Читать книгу Diese heiß ersehnten Jahre - Liebesroman - Marie Louise Fischer - Страница 4

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»Frau Martina Stadelmann!«

Rechtsanwalt Dr. Günther hob kurz den Kopf, sein Blick streifte über den Tischkalender, der den 18. Januar 1960 anzeigte, und weiter zur Tür der Kanzlei. Seine Sekretärin ließ die neue Klientin eintreten, er verzog den Mund zu einem unverbindlichen Lächeln. In Gedanken war er noch bei dem vorausgegangenen Gespräch mit einer anderen Frau. Aber dann blieb sein Blick lange, fast selbstvergessen auf Martina Stadelmann haften.

Sie war eine schlanke Frau, sehr groß – Dr. Günther schätzte sie auf einsachtzig. Ihre wohlgeformte Figur kam in dem petrolfarbenen Deux-pièces, engem Rock mit Dior-Falte und kurzem taillierten Jäckchen mit Revers, langen Ärmeln und Manschetten, voll zur Geltung. Faszinierend war ihr Gesicht unter dem hochgetürmten rotbraunen Haar; ein großer Mund, dessen volle Lippen sie in der Erregung fest zusammenpreßte, und zwei verschiedenfarbige Augen unter getuschten Wimpern – das linke war deutlich grün, das rechte braun.

Dr. Günther sprang auf und kam um den Schreibtisch herum auf die Klientin zu.

Sie dachte nicht daran, ihm die Hand zu geben. »Ich will mich scheiden lassen«, erklärte sie mit einer Stimme, die ihr kaum gehorchen wollte.

Dr. Günther erkannte, daß sie sehr aufgeregt war. »Bitte, setzen Sie sich doch!« Er stellte einen Sessel gegenüber seinem Schreibtisch zurecht. »Kann ich Ihnen etwas anbieten? Vielleicht eine Tasse Kaffee? Zigarette?«

»Nein, danke . . . «

»Dann einen Kognak. Bitte, sagen Sie nicht nein . . . Sie werden mir doch Gesellschaft leisten?«

Während sie sich setzte, die Füße in den spitzen Schuhen mit den hohen Pfennigabsätzen brav nebeneinandergestellt, ging Dr. Günther um den Schreibtisch herum, bückte sich und holte eine Flasche Kognak mit zwei Gläsern heraus, schenkte großzügig ein.

»Auf guten Erfolg!«

»Hoffentlich!« Martina rang sich ein Lächeln bei geschlossenen Lippen ab und nippte. Der Rechtsanwalt nahm ihr gegenüber Platz und stützte abwartend die Ellbogen auf die Schreibtischplatte.

»Mein Mann hat mich betrogen!« stieß sie heraus.

»Das war nicht nett von ihm.«

»Nicht nett! Eine Gemeinheit ist das . . . und noch dazu in unserer Wohnung . . . in unseren Ehebetten! Und mit meiner besten Freundin!«

Dr. Günther schnalzte mitfühlend mit der Zunge.

»Nie wäre ich auf so was gekommen«, empörte sich Martina.

»Ich würde es auch jetzt noch nicht glauben – wenn ich die beiden nicht selber erwischt hätte!«

»In einer eindeutigen Situation? Ich frage nur für den Fall, daß wir eine Klage darauf stützen wollen.«

»Eindeutiger ging’s gar nicht mehr.«

»Ja, dann . . . «

»Bitte, Herr Doktor, reichen Sie die Scheidung ein!«

»Frau Stadelmann . . . « Dr. Günther legte die Fingerspitzen gegeneinander. » . . . ich verstehe natürlich, daß Sie sehr aufgebracht sind. Wann ist das übrigens passiert?«

»Gestern am frühen Nachmittag. Ich habe sofort danach in Ihrer Kanzlei angerufen und um einen Termin gebeten.«

»Sehen Sie, so ähnlich habe ich mir das gedacht. Die Wunden sind also noch ganz frisch. Sind Sie sicher, Frau Stadelmann, daß Sie in ein paar Tagen, ein paar Wochen oder Monaten noch genauso über den Fall urteilen werden?«

Martina Stadelmanns verschiedenfarbige Augen wurden groß.

