Читать книгу Diese heiß ersehnten Jahre - Liebesroman - Marie Louise Fischer - Страница 7
ОглавлениеNach dieser Nacht versuchte Helmut Stadelmann nie mehr, sich seine Frau gefügig zu machen. Er gab sich grollend, ein vom Schicksal geschlagener Mann, und die Kinder zitterten vor seiner schlechten Laune. Dann, von einem Tag zum anderen, änderte er seine Taktik. Er zeigte sich heiter und versöhnlich, scherzte mit Claudia, unterhielt sich ernsthaft und aufmerksam mit Stefan und versuchte auch Martina ins Gespräch zu ziehen. Aber sie blieb zurückhaltend, denn sie traute ihm nicht.
Nach dem Abendessen schlug er vor, wieder einmal »Monopoly« zu spielen. Die Kinder stimmten begeistert zu.
»Mach doch mit, Mutti!« bat Stefan.
»Zu vieren macht es viel mehr Spaß!« erklärte Claudia, die die Schachtel rasch herbeiholte und sie auf den erst halb abgedeckten Tisch stellte.
Martina sah sich in die Rolle der Spielverderberin gedrängt. »Ich würde ja gerne«, log sie mit einem erzwungenen Lächeln, »aber ich habe noch in der Küche zu tun.«
»Ach, Quatsch, Mutti!« rief Stefan.
»Gib dir schon einen Ruck, Alte!« Helmuts Freundlichkeit war so falsch wie ihr Lächeln. »Was macht’s schon aus, wenn wir morgen abend mal kalt essen?!«
»Lieber nicht. Das können wir uns nicht leisten!« Rasch stapelte Martina die benutzten Teller auf das Tablett und verschwand damit in der Küche. Sie hätte darauf bestehen können, daß Claudia und Stefan, wie gewöhnlich, den Abwasch besorgten. Aber damit hätte sie die Kinder nur noch gegen sich aufgebracht und Helmuts Position noch gestärkt.
Die winzige Küche war kein Ort, an dem man sich gerne aufhielt, aber sie hatte sich nun einmal selbst hierher verbannt. So bereitete sie einen Auflauf für den morgigen Abend vor und studierte, während die Nudeln kochten, in ihrem Chemiebuch. Sie mußte jede Minute zum Lernen nutzen.
Auf dem harten Hocker saß es sich denkbar unbequem. Die fröhlichen Stimmen der anderen drangen, untermalt von Schlagermusik von Radio Luxemburg, zu ihr herüber. Sie konnte sich nicht konzentrieren und fühlte sich ausgeschlossen, obwohl sie den Sinn dieser kleinen Demonstration nur zu gut verstand.
Helmut wollte ihr zeigen, wie reizvoll das Familienleben sein konnte. Aber sie erinnerte sich, daß solche Stunden in den Jahren ihrer Ehe sehr selten gewesen waren. Zuerst hatte Helmut abends für seine Prüfungen und Kurse gebüffelt, und später hatte seine Briefmarkensammlung ihn beschlagnahmt. Für eine Unterhaltung oder gar für ein Spiel war kaum je Zeit gewesen, und genauso würde es wieder werden, wenn sie sich jetzt einwickeln ließ.
Die Nudeln waren gar, sie schreckte sie ab. Dann nahm sie Bier und Limonade aus dem Eisschrank, stellte Gläser dazu und trug das Tablett ins Wohnzimmer.
»Bei dieser Schreierei werdet ihr euch sicher gern mal zwischendurch die Kehlen befeuchten«, sagte sie.
Die Kinder freuten sich, und Helmut sagte: »Du bist ein Schatz!« Sie klemmte sich das leere Tablett unter den Arm und ging.
Danach wurde es stiller im Wohnzimmer, und eine halbe Stunde später machte Helmut Schluß.
Am nächsten Abend erschien er mit zwölf roten Rosen, die zu dieser Jahreszeit sicher sehr teuer gewesen waren. Martina hätte sie am liebsten abgelehnt, und es lag ihr auf der Zunge, ihn zu fragen, ob er sie nicht lieber Susi Dinkler bringen wollte. Aber sie verkniff sich jede Bemerkung. Helmut ließ nicht in seinen Anstrengungen nach, sie versöhnlich zu stimmen. Doch sie ging nicht darauf ein, sondern blieb zurückhaltend.
Am Monatsende, als er sein Gehalt kassiert hatte, überreichte er ihr feierlich und verschmitzt ein Schächtelchen von der Art, wie sie Juweliere zu benutzen pflegen. Es war in buntes Seidenpapier gewickelt und mit einer goldfarbenen Schnur zugebunden.
»Was soll das?!« fragte sie, unangenehm berührt.
»Nimm doch!« Er versuchte ihr die Schachtel aufzudrängen.
