Sohn eine andere Frau gewünscht. Es hatte sie gestört und gegen Martina eingenommen, daß sie heiraten mußten, als ein Kind unterwegs war. Sie hatte es nie verwunden, daß Martina damals noch nichts vom Haushalt verstanden, mehr vielleicht noch, daß sie nur eine spärliche Aussteuer und gar keine Mitgift in die Ehe gebracht hatte. Ihre Hübschheit, ihr Geschick, sich zurechtzumachen und sich aus billigen Stoffen selber elegante Kleidung zu schneidern, waren in ihren Augen bedeutungslose, eher verdächtige Talente.

Das alles ging Martina durch den Kopf, während sie, immer stiller werdend, die Mutter ihres Mannes beobachtete. Sicher war Anna Stadelmann nicht dafür verantwortlich, daß ihre Ehe gescheitert war – und doch: wäre Helmut nicht so sehr ihr Sohn gewesen, hätte sie eine größere Chance gehabt. Die Schwiegermutter verkörperte all das, was sie an ihrem Mann so reizte: Selbstgerechtigkeit, Uneinsichtigkeit, Sturheit, eine Lebensauffassung, die sich nur aus Vorurteilen zusammensetzte.

Kaum war das Essen vorüber und der Tisch abgedeckt, wurden die Kinder in ihr Zimmer geschickt.

»Ich koche uns noch rasch eine Tasse Kaffee«, erbot sich Martina, obwohl sie wußte, daß sie nicht einmal das ihrer Schwiegermutter recht machen konnte; nahm sie das normale Maß an Kaffeepulver, war er für Anna Stadelmann zu schwach, gab sie etwas mehr dazu, so galt sie als Verschwenderin.

»Ich weiß schon, über was ihr reden wollt!« platzte Claudia heraus.

Martina, die gerade die Tür erreicht hatte, drehte sich überrascht um. Claudia stand in starrer, verkrampfter Haltung, das spitze Kinn weit vorgeschoben, die Fäuste geballt. »Über die Scheidung.«

»Kann schon sein.« Martina trat zu ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Aber nun komm schon.«

Claudia wich einen Schritt zurück. »Aber ich lasse mich nicht verschaukeln!« rief sie wild. »Ich lasse mir meinen Vati nicht nehmen!«

Martina stand bestürzt vor diesem Ausbruch.

»Er gehört mir!« schrie Claudia.

»Mach mal die Augen zu, dann siehst du, wat dir gehört«, sagte Anna Stadelmann.

Ernüchtert ließ Claudia sich aus dem Zimmer schieben.

Im Hinausgehen hörte Martina ihre Schwiegermutter sagen: »Ihr habt den Kindern zuviel eigenen Willen gelassen.«

Als sie mit dem Kaffeetablett wieder zurückkam, brach die Unterhaltung jäh ab. Martina spürte, daß Mutter und Sohn über sie hergezogen waren, aber es machte ihr nichts aus.

»Dat ist aber fix gegangen«, sagte Anna Stadelmann. »Hast du Pulverkaffee gemacht?«

»Nein, ich habe gefiltert.«

»Wenn man das Wasser zu schnell durchgießt, dann wird dat nichts.«

Martina schenkte ein. »Probier doch erst mal.«

Anna Stadelmann tat es.

»Na ja«, sagte sie nur, und das konnte man auslegen, wie man wollte.

Helmut hatte sich eine Zigarette angezündet. Martina setzte sich. Die Schwiegermutter rührte in ihrer Tasse. Niemand sagte ein Wort.

Martina haßte dieses dumpfe Schweigen, in dem die beiden sich wohl zu befinden schienen. Aber sie wollte nicht noch eine Abfuhr riskieren, so schwieg sie ebenfalls. Auch dachte sie, es sei Sache der Besucherin, den Grund ihres Kommens mitzuteilen.

»So ist dat also«, sagte Anna Stadelmann endlich. »Du willst Schluß machen. Hast du dir dat auch gut überlegt?«

»Ja«, erklärte Martina mit fester Stimme. »Und es ist unnütz, noch ein Wort darüber zu verlieren.«

»Wenn dir dat man nicht eines Tages leid tun wird.«

»Warten wir’s ab.«

»Gepaßt«, sagte Anna Stadelmann, »hast du ja nie zu meinem Helmut.«

Martina stand auf und nahm ihre Tasse Kaffee.