»Ja, was könnte sich denn da ändern?«

»Sie könnten Abstand gewinnen.«

»Abstand hin, Abstand her . . . das würde doch nichts daran ändern, daß er mich betrogen hat!«

»Sicher nicht.«

Sie schob das feste runde Kinn vor. »Ist Ehebruch etwa kein Scheidungsgrund?«

»Doch. Dem Gesetz nach schon. Aber ich bitte Sie doch zu bedenken: der Mensch ist schwach, und wenn ich Mensch sage, dann denke ich vorwiegend an uns Männer. Da kann ein kleiner Seitensprung schon mal vorkommen, ohne daß er die Fundamente der Ehe erschüttern müßte.«

»Jetzt verstehe ich gar nichts mehr!« Martina, die bisher auf der Sesselkante gehockt hatte, lehnte sich zurück. »Sie meinen also, Treue sei in der Ehe nicht so wichtig?«

»Nein, nein, so meine ich das natürlich nicht. Aber, Frau Stadelmann, wenn ich Sie richtig verstanden habe, war Ihre Ehe doch bis gestern mittag in Ordnung? Sie schien Ihnen zumindest in Ordnung . . . «

»Ja. Vielleicht«, gab Martina zögernd zu. »Bis ich dahintergekommen bin.«

»Aber auch wenn Ihr Mann Sie betrogen hat, heißt das doch nicht unbedingt, daß er Sie nicht mehr liebt! Wie stellt er sich denn zu der ganzen Angelegenheit? Ist er auch für die Scheidung? Will er die andere heiraten?«

»Das nicht . . . «

»Aber . . .?«

»Kein Aber! Er redet genauso daher wie Sie! Behauptet, die Sache mit Susi hätte gar nichts weiter zu sagen . . . Es sei bloß passiert, weil ich ihn allein gelassen hätte . . . Und einem Mann stehe so was einfach zu!« Martina richtete sich auf, und ihre Augen funkelten. »Aber da mache ich nicht mit! Wenn er von mir Treue erwartet, dann soll auch er sie gefälligst halten.« Sie klopfte mit der Faust auf ihre linke Handfläche. »Ich bin nicht für zweierlei Maß. Entweder . . . oder.«

»Sie sind also nicht bereit, Ihrem Mann zu verzeihen?«

»Er hat mich ja nicht mal darum gebeten! Wo denken Sie hin! Er ist ja ein Mann! Er darf! Und ich, das liebe, geduldige kleine Weibchen, soll die Augen zudrücken und ihm doch das kleine Späßchen gönnen.«

Dr. Günther versuchte noch einmal, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. »Auch wenn ein Mann seine Frau betrügt, beweist das keineswegs, daß er sie nicht mehr liebt.«

»Aber das ist doch gar nicht der springende Punkt! Möglich, daß er mich noch liebt! Aber ich will nicht mehr von ihm geliebt werden! Verstehen Sie das denn nicht?! Erst sollte ich aufschauen zu ihm wie zu einem Gott, ihn bewundern und verwöhnen und nur keine Widerworte geben, und wenn ich ihn in flagranti erwische, dann wird er nicht etwa klein, sondern plustert sich auch noch auf! Nein, Sie kennen meinen Mann nicht! Alles, was der tut, ist total in Ordnung, auch dann, wenn es der größte Blödsinn oder eine üble Schweinerei ist! Mit dem kann man sich nicht arrangieren. Wenn man mit ihm auskommen will, muß man sich unterwerfen. Genau das habe ich jetzt zehn Jahre lang gemacht, und genau das will ich nun nicht mehr.«

»Sie sind also fest entschlossen, die Ehe aufzulösen?«

»Sehr richtig. Und wenn Sie mir dabei nicht helfen wollen . . . « Dr. Günther zog die Luft durch die Zähne. »Es ist mein Beruf, Ehen zu scheiden. Ich lebe davon. Warum sollte ich Ihrem Wunsch nicht nachkommen wollen? Ich will nur verhindern, daß Sie im Zorn etwas tun, was Sie später bereuen müssen. Bitte, hören Sie mich jetzt einmal an: Tatsache ist doch, daß in unserer Gesellschaft die geschiedene Frau immer den kürzeren zieht.«

»Das eben sollen Sie verhindern!«

»Ich denke nicht an die Scheidung selbst, Frau Stadelmann. Im Gegenteil, das Gericht neigt fast immer dazu, der Frau, besonders wenn sie die Betrogene ist, die besseren Konditionen einzuräumen. Aber – und jetzt kommt das große Aber: Nachher, wenn sie ihre heißersehnte Freiheit gewonnen hat, dann sieht es meist anders aus. Haben Sie denn überhaupt eine Vorstellung, was Sie nach der Scheidung anfangen wollen?«

»Ja, Herr Doktor. Aber das soll nicht Ihre Sorge sein. Helfen Sie mir aus der Ehe heraus, und um den Rest kümmere ich mich ganz alleine.« Martina nahm einen Schluck Kognak. »Aber Sie haben doch sicher noch Fragen.«

»Ja«, bestätigte Dr. Günther. Seine Haltung Martina gegenüber war deutlich abgekühlt. Er war ein freundlicher älterer Herr, gerne bereit, einer Klientin die wattierte Schulter zum Ausweinen zu leihen. Doch für auftrumpfende Frauen hatte er ganz und gar nichts übrig.