Sie verschlang die Hände auf dem Rücken. »Nein!«
»Aber ich bitte dich . . . eine kleine Überraschung! Ich will dir doch nur eine Freude machen!«
»Aus welchem Grund!?«
»Schließlich sind wir ja noch verheiratet.«
»Das sind wir seit zehn Jahren. Und jetzt rechne mal nach, wie oft du in all der Zeit mit einem Geschenk gekommen bist. Selbst an meinen Geburtstag mußte ich dich jedesmal erinnern.«
»Das will ich eben wiedergutmachen.«
»Dazu ist es zu spät, Helmut!«
Die Kinder – Helmut hatte es darauf angelegt, daß sie Zeugen wurden – beobachteten die kleine Szene neugierig. Das Benehmen der Mutter mußte ihnen unverständlich erscheinen.
»Soll ich auspacken, Vati?« erbot sich Claudia.
»Nein«, sagte Martina scharf.
»Sieh dir doch wenigstens an, was es ist«, drängte Helmut. »Es wird dir bestimmt gefallen.« Er gab Claudia das Schächtelchen.
»Aber ich will kein Geschenk von dir! Geht das nicht in deinen Schädel?!«
»Nein, wirklich nicht«, behauptete er grinsend.
Claudia hatte, während Stefan ihr über die Schulter blickte, das Schächtelchen hastig geöffnet. »Ein Ring!« rief sie. »So ein schöner Ring!« Sie hielt das Schmuckstück der Mutter unter die Nase.
Martina konnte nicht umhin, es anzusehen. Es war ein schmaler Reif, mit drei Steinen besetzt, zwei winzigen rechteckig geschliffenen Brillanten, dazwischen ein Smaragd in der gleichen Form.
»Probier ihn mal an«, bat Helmut.
»Aber den kannst du dir doch gar nicht leisten!«
»Mach dir darüber keine Gedanken. Es soll ein Zeichen meiner Liebe sein.« Er versuchte, ihre linke Hand nach vorne zu drehen.
»Du tust mir weh!«
»Entschuldige, aber wenn du so dickköpfig bist . . . «
»Ich weiß nur, was ich will, und ich weiß, was sich gehört. Ein solches Geschenk paßt nicht zu uns. Nicht zu dir und nicht zu unserer Situation. Wenn ich es annähme, würde ich mich wieder binden . . . «
»Woher denn! Nimm den Ring von mir als Erinnerung.«
»Erinnerung? An was? Bist du wirklich so sicher, daß in unserer Ehe die schönen Stunden überwogen haben? Dann ständest du heute nicht so da. Tu doch bloß nicht, als wolltest du mir was Gutes tun. Kaufen willst du mich. Wahrscheinlich ein Rat von deinem trefflichen Rechtsanwalt: Bringen Sie ihr ein schönes Schmuckstück, dann wird sie bestimmt schwach. Keine Frau kann einem Brillantring widerstehen.«
Diese Behauptung, die sie aus der Luft gegriffen hatte – sie war ihr von einer Sekunde zur anderen eingefallen –, kam der Wahrheit so nahe, daß Helmut sich vor Wut und Scham verfärbte. »Du kannst wohl immer nur das Schlechteste denken«, brüllte er. Er riß Claudia den Ring aus der Hand und steckte ihn in seine Hosentasche.
»Bring ihn ins Geschäft zurück und sieh zu, daß du dein Geld wiederkriegst«, riet ihm Martina. »Du wirst es in der nächsten Zeit noch brauchen.«
Es war ihm anzusehen, daß er sie am liebsten geschlagen hätte, aber er beherrschte sich, blickte sie nur wütend von unten herauf mit schräggelegtem Kopf an, bevor er die Tür zuknallte und die Wohnung verließ.
»Aber das war doch so ein schöner Ring«, jammerte Claudia. »Warum hast du ihn nicht genommen? Du hättest ihn ja aufheben können, bis ich groß geworden bin.«
»Sei nicht traurig, Schatz.« Martina atmete tief, um sich zu beruhigen. »Du wirst schon sehen: bald verdiene ich Geld, und dann können wir uns die schönsten Sachen kaufen. Wir brauchen keine Geschenke von Vati.«
»Er wollte sich versöhnen, nicht?« fragte Stefan ernsthaft.
»So kann man es nennen«, gab Martina zu.
»Aber du wolltest nicht.«
»Nein, ich will nicht. Das ist ganz richtig.«
»Was hat er dir denn getan?«
Martina zögerte. Sie fühlte, daß sie sich in den Augen der Kinder ins Unrecht setzte. Aber sie konnte sich nicht verteidigen, ohne Helmut schwer zu belasten, und das wollte sie nicht. Es war ihr peinlich, mit ihnen über Sexualität zu sprechen; sie schienen ihr noch zu jung dazu. Später, so hoffte sie, würde sie ihnen alles erklären können.