»Was ist los?« fragte Helmut.

»Ich habe keine Lust, mir das anzuhören.«

»Nimmst du es meiner Mutter übel, daß sie deine Kurzschlußhandlung nicht versteht?«

»Ich nehme es ihr gar nicht übel. Aber zum Glück sind wir über das Stadium der gegenseitigen Vorwürfe hinaus. Ihr könnt besser auf mich schimpfen, wenn ihr allein seid.«

»Wer will denn auf dich schimpfen?« fragte Anna Stadelmann mit gespielter Arglosigkeit. »Komm, setz dich wieder! Helmut hat ganz recht: ich versteh’s nur nicht. Wie man seinen Mann verlassen kann . . . wie man so einen Mann verlassen kann, er war doch immer ein guter Junge. Du hättest ihn eben nicht allein lassen dürfen.«

»Womit wir wieder beim Anfang angelangt wären.« Resigniert schloß Martina für Sekunden die Augen.

»Ich hab’s ja bloß gut gemeint«, verteidigte sich die Schwiegermutter.

»Kann schon sein, aber ich pfeife auf deine gute Meinung. Als ich sie gebraucht hätte, war sie nicht da. Gib lieber zu, daß du mich nie gemocht hast. Also solltest du doch froh sein, daß du mich endlich loswirst, und ich wette, du bist es auch!«

»Bin ich nicht.«

»Das sagst du jetzt bloß, damit du dir hinterher keine Vorwürfe zu machen brauchst. Ich kenne dich. – ›Zum Glück brauche ich mir keine Vorwürfe zu machen‹, das ist doch deine Lieblingsredensart.«

Helmut drückte seine Zigarette aus. »Habt ihr nun genug aufeinander herumgehackt?«

»Reichlich«, stimmte Martina zu. »Von mir aus können wir die Sitzung beenden.«

Jetzt endlich entschloß sich Anna Stadelmann, die Katze aus dem Sack zu lassen. »Ich bin bloß gekommen, um . . . Also ich meine, wenn dir die Kinder im Weg sind, ich könnte sie zu uns nehmen. Nur für eine Weile. Vater wäre auch einverstanden. Du hättest es dann doch leichter. Wenigstens für den Anfang.« »Danke«, sagte Martina. »Das ist sehr lieb von euch.«

Sie erkannte an, daß die Schwiegereltern bereit waren, diese Last auf sich zu nehmen, auch wenn sie es nicht ihr, sondern Helmut zuliebe taten. Selbstverständlich lief diese Aktion darauf hinaus, doch irgendwie, wenn auch hintenherum, das Sorgerecht für die Kinder zu erlangen. Zumindest aber würden sie gegen die eigene Mutter aufgehetzt werden.

»Wann bringst du sie?« fragte Anna Stadelmann und spielte mit dem Kaffeelöffel.

»Gar nicht. Ich werde schon allein mit ihnen zurechtkommen.«

»Wie stellst du dir dat vor? Wenn du auf Arbeit gehst . . . «

Martina fiel ihr ins Wort. »Das ist meine Sorge, Schwiegermutter. Du solltest dich gar nicht damit belasten. Möchtest du noch eine Tasse Kaffee? Nein? Schade. Aber ich weiß, wir haben dich schon zu lange aufgehalten. Mach es gut.«

»So hättest du nicht mit ihr umspringen müssen«, sagte Helmut, als seine Mutter nach einem, wie Martina fand, übertriebenen Abschied von den Kindern gegangen war.

»Doch, ich mußte«, erwiderte sie mit einem Lächeln, bei dem ihre Augen ganz ernst blieben. »Ich mußte mich wehren. Ich habe mich ihr gegenüber immer wehren müssen.«

»Ich habe nie gemerkt, daß sie dich angegriffen hat.«

»Nein, du nicht. Das glaube ich dir.«

Mit stummer Mißbilligung wandte er sich ab und zog seinen Mantel an. Martina blieb mit den Kindern allein zurück. Die Freude über die bestandene Prüfung war plötzlich schal geworden.

Diese heiß ersehnten Jahre - Liebesroman

Подняться наверх