»Na also!«

Martina spürte seine Verstimmung wohl, aber es war ihr gleichgültig, was er von ihr dachte.

»Ihre Personalien haben Sie ja schon meiner Sekretärin angegeben.« Dr. Günther studierte stirnrunzelnd den vor ihm liegenden Laufzettel. »Martina Stadelmann, geborene Schmitz, geboren am 17. März 1933 in Essen. Und Ihr Gatte?«

»Helmut Stadelmann, geboren in Dinslaken am 19. 9. 1927.«

»Wohnhaft?«

»Dinslaken, Neustraße 11 a.«

»Das ist ja gleich nebenan«, stellte der Rechtsanwalt fest.

»Eben. Deshalb bin ich ja zu Ihnen gekommen.« Martina schlug ihre Beine übereinander, achtete aber darauf, daß die Knie bedeckt blieben, soweit der enge Rock es zuließ. »Ich lese jeden Tag Ihr Schild, wenn ich zum Bahnhof laufe.«

»Komisch, daß ich Sie da noch nie gesehen habe.«

»Dinslaken ist zwar ein Nest, aber so klein denn doch nicht.« Dr. Günther notierte. »Also Stadelmann gegen Stadelmann . . . « Er sah Martina an. »Sie machten da vorhin eine Bemerkung . . . wie war das doch gleich?« Nachdenklich drehte er den Kugelschreiber zwischen den Fingern. »Ihr Mann wirft Ihnen vor, ihn allein gelassen zu haben?«

»Stimmt. Ich meine: stimmt natürlich nicht.«

»Frau Stadelmann, Sie müssen sich streng an die Wahrheit halten. In Ihrem eigenen Interesse. Ich muß wissen, was er gegen Sie vorbringen könnte. Für den Fall, daß er Gegenklage erhebt.«

»Das wird er nicht wagen!«

»Soll das heißen, daß Sie etwas gegen ihn in der Hand haben?«

»Ach was. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen, das ist alles.«

»Ihr Mann hat also mit seiner Bemerkung auf keinen bestimmten Umstand angespielt?«

»Oh, doch.« Martina leerte ihr Kognakglas. »Ich besuche seit einem Jahr eine Kosmetikschule. In Düsseldorf. Das paßt ihm nicht. Aber ich habe nicht ohne sein Einverständnis damit angefangen. Ich habe es ihm abgerungen, sozusagen.«

»Aha. Aber er fühlte sich vernachlässigt?«

»Ohne Grund. Die Wohnung war immer in Ordnung. Ich war ja nur tagsüber weg. Und bekocht hat ihn Susi.«

»Diejenige welche?«

»Genau die. Susi Dinkler. Ich habe sie für meine beste Freundin gehalten. Bis gestern.«

»Ja, das war Pech«, bemerkte der Anwalt. »Ich verstehe selbstverständlich, daß Sie sich jetzt rächen wollen . . . «

»Rächen? Ich will meine Freiheit wiederhaben, das ist alles.«

»Sie bestehen also nicht darauf, daß der Name von Frau Dinkler in die Scheidungsklage hineinkommt?«

»Muß er das denn nicht?«

»Nein. Wir können auf Scheidung wegen Ehebruchs klagen, ohne Zeugen zu nennen. Er weiß ja Bescheid. Wenn er es zugibt, ist der Fall schon gelaufen. Und wenn nicht, können wir immer noch die Zeugin ins Spiel bringen.«

»Sie sehen also keine Schwierigkeiten?«

»Nein. Falls Sie nicht mit etwas hinter dem Berge halten.«

»Worauf wollen Sie hinaus?«

»Meine liebe Frau Stadelmann, ich glaube, Sie verstehen mich sehr gut!« Dr. Günther lehnte sich zurück, senkte das Kinn auf die Brust und musterte Martina von unten herauf. »Sie sind jetzt wie lange verheiratet?«