Helmut kam in dieser Nacht sehr betrunken nach Hause. Er rumorte im Bad und auf dem Flur, aber er belästigte Martina nicht. Am nächsten Morgen war er verkatert. Er gab sich keine Mühe mehr, freundlich und zuvorkommend zu erscheinen, sondern ließ seiner schlechten Laune freien Lauf. Für Martina bedeutete das fast eine Erleichterung. Dennoch blieb das Zusammenleben mit dem Mann, den sie nicht mehr liebte und der ihr doch so vertraut war, nervenaufreibend.
Glücklich war Martina in dieser Zeit nur in Düsseldorf. Während des Unterrichts in der Kosmetikschule und im Kreis ihrer Mitschülerinnen vergaß sie zeitweilig ihre Sorgen. Es störte sie nicht, daß sie die Älteste war – im Gegenteil, ihr war es, als würde sie selbst wieder jung. Mit wachsender Übung fiel ihr das Lernen immer leichter, ihre Hände waren geschickt, sie konnte manches Lob einheimsen, und es machte ihr Spaß, mit den anderen zu lachen und über Mode und Männer zu schwatzen.
Manchmal hatte sie geradezu den Eindruck, ein Doppelleben zu führen, als sei sie in Düsseldorf ein ganz anderer Mensch als zu Hause. Wie die Verwandlung von einer in Scheidung lebenden Ehefrau und Mutter zu einer hoffnungsvollen Kosmetikstudentin vor sich ging, begriff sie nicht, aber sie wußte genau, wann die Rückwandlung einsetzte: sobald sie in Düsseldorf in den Zug stieg. Dann verschwand das Lächeln aus ihren Mundwinkeln, und ihr Kinn schob sich vor.
Sie stürzte sich in den Kampf um den Sitzplatz, einen erbitterten Kampf gegen rüde Jugendliche, abgearbeitete Männer und Hausfrauen mit großen Einkaufstaschen – warum die nur gerade zur Hauptverkehrszeit unterwegs sein mußten! War ein Platz errungen, gab es ein kurzes Aufatmen. Die Kollegtasche als Schreibunterlage auf dem Schoß, eingezwängt zwischen fremden Leibern, begann sie ihren Einkaufszettel auszuarbeiten. Haltbare Lebensmittel besorgte sie zwar stets am Samstag, aber selbst bei genauer Planung ließ sich das nicht für jede Ware durchführen, ganz abgesehen davon, daß doch immer dies oder das im Haushalt fehlte oder auszugehen drohte.
Weit bequemer wäre die Fahrt in der Ersten Klasse gewesen, aber der Preisunterschied für die Wochenkarte war so erheblich, daß Martina sich diesen Luxus nicht erlauben konnte. Mühsam genug hatte sie sich das Schul- und Fahrgeld im Verlauf ihrer Ehe aus der »Schmu-Kasse« zusammengespart, immer mit schlechtem Gewissen, voll Zorn auf sich selber und auf Helmut, der sie zu dieser Methode zwang, indem er ihr niemals Geld zur eigenen Verwendung überließ. Jeder Pfennig mußte abgerechnet werden. Wie sehr hatte sie knausern müssen, um Pfennig auf Pfennig zu legen, die sich mit unendlicher Langsamkeit summiert hatten. Helmut wußte bis heute nichts davon. Sie hatte behauptet, das Geld sei ein Geschenk ihrer Großmutter, und er hatte es geschluckt.
Wenn er es je erfuhr, würde er toben. Dabei hatte sie es doch für ihn getan – auch für sich selber, aber mehr doch für ihn und die Kinder. Immer waren sie knapp mit Geld gewesen, hatten sie sparen und rechnen müssen. Mit ihrem Kosmetikinstitut hatte sie sich und Helmut aus der finanziellen Misere befreien wollen. Sie hatten sich alles so hübsch ausgedacht, Susi Dinkler und sie. Verdammte Susi, warum nur hatte sie alles kaputtgemacht!
Während der Zug durch die Industrielandschaft brauste, wendeten sich Martinas Gedanken der Vergangenheit zu. Zwanghaft, sie wollte es gar nicht, versuchte sie immer aufs neue herauszufinden, warum es zwischen ihr und Helmut zum Bruch gekommen war und wann sich der erste verhängnisvolle Sprung am Firmament ihrer Ehe gezeigt hatte.
Zwei Stationen, Menschen, die hinaus- und hereindrängten, Duisburg, Oberhausen, vorbei an den Hochöfen der Gutehoffnungshütte, dann war sie am Ziel. Dinslaken. Ohne Freude eilte sie einem Heim entgegen, das kein Heim mehr war.