»Seit April 1951.«

»Also bald zehn Jahre. Kinder?«

»Zwei. Claudia, neun, und Stefan wird acht.«

»Sie haben aus Liebe geheiratet. Oder gab es einen anderen Grund?«

»Claudia war unterwegs.« Martina verbesserte sich. »Nein, ich will ehrlich sein. Das war nur der Anlaß. Ich war damals bis über die Ohren in Helmut verliebt. Er ist ein sehr gut aussehender Mann. Sehr männlich. Meine Familie war gegen ihn. Aber ich habe ihn vergöttert.«

»Und welche Vorbehalte hatte Ihre Familie?«

»Meine Mutter. Mein Vater ist im Krieg gefallen. Ich bin bei meiner Mutter und meiner Großmutter aufgewachsen. Also, sie fanden, daß er nicht zu mir paßte. Er stammt aus einfachen Verhältnissen. Das klingt blöd, ich weiß, aber so sagt man doch. Wir hatten zwar auch kein Geld, meine Mutter jedenfalls nicht, sie lebte von der Kriegerwitwenrente und von dem, was Großmutter zuschoß. Aber wir gehörten zu einer anderen Gesellschaftsschicht. Mein Vater war Offizier. Helmuts Vater hatte es nur zum Feldwebel gebracht.« Dr. Günther lächelte.

»Aber Helmut ist enorm tüchtig. Er ist Postoberinspektor, hat sich ohne Abitur hochgearbeitet. Er hat auch immer gut für uns gesorgt. Er ist kein Trinker, raucht nicht allzuviel . . . «

Der Anwalt unterbrach sie. »Womit wir wieder beim Thema wären. Warum wollen Sie dieses männliche Prachtexemplar loswerden? Nun ja, er hat Sie betrogen. Aber warum mußten Sie sich überhaupt in diesen Kosmetikkurs einschreiben? Mit dem Einverständnis Ihres Mannes, gut und schön. Aber Sie wußten doch, daß er es nicht gerne sah.«

»Wie würde es Ihnen gefallen, Tag für Tag in einer Dreizimmerwohnung eingesperrt zu sein?! Mit einem winzigen Haushaltsgeld und einem ebenso winzigen Wirkungskreis ist man doch so gut wie eingesperrt. Solange Stefan noch nicht zur Schule ging, habe ich das eingesehen. Überhaupt, als die Kinder noch klein waren, hat es Arbeit genug gegeben. Aber jetzt? Was sollte ich denn tun? Däumchen drehen?«

»Nun, es gibt doch vielerlei Möglichkeiten, sich zu unterhalten.«

»Oh, ja, aber alle kosten Geld. Ob man nun Tennis spielt oder Bridge, alles ist teuer, und außerdem kommt nichts dabei raus. Die Kosmetikschule kostet natürlich auch, aber wenn ich erst mal fertig bin, kann ich verdienen. Ein Kosmetikinstitut fehlt hier in Dinslaken . . . « Sie stockte. »Also davon bin ich ausgegangen. Eigentlich war es Susi, die mir zu der Kosmetikschule geraten hat. Aber jetzt werde ich natürlich nicht hierbleiben. Eine geschiedene Frau in dieser Kleinstadt . . . «

»Frau Stadelmann, Sie sind sehr geschickt.«

»Oh, ja, das sagt . . . « Martina unterbrach sich. »Was wollen Sie damit sagen?«

»Sie wissen sehr geschickt, das Gespräch nach Ihren Wünschen zu lenken. Trotzdem muß ich Ihnen die Frage stellen, auf die es ankommt: Steckt hinter diesem Kosmetikkurs nicht vielleicht doch ein anderer Mann? Bitte, glauben Sie nicht, ich wollte mir ein moralisches Urteil anmaßen.«

»Sie bilden sich ein, ich wäre wegen eines anderen Mannes tagtäglich nach Düsseldorf gefahren?« Martina lachte.

Der Rechtsanwalt blieb ernst. »Ich behaupte nicht, daß eine Liebesbeziehung der auslösende Faktor gewesen sein muß, aber wahrscheinlich haben Sie in Düsseldorf jemanden kennengelernt . . . «

»Jemanden! Eine ganze Menge sogar. Meine Mitschülerinnen in der Kosmetikschule. Und einen alten Hautarzt und einen Chemielehrer. Aber bestimmt niemanden, der mein Herz höher schlagen lassen könnte. Ich fahre nach Düsseldorf, um zu lernen, und jage am späten Nachmittag so schnell wie möglich hierher zurück. Nein, da bleibt keine Zeit für Flirts und Abenteuer.«

»Ich muß mich auf Ihr Wort verlassen.«

»Das können Sie.«

»Es fällt auf Sie zurück, wenn Sie nicht ganz aufrichtig waren.«

»Ich habe nichts zu verbergen.«

»Also schön.« Dr. Günther strich sich über sein ergrautes Haar.

»Beantragen wir also, die Ehe aus alleinigem Verschulden des Ehemannes aufzulösen.«

»Ja, so nennt man das wohl.«

»Die Kinder wollen Sie behalten?«

»Unbedingt.«

»Das werden Sie auch erreichen. Die Gerichte vertreten gemeinhin die Auffassung, daß Kinder in diesem Alter zur Mutter gehören, und da wir auf Alleinschuld Ihres Gatten klagen . . . «

»Er ist allein schuldig!«

»Was verlangen Sie als Unterhalt? Es wäre gut, wenn wir in diesem Punkt eine außergerichtliche Einigung erreichen könnten.«

»Ich verlange eine Abfindung!«

»Falls Ihr Gatte Ersparnisse hat . . . «

»Hat er nicht. Aber er kann ja einen Kredit aufnehmen. Auf sein Gehalt. Seine Eltern haben sich ein Haus gebaut. Die können auch einspringen.«

»Sie haben das anscheinend alles gut durchdacht«, sagte der Anwalt. »Trotzdem würde ich mit der finanziellen Forderung nicht gleich herauskommen. Wir sollten lieber abwarten, wie Ihr Gatte sich überhaupt zu der Scheidungsklage stellt.«

»Wenn Sie meinen.«

»Ich könnte mir nämlich vorstellen, daß ihm das einen ziemlichen Schlag versetzen wird.«

Martina zog die dunklen Augenbrauen zusammen. »Meinen Sie, es war kein Schlag für mich, ihn mit meiner besten Freundin zu erwischen!?«

»Also doch ein wenig Rachsucht?«

»Denken Sie darüber, wie Sie wollen. Aber was für einen Zweck hat eine Scheidung, wenn man trotzdem abhängig bleibt? Ich mag einfach nicht Monat für Monat auf die Überweisung lauern.«

»Das ist verständlich. Aber Sie sind ja noch jung, und Sie sind dabei, einen Beruf zu erlernen. Da besteht doch Aussicht, daß Sie über kurz oder lang gar nicht mehr auf die Unterstützung Ihres Gatten angewiesen sein werden.«

»Ihr Männer haltet eben immer zusammen.« Martina lächelte ohne Groll und zeigte dabei große, sehr regelmäßige Zähne. »Aber etwas haben Sie bei Ihrer faszinierenden Rechnung vergessen, Herr Doktor: ich habe bald zehn Jahre lang für diesen Mann gearbeitet. Umsonst. Selbst über meine kleinen privaten Ausgaben habe ich Buch führen müssen. Ich will bloß das haben, was mir zusteht.«

»Das ist kein dummer Gedanke«, gab der Rechtsanwalt zu. »Ich fürchte nur, daß Sie sich am. Ende damit ins eigene Fleisch schneiden. Ich an Ihrer Stelle würde mir Unterhalt zahlen lassen, bis ich selbst verdiene und – passen Sie auf, jetzt kommt das Wichtigste.« Er klopfte mit dem stumpfen Ende des Kugelschreibers auf den Tisch. »Und mir die Witwenpension überschreiben lassen!«

»Sehr schlau, Herr Doktor.« Martina betrachtete ihre rund geschnittenen, rot lackierten Fingernägel. »Aber Sie sind nicht in meiner Situation und können sich, scheint es, auch nicht hineinversetzen. Ich pfeife auf die Pension. Wenn ich mir bis dahin nicht selber was geschaffen habe, kann ich mich sowieso begraben lassen.« Sie hob den Kopf und richtete ihre Augen fest auf den Rechtsanwalt. »Wie Sie so richtig bemerkten: Ich habe mir alles gut überlegt.«

Dr. Günther verzog das Gesicht, beeilte sich aber dennoch zu versichern: »Selbstverständlich richte ich mich nach Ihren Wünschen.« »Dann ist es ja gut.« Martina nahm Handschuhe und Tasche an sich, während sie sich erhob. »Bringen Sie die Sache, bitte, so schnell wie möglich über die Bühne. Je schneller ich ihn loswerde, desto besser. Mir wird ganz anders bei dem bloßen Gedanken, daß ich noch monatelang mit ihm zusammen hausen muß.«

»Das ließe sich umgehen.« Dr. Günther war aufgestanden, um sie zur Tür zu begleiten. »Wir können um eine einstweilige Verfügung ersuchen, die ihm den Aufenthalt in der ehelichen Wohnung verbietet. Begründung: unter den gegebenen Umständen ist das Zusammenleben mit ihm für Sie unzumutbar.«