Einmal, es war Februar geworden, die Kälte war gebrochen, und trotz des strömenden Regens lag ein Hauch von Frühling in der Luft, begegnete sie auf dem Weg nach Hause Susi Dinkler.
Martina hatte seit dem Zwischenfall die Drogerie, in der Susi arbeitete, nie mehr betreten. Dennoch war sie darauf gefaßt gewesen, daß ihr die frühere Freundin irgendwann und irgendwo über den Weg laufen würde. Aber als es geschah, war sie doch völlig überrascht. Es war im Kaffeegeschäft. Martina haue auf dem Heimweg noch rasch ein Päckchen Kaffee besorgen wollen, und Susi hatte diesen Einfall anscheinend auch gehabt und deshalb kurz ihren Arbeitsplatz verlassen.
Martina hatte sich vorgenommen, Susi zu schneiden, über sie wegzusehen, als hätte sie sie niemals gekannt. Aber das ging nun nicht. Ihr erster Blick hatte sie schon verraten.
Sie standen sich in dem kleinen Geschäft gegenüber, Martina war von der Tür und Susi Dinkler von der Kasse her gekommen. Es schien, als wichen die anderen Kunden vor ihnen zurück und bildeten gleichsam einen Kreis um sie. Auch die Plaudereien verstummten.
»Tag, Martina«, sagte Susi Dinkler.
Martina hätte wortlos an ihr vorbeigehen können, aber sie wollte die Leute im Laden nicht mit Gesprächsstoff versorgen.
Es war ihr zwar nicht klar, wieso jemand in der Stadt – außer den Juristen, und die mußten schweigen – etwas über sie, Susi und Helmut wissen konnte, aber es wurde bestimmt schon weidlich geklatscht. Das wurde Martina in diesem Augenblick bewußt, denn anders war die Aufmerksamkeit, die das zufällige Treffen erregte, nicht zu erklären.
»Tag«, gab sie zurück.
»Du siehst gut aus.«
»Es geht mir auch gut.«
Diese wenigen, beiläufig gesprochenen Worte genügten, um die Spannung im Raum zu lösen. Die Gespräche setzten wieder ein. »Entschuldige, aber ich hab’s furchtbar eilig!« Martina drängte an Susi vorbei zum Verkaufstisch.
Sie war erleichtert, daß es ausgestanden war, und versuchte zu ergründen, warum sie die Begegnung so peinlich empfunden hatte: nicht sie, sondern Susi hatte doch Grund sich zu schämen.
Aber es war noch nicht vorbei,
Als sie das Geschäft verlassen hatte, trat Susi wenige Schritte weiter aus dem Haustor. »Martina, bitte . . . « Sie trug eine durchsichtige Plastikhaut mit Kapuze über ihrem weißen Kittel, ihre blonde Hübschheit wirkte farblos, obwohl sie an Lidstrich und Lippenrot nicht gespart hatte. Der Regen lief ihr wie Tränen über das Gesicht, das Haar war vorne, wo es von der Kapuze nicht ganz bedeckt war, dunkel vor Nässe.
»Ich habe es wirklich eilig«, sagte Martina.
»Nur einen Moment!« Susi machte eine Bewegung, als wollte sie Martina am Ärmel ziehen, schien es dann aber doch nicht zu wagen und ließ die Hand wieder fallen. »Ich konnte dir da drinnen doch nicht sagen . . . «
»Ich will gar nichts von dir hören!«
»Aber du mußt doch wissen, wie leid es mir tut.«
»Was!? Daß du es mit Helmut getrieben hast? Ich dachte, es hätte dir Spaß gemacht!«
»Ich wollte deine Ehe nicht zerstören!«
»Wer soll dir das glauben?«
»Du! Ich würde doch niemals meiner besten Freundin den Mann wegnehmen wollen!«
»Würdest du nicht?! Aber du hast es getan. Und erzähl mir jetzt bloß nicht, daß du ihn nicht mit Handkuß nehmen würdest, wenn er dich drum bäte.«
»Ich liebe ihn eben.« Sie senkte den Blick.
»Na, dann viel Spaß!«
Der Regen hatte aufgehört, Martina klappte ihren Schirm zusammen, daß die Tropfen spritzten, und ließ Susi stehen.
Noch war sie voller Zorn. Aber schon nach wenigen Schritten spürte sie, daß die Auseinandersetzung ihr gutgetan hatte. Sie hatte Dampf abgelassen und war jetzt imstande, das, was passiert war, nüchterner zu sehen.
Susi war nicht schlecht, sondern nur dumm – ein dummes Luder auf der verzweifelten Suche nach einem Mann. Arme Susi. Sie konnte einem leid tun. Egal, ob Helmut sie nun heiratete oder stehenließ. Angeschmiert war sie auf jeden Fall.