»Sie meinen, das ginge?«

»Unbedingt.«

Martina zog die volle Unterlippe zwischen die Zähne und blieb einige Sekunden nachdenklich, dann erhellte sich ihr Gesicht. »Sehr beruhigend, Herr Doktor . . . Für den Fall, daß er sich schlecht aufführt. Aber vorläufig möchte ich darauf denn doch verzichten. Ihn aus der eigenen Wohnung zu vertreiben, das schiene mir nicht ganz fair, wissen Sie.«

Diese Entscheidung brachte Dr. Günther dahin, sein Urteil über die neue Klientin abermals zu revidieren; sie war doch nicht so rücksichtslos, wie er eine Zeitlang geglaubt hatte.

Martina verließ die Kanzlei mit dem Gefühl, eine schwere Last abgeworfen zu haben. Sie hatte die Scheidung eingeleitet und damit entschlossen den ersten Schritt in ein neues Leben getan.

Mehr als einmal hatte sie in den vergangenen Jahren mit dem Gedanken gespielt, ihre Freiheit wiederzugewinnen. Aber zwischen dem Wunsch, sich scheiden zu lassen, und der Tat hatte ein unüberbrückbarer Abgrund geklafft.

Martina gestand sich, daß sie nicht den Mut gehabt hatte, wirklich etwas für ihre Befreiung zu tun.

Aber das war es nicht allein. Sie hatte keine Waffe gehabt, mit der sie hätte kämpfen können. Sie brauchte sich nur vorzustellen, welches Gesicht Dr. Günther gemacht hätte, wenn sie vor einem Jahr mit dem Wunsch, sich scheiden zu lassen, zu ihm gekommen wäre. Was hätte sie denn schon als Grund angeben können?

»Ja, es stimmt, daß ich alles habe, was man als verheiratete Frau vom Leben erwarten kann, aber das genügt mir einfach nicht. Nein, ich bin nicht unglücklich. Wenn ich richtig unglücklich wäre, dann fühlte ich doch wenigstens etwas. Die Wahrheit ist: ich bin gelangweilt. Ja, ich langweile mich, und wenn ich mir vorstelle, daß mein ganzes Leben so weiter verlaufen soll, in einer genau vorgezeichneten Bahn, dann überfällt mich geradezu Platzangst.«

Während Martina darüber nachdachte, fand sie diese Erklärung selber ganz plausibel; Grund genug, jemanden aus einer Ehe zu entlassen, die längst keinen Inhalt mehr hatte. Aber sie wußte auch, daß weder Dr. Günther noch der Gesetzgeber das geringste Verständnis für eine solche Einstellung gezeigt haben würden – von ihrem Mann, den Verwandten und Bekannten ganz zu schweigen.

Gestern, als sie Helmut mit ihrer besten Freundin im Bett erwischt hatte, war sie noch wütend gewesen – wütend auf sich selber, weil sie, als der nachmittägliche Unterricht überraschend ausgefallen war, ohne zu überlegen, Hals über Kopf zum Bahnhof gerannt war und den nächsten Zug nach Dinslaken genommen hatte. Sie war außer sich gewesen und hätte vieles darum gegeben, wenn sie diesen schmählichen Betrug nicht entdeckt hätte.

Aber inzwischen wußte sie, daß ihr nichts Besseres hatte passieren können. Helmut hatte ihr mit seiner Untreue die Waffe in die Hand gegeben, mit der sie ihre Ketten zertrümmern konnte. Nachträglich wurde ihr ganz schlecht bei dem Gedanken, daß nur ein Zufall ihr die Augen geöffnet hatte. Es hätte ebensogut passieren können, daß Helmut sich mit Susi oder einer anderen – wer wußte denn schon, wie oft das während der vergangenen Jahre der Fall gewesen war – amüsiert hätte, ohne daß sie es je erfuhr. Es war eine Niedertracht – und dennoch, sie mußte dem Schicksal dankbar dafür sein.

Martina eilte, jetzt in ihrem alten Kamelhaarhänger, den sie über das Deux-pièces gezogen hatte, auf die Friedrich-Ebert-Straße zu. Sie hatte ein wollenes Tuch um den Kopf geschlungen, denn es war bitterkalt. Ein scharfer Wind peitschte ihr winzige, harte Schneeflocken entgegen. Es war fünf Uhr nachmittags, und die Geschäfte hatten, obwohl es noch nicht wirklich dunkel war, ihre Auslagen bereits erleuchtet. Auch die Straßenlaternen gingen jetzt an.

Ohne links und rechts zu sehen, den Kopf leicht vorgebeugt, um das Gesicht zu schützen, kämpfte sich Martina voran. Vor der Tür des Mietshauses, in dem sie seit fünf Jahren mit ihrer kleinen Familie lebte, stieß sie fast mit Stefan zusammen. Er war auf dem Weiher beim Burghotel Schlittschuh gelaufen. Seine Bakken waren von Kälte und Wind gerötet, und seine braunen Augen blitzten vor Lebenslust. Er hatte eine wollene rote Zipfelmütze tief in die Stirn gezogen. Über seiner linken Schulter hingen die aneinandergebundenen Schlittschuhstiefel.

Bei seinem Anblick wurde es Martina warm ums Herz. »Hei, Knüsel«, sagte sie und mußte der Versuchung widerstehen, ihn in die Arme zu ziehen; Stefan wurde im Juni acht Jahre alt und hatte es in letzter Zeit nicht mehr gern, abgeküßt zu werden.

»Hunger hab’ ich!«

»Wir essen, sobald Vati nach Hause kommt.«

»Kommt er denn?«

Martina, die gerade die Haustür aufschloß, sah überrascht hoch. »Wie meinst du das?«

Stefan hielt ihrem Blick ohne Scheu stand. »Na, ihr habt euch doch gestern gezankt.«

»Stimmt schon. Aber das wird ihn doch nicht daran hindern, zum Essen nach Hause zu kommen.« Sie schob ihren kleinen Sohn in den Hausflur.

»Claudia sagt, daß ihr euch furchtbar böse seid.«

Martina erkannte, daß er ihr das Stichwort gab, die verfahrene Ehesituation zu erklären. Aber sie schreckte davor zurück, wußte nicht, ob sie Stefan erzählen sollte und erzählen konnte, was wirklich geschehen war.

So behauptete sie und kam sich selber recht erbärmlich vor: »Claudia redet viel daher. Wo steckt sie eigentlich? War sie auch beim Schlittschuhlaufen?«

»Claudia doch nicht!« Stefan ließ sich ohne weiteres ablenken. »Die ist bei ’ner Freundin oder im Alten Rathaus in der Bibliothek.«

»Na, sicher kommt sie auch bald.« Martina schloß die Wohnungstür auf. »Zieh deinen Mantel aus und wasch dir die Hände.« Sie nahm das Kopftuch ab und hängte den Kamelhaarmantel sorgfältig über einen Kleiderbügel.

Stefans Worte hatten sie nachdenklich gemacht. Helmut und sie hatten sich gestern nur mühsam den Kindern gegenüber zusammengenommen und anschließend die halbe Nacht gestritten. Sie hatte ihm furchtbare Dinge an den Kopf geworfen. Danach hatte sie auf der Couch im Wohnzimmer geschlafen.

War es möglich, daß er das Ende ihrer Ehe akzeptierte und bereits ausgezogen war?

Martina trat in das Schlafzimmer. Alles war noch, wie sie es am Morgen verlassen hatte. Sein Bett war gemacht. Sie öffnete den Kleiderschrank und sah mit einem Blick, daß seine Anzüge noch da waren. Sie hätte es sich denken können. So leicht kam sie nicht davon.

Einen Augenblick lang stand sie nachdenklich, hörte, wie Stefan nebenan die Wasserspülung zog, und überlegte, wie es praktisch weitergehen sollte. Sie hatte nicht sehr gut auf der schmalen Couch geschlafen, aber wenn sie Helmut aus dem ehelichen Schlafzimmer ausquartierte, behielt sie zwar ihr bequemes Bett, hatte aber keinen Aufenthaltsraum mehr in der Wohnung, die ohnehin längst zu klein geworden war. Sie hatten sie nur behalten, weil sie so zentral lag. Außer dem Schlafzimmer gab es nur noch den Wohnraum und das Kinderzimmer, in dem Claudia und Stefan, eigentlich schon zu groß dazu, miteinander untergebracht waren. In der Einbauküche, die kaum mehr als eine Kochnische war, konnte man sich kaum um die eigene Achse drehen; sie hatte nicht einmal ein Fenster, sondern nur eine Entlüftung.

Nein, es war besser, sie gewöhnte sich an die Couch. Bis zur Scheidung mußte es gehen. Martina nahm ihr Bettzeug über den Arm, trug es ins Wohnzimmer und bezog die Couch. Dabei fiel ihr ein, daß sie in Zukunft nachts das Fenster nicht offenlassen konnte, weil das Wohnzimmer nach vorne lag. Die Neustraße war, obwohl Einbahnstraße, viel befahren und entsprechend laut. Auch damit mußte sie sich abfinden.

Martina kniete sich vor die Schrankwand, das neueste Möbelstück, und begann umzuräumen, um Platz für ihre Wäsche und Schuhe zu bekommen.

»Machst du noch nichts zu essen?« fragte Stefan von der Tür her.

»Du wirst schon nicht verhungern.«

»Wer soll denn hier schlafen?«

»Ich.« Martina fühlte Stefans nachdenkliche Augen auf sich gerichtet und rang sich nun doch zu einer wenn auch sehr fadenscheinigen Erklärung durch. »Vati und ich, wir gehen uns momentan ziemlich auf die Nerven, weißt du, und da wollen wir lieber jeder für sich schlafen.«

»Auf einmal?«

»Du wünschst dir doch auch schon lange ein eigenes Zimmer.«

»Das ist doch was anderes.«

Martina richtete sich auf. »So anders auch nicht.« Sie trat auf Stefan zu und legte ihm sanft die Hand in den Nacken. »Erwachsene sind nicht so anders als Kinder. Sie ärgern sich auch mal gegenseitig.«

»Ach so! Hat Vati dich geärgert?«

»So könnte man es ausdrücken.«

»Und du bist ihm jetzt böse?«

»Ja. Aber hör jetzt auf, mir Fragen zu stellen. Hilf mir lieber.« Stefan ließ sich willig einspannen, und als Claudia eine halbe Stunde später nach Hause kam, war das Werk getan; so viel von Martinas persönlicher Habe wie irgend möglich war in zwei Abteilen der Schrankwand verstaut, an der auch, aus Mangel an anderem Platz, einige Kleider, Röcke und Kostüme schaukelten.

Claudia sah es sofort. Ohne Gruß blieb sie auf der Schwelle stehen und fragte: »Was ist das?« Sie war ein dünnes Mädchen von neun Jahren, groß für ihr Alter und blauäugig; das lange blonde Haar trug sie in einem Pferdeschwanz.

»Ich bin umgezogen«, erwiderte Martina.

»Warum?«

»Weil Vati und Mutti sich gestritten haben«, erklärte Stefan in überlegenem Ton, »das weißt du doch selber ganz genau. Also frag nicht so dumm.«

Claudia stiegen Tränen in die Augen. »Ist das wahr, Mutti?«

»Ich denke, wir waren gestern nacht laut genug.«

»Ihr habt ganz schön geschrien«, bestätigte Stefan.

»Aber . . . deshalb brauchst du doch nicht im Wohnzimmer zu schlafen!«

»Es ist besser so, Claudia, glaub mir. Wenn man wütend auf jemanden ist, dann mag man nicht neben ihm schlafen.«

Claudia stand steif wie ein Stock. »Du hast heute nacht geschrien, du wirst dich scheiden lassen.«

»Das hast du gehört?!« Martina errötete vor Schreck bei dem Gedanken, was die Kinder noch alles aufgeschnappt haben könnten.

»Das hast du aber nur so gesagt, weil du wütend warst?«

»Mutti ist immer noch wütend«, ließ sich Stefan vernehmen.

»Ja, das ist wahr«, bestätigte Martina.

»Aber du willst dich doch nicht wirklich scheiden lassen?«

»Vielleicht doch, Claudia«, sagte Martina vorsichtig.

»Nein! Das kannst du nicht tun!«

»Doch kann sie, wenn Vati sie geärgert hat!«

Claudia fuhr herum und zischte ihren Bruder an. »Halt du doch die Klappe, was verstehst du schon davon?!«

»Zank nicht mit Stefan«, sagte Martina. »Er hat dir nichts getan.«

»Aber, Mutti, Mutti, das kannst du doch nicht tun!« Claudia lief zu Martina hin und klammerte sich an ihren Arm.

»Ihr gehört doch zusammen! Wir alle gehören zusammen!«

Martina löste sich aus dem Griff ihrer Tochter. »Wir werden ausführlich darüber reden, wenn du nicht mehr so aufgeregt bist. Wasch dir das Gesicht ab und kämm dir das Haar. Wir alle müssen uns jetzt sehr zusammennehmen.«

»Mutti, bitte . . . «

Martina verstand die Aufregung ihrer Tochter, und dennoch konnte sie nichts daran ändern, daß sie nur mit nervöser Gereiztheit reagierte. »Bitte, geh jetzt«, sagte sie, und es klang schärfer, als sie beabsichtigt hatte.

Claudia zog ab, als sei sie geprügelt worden.

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